Überraschende Verhandlung am Amtsgericht Mühldorf
Gewalttätig, rabiat und uneinsichtig: Angeklagter verlässt Gerichtssaal dank Opfer ohne Urteil
Er soll seine Verlobte mehrfach geschlagen haben, er wollte einen Mitarbeiter des Landratsamtes bestechen und er ließ sich von Richter und Staatsanwältin nichts sagen. Trotzdem kommt der Angeklagte vor dem Amtsgericht Mühldorf erstmal ungeschoren davon. Dank seiner Verlobten.
Mühldorf – Eigentlich schien alles klar: Ein 46-jähriger türkischer Staatsbürger musste sich jüngst vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsrichter Florian Greifenstein wegen mehrfacher Körperverletzung – eine davon sogar gefährlich –, räuberischem Diebstahl, Bestechung und Urkundenfälschung verantworten. Doch dann lief alles ganz anders und der Angeklagte konnte ohne Urteil den Gerichtssaal verlassen – auch wegen des Opfers.
Vor gut einem Jahr war der Angeklagte mit einer 33-jährigen Informatikerin aus dem Jemen verlobt. Zwischen Sommer und Winter 2023 kam es dann mehrfach zu gewalttätigen Streits: Einmal soll der Türke seine Verlobte zu Boden gestoßen und am Arm durch eine Türe gezogen haben, sodass sie sich am Kopf verletzte. Beim nächsten Mal soll er ihr mit der flachen Hand auf die rechte Gesichtshälfte und das rechte Ohr geschlagen haben.
Gefährliche Körperverletzung und räuberischer Diebstahl
Die dritte Tat wertete Staatsanwältin Franziska Mitterer als gefährliche Körperverletzung: Der 46-Jährige habe mehrmals mit der flachen Hand auf die Frau eingeschlagen und ihr einen Schlüsselbund an den Kopf geschleudert.
Ein anderes Mal soll er seiner Verlobten mit dem Handballen gegen die Nase geschlagen haben. Einmal soll er sie mit der Faust und dem rechten Schuh auf den Hinterkopf und den Oberkörper geschlagen haben, nachdem sie ihn zum Verlassen ihrer Wohnung aufgefordert hatte. Außerdem habe er ihren Laptop und 250 Euro aus der Wohnung gestohlen: räuberischer Diebstahl.
Urkundenfälschung und versuchte Bestechung
Damit nicht genug: So soll der Angeklagte mit seinem PKW und einem gefälschten Kennzeichen zur Kfz-Zulassungsstelle in Waldkraiburg gefahren sein, um ein Ausfuhrkennzeichen zu bekommen. Diese Urkundenfälschung fiel dem Sachbearbeiter auf, daraufhin wollte er den Mitarbeiter mit 20 Euro bestechen, was der Mitarbeiter ablehnte.
Volte bei der Verlobten
Soweit die Anklage. Sogleich folgte die erste Überraschung. Im Oktober 2023 hatte die Jemenitin, die als Zeugin vor dem Gerichtssaal wartete, die Verlobung nach zweieinhalb Jahren gelöst und im Januar einen Antrag auf Gewaltverzicht gestellt, der auch ein Annäherungsverbot enthielt. Doch der Angeklagte erklärte: „Wir haben uns wieder geeinigt und wir wollen heiraten.“
Der Angeklagte lässt sich von der Staatsanwältin nichts sagen
Es folgte eine Verhandlungspause. Die wollte der Angeklagte nutzen, um mit seiner Ex- und Wieder-Verlobten zu sprechen; das untersagte ihm aber Staatsanwältin Mitterer. Daraufhin wurde der 46-Jährige sehr laut: Er lasse sich nicht vorwerfen, dass er die Zeugin beeinflusse. Er konnte nur schwer zur Räson gebracht werden.
Als es im Gerichtssaal weiterging, wurde die Jemenitin als erste Zeugin vernommen: eine junge, schlanke, verschüchterte Frau. In gebrochenem Deutsch gab sie an, sie seien wieder verlobt und sie habe ihren Gewaltschutzantrag zurückgenommen: „Ich habe vorgeschlagen, dass mein Verlobter eine Therapie macht, dass er ruhiger wird. Das ist seine letzte Chance.“
Daraufhin beantragte Staatsanwältin Mitterer, der Angeklagte solle den Gerichtssaal verlassen: „Er scheint die Zeugin einzuschüchtern.“ Prompt echauffierte sich der Beschuldigte wieder und konnte erneut nur mit Mühe beruhigt werden.
„So weit sind wir noch nicht“
„Frau Staatsanwältin, so weit sind wir noch nicht”, erwiderte Richter Greifenstein. „Wir müssen zuerst klären, ob zwischen dem Angeklagten und der Zeugin eine Verlobung besteht.” Dann dürfe die Zeugin nämlich die Aussage verweigern. Greifenstein: „Hier kommt es auf jedes Wort an und dazu ist das Deutsch der jungen Frau nicht gut genug. Wir benötigen eine Dolmetscherin für Arabisch.“
Warten auf einen Dolmetscher
Doch die war nicht vor Ort. Daher unterbrach Richter Greifenstein den Prozess, um ihn später mit einer arabischen Dolmetscherin fortzusetzen – und der mehrfach Angeklagte konnte den Gerichtssaal erst einmal ohne Urteil verlassen.
