So kam es dazu
„Alter Schwede“! Künstler Peter Syr (78) lebt in Haag seinen Traum – im alten Klassenzimmer
Von Lernstress und Hausaufgaben zur schwedischen Oase: Peter Syr aus Haag hat sein altes Klassenzimmer in ein skandinavisches Zuhause verwandelt. Wie es dazu kam und warum der Künstler mit 78 Jahren immer noch Ausstellungen plant.
Haag – Gar nicht so einfach ist Peter Syrs Wohnung in Haag zu „erklimmen“ – denn der 78-jährige Künstler wohnt im alten Schulhaus in der Marktgemeinde. Um dort hineinzugelangen, müssen erst einmal eine Menge Treppenstufen überwunden werden. Doch für Peter Syr „kein Problem“, denn diese Stufen kennt der freischaffende Künstler schon von Kindesbeinen an – ist er doch hier selbst zur Schule gegangen. Genauer gesagt wohnt er in nun seinem alten Klassenzimmer.
Davon ist aber nichts mehr zu sehen, im Gegenteil. In der Wohnung hat mittlerweile Schweden Einzug gehalten. In der Mitte der Küche steht ein massiver Esstisch mit weißen Stühlen, drumherum weiße Vitrinen, Kommoden, Beistelltischchen, in den Regalen sind Porzellangefäße, Teller und Suppenterrinen – fast ein bisschen wie bei Ikea. Mittendrin wuselt Angie Loncle, die Ehefrau von Peter Syr. Sie liebt es, Räume einzurichten und das sieht man. Selbst die Rollläden hat die ehemalige Fachlehrerin selbst bemalt. Bei Pinterest teilt sie ihre Leidenschaft, über 600 Follower hat sie schon.
Seit 45 Jahren ein Paar
Vor acht Jahren sind Peter Syr und seine Frau nach Haag zurückgekehrt. Davor haben sie rund 30 Jahre in Schweden gewohnt, „doch jetzt hat das Alter zugeschlagen“, sagt der 78-Jährige lachend. Deswegen verbringt das Ehepaar nur noch die Sommer in Skandinavien. Ihr Haus mit großem Grundstück haben sie verkauft und sich stattdessen ein „Häuschen“ in Schweden angeschafft. Das restliche Jahr über sind sie ihn Haag. Dort haben die beiden durch Zufall die Wohnung im alten Haager Schulhaus ergattert. „Das hat einfach gepasst“, sagt der 78-Jährige. Seit 45 Jahren sind Peter Syr und Angie Loncle ein Paar, seit sechs Jahren verheiratet. „Es war dann doch mal Zeit“, erzählen die beiden lachend. In Schweden sei es außerdem üblich, dass ein Paar, das zusammenlebt, als verheiratet angesehen werde. „In Deutschland nicht. Deswegen haben wir uns jetzt doch noch getraut“, sagt Loncle.
Die große Liebe zu Skandinavien entdeckte das Ehepaar schon vor Jahrzehnten. In jungen Jahren fuhren sie mit dem Bulldog rund 10.000 Kilometer ans Nordkap – ein echtes Abenteuer. Grundsätzlich scheinen es die beiden eher unkonventionell zu mögen. So ritt Peter Syr auch schon mal mit dem Pferd durch das ehemalige Jugoslawien und auch der Orkan, in den die beiden beim Segeln geraten sind, ist ihnen noch gut im Gedächtnis, erzählen die beiden.
„Sehnsucht nach Schweden“
Doch die „Sehnsucht nach Schweden“ ließ sie nicht los. Und so entschieden sich Syr und Loncle, die Heimat zu verlassen und nach Skandinavien „mitten in den Wald“ zu ziehen. Auch die Mentalität der Menschen gefiel ihnen. „Es sind ehrliche Leute. Tolerant, locker, ähnlich wie die Bayern“, erzählt der 78-Jährige. Was ihm besonders gut gefällt: „Man kann mehr oder weniger tun, was man will. Es gibt keinen Ärger mit den Nachbarn, wenn man zu laut ist“, sagt er. „Ich weiß noch, ich wollte im Wald eine Hütte aufstellen und war nicht sicher, wo mein Grundstück aufhört und das meines Nachbarn anfing. Als ich mich bei ihm erkundigt habe, ob das in Ordnung ist, hat er sich gewundert, warum ich überhaupt frage“, berichtet er. „Alles ganz locker dort“.
Beruflich bedingt pendelte Syr zwischen Skandinavien und München. „Ich war drei Wochen hier, dann vier Wochen in Schweden. Meistens bin ich den halben Tag gefahren, auf der Fähre konnte ich schlafen und dann wieder weiterfahren“, sagt er.
Seit 1991 als freiberuflicher Künstler unterwegs
Der gelernte Fein- und Flugzeugmechaniker änderte 1972 seinen Beruf und sein Leben. Er war lange Jahre Mitarbeiter im Filmmuseum, organisierte viele Veranstaltungen, war Ausstellungsleiter im Münchner Stadtmuseum und leitete zuletzt die Abteilung „Kulturelle Ausländerarbeit“ im Kulturreferat in München, bis er mit 46 Jahren seinen Job im öffentlichen Dienst beendete. Seit 1991 arbeitet Peter Syr als freiberuflicher Künstler. Er widmete er sich der Konzeption zahlreicher Ausstellungen und Museen in mehreren Ländern, beispielsweise „Der Bulle von Tölz“ in Tölz und in Katthult in Schweden zum „Michel aus Lönneberga“.
Der 78-Jährige ist auch bekannt als „der Experte“ für Karl Valentin. Die Werke des 1948 verstorbenen deutschen Komikers, Autors und Filmproduzenten beeindrucken den Haager bis heute. „Er war Philosoph, Denker und Schauspieler. Karl Valentin hat ein Genre begründet, das heute als ‚Infotainment‘ bekannt ist“, zeigt sich Peter Syr begeistert. „Bevor Karl Valentin kam, haben die Leute beim Kinoprogramm nur Rotz und Wasser geheult. Noch vor Charlie Chaplin hat er die Komödie auf die Leinwand gebracht. Das gab es vorher überhaupt nicht“, sagt der Haager.
Bereits in den 70er Jahren forschte Peter Syr als Mitarbeiter des Münchener Filmmuseums nach verschollenen Filmen und wurde in Archiven der DDR und Russlands fündig. 1978 gab er das Buch „Karl Valentins Filme“ heraus und konzipierte zahlreiche Ausstellungen.
Nächstes Projekt schon am Start
Das nächste Projekt: „Mysterien eines Frisiersalons“, der Film von Karl Valentin und Bert Brecht aus dem Jahr 1923. Der einzige Film, bei dem Bert Brecht mit Erich Engel Regie führte. Die großformatige Ausstellung eröffnet am 18. Juli und ist 24 Stunden lang im Innenhof am Isartor in München zu sehen. „Im November habe ich mit dem Konzept dafür angefangen und bin immer noch dabei“, sagt er begeistert. Erzählt werden die „Mysterien eines Frisiersalons“ wie ein Comicstrip, an dem auch QR-Codes angebracht sind, sodass „jeder, der mag, die Szene direkt anschauen kann“. Den Originalfilm, der „stark beschädigt ist“, hat Peter Syr digital rekonstruiert. „Das ist heutzutage kein Problem mehr.“
Ans Aufhören hat der Haager zwar schon gedacht, aber „die Kreativität lässt sich bisher noch nicht abschalten“, sagt er lachend. Noch immer habe er viele Ideen und denke sich: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Die Kreativität sei für ihn ein besonders hohes Gut. Deswegen finde er es auch „eine Katastrophe“, dass Kunst und Musik im Unterricht aufgrund der neuesten PISA-Studie gekürzt werden soll. „Das Potenzial der Schüler muss gefördert werden“, sagt er. „Das betrifft nicht nur die Kunst. Jeder Ingenieur muss kreativ sein. Wo soll man es sonst lernen, wenn nicht in der Schule?“





