Wenn Alleinlebende plötzlich versterben
„Konnte mich nicht verabschieden“: Haagerin erzürnt über Einäscherung ihrer Nachbarin
Nach dem plötzlichen Tod ihrer Nachbarin erlebt Hilde Heuer aus Haag einen Schock. Trotz mehrmaliger Nachfrage beim Standesamt erfährt sie zu spät, dass ihre Nachbarin bereits eingeäschert und beerdigt wurde. Was passiert ist.
Haag – Über 60 Jahre wohnt Hilde Heuer schon in Haag – und fühlt sich sehr wohl. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft kennt sie praktisch alle Anwohner. „Jeder hilft jedem, wenn Not am Mann ist“, sagt sie. Für Heuer „ganz normal“. Deshalb hat sie in den vergangenen Jahren auch ihrer 83-jährigen Nachbarin unter die Arme gegriffen. Eingekauft, Überweisungen erledigt, „einfach ein bisschen nach ihr geschaut“. Für die 71-Jährige „kein Problem“, im Gegenteil. „Meine Nachbarin war vielleicht nicht die Redseligste, aber sie war immer gut aufgelegt. Ich habe nie ein schlechtes Wort von ihr gehört“, erzählt sie.
Doch dann der Schock: „Am 17. Januar erhielt ich einen Anruf vom Rettungsdienst. Ich soll nach meiner Nachbarin schauen, hieß es am Telefon. „Sie hatte eine Notrufklingel, die sie betätigen und somit Hilfe rufen konnte“, erklärt die Haagerin. „Ich lief schnell rüber, da kam sie mir im Flur mit dem Rollator schon entgegen und meinte, ihr gehe es gar nicht gut“. Heuer alarmierte den Notruf und ihre 83-jährige Nachbarin wurde ins Krankenhaus nach Ebersberg gebracht. „Ich habe sie dann noch zweimal in der Klinik besucht. Sie war ansprechbar“, weiß die ehemalige Steuerberaterin noch. Doch kurz darauf erhielt sie einen Anruf: Ihre Nachbarin sei verstorben.
Nachfrage beim Standesamt
Heuer war tief erschüttert. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt die Haagerin. „Sie war zwar schon 83 Jahre alt, aber sie war noch rüstig.“ Die Rentnerin fragte im Krankenhaus nach, wie die nächsten Schritte aussehen würden, vor allem im Hinblick auf die Beisetzung ihrer Nachbarin. Es sei ihr mitgeteilt worden, dass das Standesamt in Haag alles Weitere in die Wege leiten würde, da die Verstorbene keine Angehörigen habe.
Daraufhin wandte sich Heuer an den Leiter des Haager Standesamts, Markus Trieb. Das erste Mal am 2. Februar. „Er war sehr freundlich und teilte mir mit, dass er noch nicht wisse, wie mit der Verstorbenen weiter verfahren würde“, berichtet sie. Nach wenigen Tagen, am 9. Februar, meldete sich die Haagerin erneut bei Trieb. Wieder sei sie vertröstet worden mit den Worten, man wisse noch nichts. Am 16. Februar rief die 71-Jährige noch einmal im Standesamt an. „Herr Trieb war am Telefon. Er entschuldigte sich bei mir und erklärte, es sei alles schon erledigt worden. Meine Nachbarin sei bereits eingeäschert und in das Urnengrab neben ihren Mann gekommen“.
„Hier geht es um Moral“
Heuer ist bis heute fassungslos. „Es gab keine Beerdigung, keine Beisetzung, nichts“, sagt sie kopfschüttelnd. „Nicht einmal eine Todesanzeige in der Zeitung“ – und das, obwohl die Verstorbene über 40 Jahre in Haag gewohnt habe. Um ihrem Ärger Luft zu machen, ging sie persönlich zum Standesamt, um die Situation aufzuklären. „Eine Mitarbeiterin meinte, es wäre im kleinen Kreis beschlossen worden, so zu verfahren. Dann fragte sie mich: Hätten Sie denn die Kosten übernommen?“, berichtet die Rentnerin. „Hier geht es doch nicht um Geld, hier geht es um Moral“, betont sie. Außerdem hätte ein Blick ins Grundbuch gereicht, um die finanzielle Lage ihrer verstorbenen Nachbarin zu prüfen und zu erkennen, „das genügend Geld da ist“, verdeutlicht Heuer.
Weiter habe die Mitarbeiterin zu ihr gesagt: „Wenn es keine Angehörigen gibt, müssen wir dementsprechend handeln“. Doch Heuer lässt diese Ausrede nicht gelten: „Ich war ja da!“, macht sie deutlich. Mehrfach habe sie sich gemeldet, ihre Telefonnummer hinterlassen und klargestellt, dass ihre verstorbene Nachbarin Menschen an ihrer Seite gehabt habe, die sich wie Angehörige gefühlt hätten. Die Haagerin kann bis heute nicht glauben, dass ihre Nachbarin „einfach so“ eingeäschert wurde. „Ich konnte mich nicht einmal verabschieden, keiner von uns in der Nachbarschaft“, bedauert sie.
Das sagt das Standesamt
Markus Trieb, Leiter des Standesamts, zeigt „vollstes Verständnis“ für die Gefühlslage von Hilde Heuer. Aber: „Uns sind in diesem Fall die Hände gebunden“, erklärt er, „denn die Gemeinde darf keine Informationen über Verstorbene herausgeben, wenn die Angehörigen nicht verwandt oder verschwägert sind“.
Trieb bestätigt, dass er mehrfach mit Hilde Heuer telefoniert habe. Dabei sei ihr jeweils das mitgeteilt worden, was er zu diesem Zeitpunkt gewusst habe. Gleichzeitig habe seine Kollegin mit dem Bestatter gesprochen, der „alles in die Wege geleitet hat“. Auch die Mitarbeiter des Standesamts hätten nicht gewusst, wann die Einäscherung stattfinde. „Erst als dies geschehen war, meldete sich der Bestatter bei uns“, erklärt Trieb.
Danach habe Hilde Heuer erneut angerufen und er habe ihr den aktuellen Wissensstand mitgeteilt. „Es hat sich also zeitlich überschnitten und von Rechtswegen war es mir untersagt, Frau Heuer Informationen über ihre verstorbene Nachbarin mitzuteilen“, sagt der Standesamtsleiter. „Es ist äußerst ungünstig gelaufen für alle Beteiligten“, bedauert er. „Aber, wie gesagt, uns sind in einem solchen Fall die Hände gebunden.“ „Frau Heuer bleibt aber immer noch die Möglichkeit, eine Messe beim Pfarrer zu beantragen oder in der Kapelle am Friedhof von der Verstorbenen Abschied zu nehmen“, sagt er.
Grundsätzlich kann Trieb allen Bürgern nur raten, sich zu Lebzeiten um die eigene Beerdigung zu kümmern. Es gebe zahlreiche Institute, bei denen das möglich sei. So könne das Standesamt über den Bestatter – der als einziger in der Marktgemeinde das Bestattungsrecht innehabe – und die dort hinterlegten Unterlagen erfahren, was sich Verstorbene wünschen würden und dies dementsprechend umsetzen.
Bestattung zu Lebzeiten regeln
Christoph Keldenich, Geschäftsführer von der Verbraucherinitiative Bestattungskultur „Aeternitas e.V.“ empfiehlt ebenfalls, die Beisetzung zu Lebzeiten schon zu regeln, am besten „mit einer Verfügung, also einer festgehaltenen Regelung, wie man selbst bestattet werden möchte“, so Keldenich. „Hierin sollte so detailliert wie gewünscht festgelegt werden, wie man beerdigt werden möchte – und auch, wer sich darum kümmern soll. Rechtlich betrachtet wird hier das sogenannte Totensorgerecht auf eine bestimmte Person übertragen, die sich dann kümmern darf und auch muss“, erklärt er. „Gerade bei Menschen ohne Angehörige ist eine solche Verfügung – ähnlich wie einen Patientenverfügung – sehr sinnvoll. Aber es muss dann immerhin eine Vertrauensperson aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis geben, die die Angelegenheit – auch finanziell – übernehmen will“, so Keldenich.
„Denkbar und gar nicht selten ist die Lösung über einen sogenannten Bestattungsvorsorgevertrag, den man schon zu Lebzeiten mit einem Bestattungsunternehmen abschließt. Hierbei wird dann die gesamte Beisetzung durchgeplant und – wenn gewünscht – auch bezahlt. Der Bestatter übernimmt dann die Beisetzung nach den festgelegten Wünschen. Ihm kann im Vertrag ebenso das Totensorgerecht übertragen werden“, erläutert der Geschäftsführer. „Die Probleme liegen dann eher im praktischen Bereich. Insbesondere muss die Verfügung, beziehungsweise der Vorsorgevertrag gefunden werden, wenn der Tod eingetreten ist“, sagt der Experte.
