„Das ist außergewöhnlich“
Rekord-Temperaturen lassen Natur aufblühen: Warum das für die Landwirtschaft gefährlich ist
Für die Jahreszeit viel zu warm: Der Natur gefällt das. Die Pflanzen in Feld und Flur sprießen. Die Obstbäume stehen in voller Blüte. Doch für die Landwirtschaft kommt das alles zu früh. Denn sie hat noch jede Menge aufzuarbeiten.
Mühldorf – 2023 war das heißeste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn, hat die Weltorganisation für Meteorologie festgestellt. Immer neue Tageshöchstwerte werden aus den Weltmeeren gemeldet. Und auch hierzulande jagt ein Temperaturrekord den nächsten. Wann war es bitteschön im April so heiß wie in diesen Tagen? Und welche Auswirkungen hat das auf die Natur?
Wärme lässt die Bäume explodieren
Antworten auf diese Fragen liefert der Obmann des Bayerischen Bauernverbandes aus Mühldorf, Ulrich Niederschweiberer, der nach den hochsommerlichen Temperaturen in den vergangenen Tagen feststellt: „So früh dran waren wir noch nie! Die warmen Tage haben die Bäume explodieren lassen. Die Obstbäume sind in die Vollen gegangen, das ist außergewöhnlich.“
Seine Hoffnung: Sollten Mitte Mai – vom 11. bis zum 15. Mai – noch die Eisheiligen an die Türe klopfen, schadet es den Blüten wahrscheinlich nicht mehr.
Niederschweiberer beklagt Verluste im Jahr 2023
„Wenn die Blüten bestäubt sind, wenn die Frucht dran hängt, richtet der normale Frost keinen Schaden mehr an“, meint er nach den Ausfällen 2023. Da hatten die Bäume Anfang Mai geblüht. Prompt kam der Frost. Der Ertrag bei den Zwetschgen war bescheiden. „Die Eisheiligen haben sich leicht verschoben. Wir hatten schon Jahre, da sind sie gar nicht mehr gekommen, nachdem die Temperaturen vorher schon so hoch waren“, hofft der BBV-Obmann auch heuer.
Die ersten Löwenzahnblüten habe er schon vor zwei Wochen gesehen. Der Raps leuchtet zwei Wochen früher als erwartet in vollem Gelb. Und Zwischenfruchtgräser, wie etwa Kleegras, seien um vier Wochen zu früh dran. „Die ersten Landwirte silieren schon“, sagt Niederschweiberer, der grundsätzlich keinen Nachteil darin sieht, dass die Natur grad in die Vollen geht. „Aber wir Landwirte kommen halt mit der Arbeit nicht mehr nach!“ Gülle ausfahren, die Felder für den Mais vorbereiten. Das sind die Arbeiten, die jetzt erfolgen sollten.
Die Frage nach dem Regen
„Wie entwickelt sich die Witterung weiter? Wann kommt der nächste Regen? Und wie viel?“, das beschäftigt Niederschweiberer schon jetzt. Feucht und nass sei man aus dem Winter gekommen. Jetzt befinde man sich bereits in der trockenen Phase. Das erlaube immerhin schon das Arbeiten auf dem Feld, ohne die Struktur zu schädigen.
Wie die Bäume auf Hitze und Trockenheit reagieren, dazu hat der Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins aus Neumarkt-St. Veit, Lorenz Kreuzpointner, seine Beobachtungen gemacht. Selbst wenn die Früchte die Kälte im April und Mai überstanden hätten, drohten bei Trockenheit Verluste. „Die Bäume trennen sich von ihren Früchten, werfen sie ab, damit sie überleben können!“ Heuer sei die Blüte viel zu früh. „Wenn jetzt Frost kommt, erfrieren die Fruchtansätze kaputt und es gibt weniger Obst.“
Bienen fliegen nicht bei jedem Wetter
Er weiß: Der Bienenflug setzt erst ab einer Temperatur von 10 bis 12 Grad Celsius ein. Bis Mai 2023 sei es noch sehr nass gewesen: „Da haben die Bäume geblüht, aber es sind keine Insekten geflogen, die bestäubt hätten. Ohne Bestäubung wenig Frucht.“
Wenn er heute aus dem Fenster blickt, ist er zunächst zuversichtlich: Die Blüten sind offen, die Insekten bestäuben, nach Frost sehe es gerade nicht aus. „Aber bis Mitte Mai, bis zu den Eisheiligen, kann noch viel passieren!“
Skepsis auch beim Profi
Obstbauer Franz Poller aus Ampfing sieht die frühe Blüte mit einer gehörigen Portion Skepsis. Je früher im Jahr, umso größer auch die Gefahr von Frost in den Nächten. Und da gibt es noch einige bis Mitte Mai.
Poller bringt die Eisheiligen ins Spiel, erinnert sich daran, dass früher die Hauptblüte von Früchten tatsächlich erst im Mai erfolgt sei. Jetzt seien die Früchte um 14 Tage bis drei Wochen zu früh dran. „Und das ist gefährlich“, kann er seine Befürchtung nicht verhehlen, dass der Frost den Bäumen auf den Plantagen von Pollers Früchtegarten bei Ampfing noch zusetzen könnte. Die Zwetschgen hätten schon geblüht, jetzt sind die Kirschen an der Reihe und auch die Birne mischt schon mit.
Frostschutzbewässerung kann helfen
Wenn die Temperatur unter den Gefrierpunkt rutscht, weiß sich der passionierte Obstbauer zu helfen. Wasserschläuche sind rund um die Plantagen verlegt. „Zur Frostschutzbewässung“, erklärt der 75-Jährige. Kündigt sich Frost an, wird der Boden unter den Bäumen gewässert. Die Bodenwärme strahle nach oben ab, die Blüte ist vor Frost – unter minus vier Grad Celsius wird es kritisch – geschützt. „In 15 Jahren brauchten wir diese Methode nur in einem Jahr nicht anwenden“, stellt Poller fest.
Man kann auch die Blüten mit Wasser besprühen. Das Eis legt sich wie ein Schutzpanzer über die Blüten und hält die Temperatur bei null Grad Celsius.
Neue Blätter im Herbst und Schnee im Juni
Die Wetterkapriolen kann man als Aprilwetter abtun. Doch die Wetterphänomene sind vielschichtig. Niederschweiberer berichtet davon, dass sein Kastanienbaum schon mal im Herbst neue Blätter gebildet hat, „nachdem er die alten abgeworfen hatte“. Und Poller hat eine Anekdote parat: In Traunstein habe es mal so geschneit, dass er heute noch weiß wann. „Das war am 2. Juni. Ich ging in die 7. Klasse. Und der Lehrer hat gesagt, das sei ein so einschneidendes Erlebnis, das sollte man nicht vergessen!“
Und der Borkenkäfer liegt schon auf der Lauer
Im Winter hat es viele Windwurfschäden gegeben, die Aufarbeitung des Schadholzes ist noch lange nicht abgeschlossen. „Der Nassschnee im Dezember, danach die Stürme. Da hat es alte und junge Stämme erwischt“, das bereitet Dr. Martin Kennel, Leiter der Unteren Forstbehörde im Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Töging, große Sorge. Man könne darauf warten, dass der Borkenkäfer ausfliegt. Die Schäden in den vergangenen drei, vier Jahren waren verheerend.
Ein Wettlauf gegen die Zeit. Die umgeworfenen Bäume sind potenzielles Brutmaterial für den Borkenkäfer. Ab 16 Grad Celsius schwärmt der Käfer aus, sagt Dr. Kennel. Fallen für Borkenkäfer seien am 1. April aufgestellt worden, um dessen Verbreitung zu dokumentieren, es liegen noch keine Ergebnisse vor. Die beste Prävention gegen den Käfer? „Langfristiger Waldumbau. Auf Mischwälder setzen“, rät Kennel, seit Jahren sei dies die Empfehlung, auch im Zuge des Klimawandels.


