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Zeitzeugen-Abend im Garser Pfarrheim

„Nicht jammern, sondern hoffen“: Zeitzeugen berichten in Gars von ihrer Vertreibung aus der Heimat

Die Berichte der drei Zeitzeugen Horst Hubl, Steffi Franzler und Pater Dr. Augustin Schmied stießen auf großes Interesse. Das Garser Pfarrheim war voll besetzt.
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Die Berichte der drei Zeitzeugen Horst Hubl, Steffi Franzler und Pater Dr. Augustin Schmied (rechtes Bild, vorne von links) stießen auf großes Interesse. Das Garser Pfarrheim war voll besetzt.

Angekommen, aufgenommen, geblieben: Die drei Zeitzeugen Steffi Franzler (85), Horst Hubl (80) und Pater Augustin Schmied (92) erzählen im Garser Pfarrheim ihre bewegende Geschichte über Flucht und Vertreibung. Warum man nie die Hoffnung aufgeben darf und wie die fremde Umgebung zum neuen Zuhause wurde.

Gars – Drei Zeitzeugen, drei Schicksale, drei Lektionen in „Oral history“, so könnte man den Abend überschreiben, der Hörer aus nah und fern ins Pfarrheim Gars führte. Steffi Franzler (85), Horst Hubl (80) und der Garser Redemptorist Pater Dr. Augustin Schmied (92) teilten ihre von Flucht und Vertreibung geprägten Lebenserinnerungen in den turbulenten Nachkriegsjahren mit einem großen Publikum.

Im moderierten Gespräch mit der Historikerin Ulrike Zöller erzählte Steffi Franzler von der Vertreibung ihrer Familie aus dem böhmischen Ottau bei Krummau/Krumlov. Neun Monate war die Mutter in einem Lager interniert und von der Familie getrennt, zur Last gelegt wurde ihr, dass der zum Krieg einberufene Vater „Hitler-Anhänger“ sei. 1946 wurde die Familie ausgewiesen, über Furth im Wald kamen sie nach Frabertsham, wo man bei Bauern wohnte.

Wichtig war eine angefertigte Kiste mit Habseligkeiten, das erste Möbelstück in der Fremde. Man kam in verschiedenen Unterkünften unter, meist bei Bauern, die, wie Franzler sagte, selbst nicht viel Platz hatten, aber freundlich gewesen seien. Die Mutter brachte die Familie mit Arbeiten auf Bauernhöfen durch, der Vater kam 1947 aus der Gefangenschaft zurück. Franzler erinnert sich an Schulklassen mit 60-70 Kindern und an eine Abiturientin, die die Lehrerausbildung erst noch vor sich hatte.

In Heuwinkl bei Mittergars sesshaft geworden

Nicht ohne Hintersinn und Humor schilderte sie Kurzweiliges wie die Umstellung vom Plumpsklo auf das WC. Nach einer Odyssee der Familie an verschiedenen Wohnorten wurde man in Heuwinkl bei Mittergars sesshaft. Die Mutter war nach dem Tod des Vaters, der an Lungenkrebs starb, mit den Kindern allein. Eine starke Frau sei sie gewesen, nie habe sie auf die Tschechen geschimpft und die Familie habe sie durch Arbeiten auf Bauernhöfen und in Haushalten ernährt, aus „nichts“ habe sie noch gute Speisen machen können. Von Ulrike Zöller nach einem Rat für heute gefragt, sagt Franzler überzeugt: „Heut jammert halt a jeder“, man solle sich an damals erinnern, da habe niemand gejammert.

Den Fragen von Daniel Baumgartner vom Geschichtszentrum Mühldorf stellte sich Horst Hubl. 1944 im Sudetenland geboren, kam er in sehr frühem Alter nach Bayern. Von Mutter und Oma habe er wenig über die Herkunft erfahren, vielleicht auch, weil er, wie er einräumt, nicht sehr großes Interesse daran gezeigt habe. Dann liest er dem gebannt lauschenden Publikum aus einer Urkunde vor: Es ist ein Dokument der deutschen Wehrmacht, die den „trauernden Hinterbliebenen“ den Tod des Vaters, der in den letzten Kriegstagen im März ’45 an Verwundungen „für Führer, Volk und Vaterland“ starb und „mit militärischen Ehren beigesetzt“ wurde, mitteilt. Der Text räumt ein, nur „schwacher Trost in schwerem Leid“ zu sein und schließt mit dem Hitlergruß.

Die drei Zeitzeugen (vorne, von rechts): Pater Dr. Augustin Schmied, Steffi Franzler und Horst Hubl.

Restliche Familie wurde ausgewiesen

Hubl berichtet von der Ausweisung der Restfamilie im Jahr 1946 und von der Trennung an einem Bahnsteig: Er kam mit der Mutter in die amerikanische Zone, die Großmutter musste in die russische. Als Bub hat er eine Blutvergiftung überlebt, erinnern kann er sich noch an russische Ärzte in einem Krankenhaus. Unter großen Gefahren hat die Mutter die Großmutter später über die „schwarze“ Grenze in den Westen bringen können.

Die erste Zeit verbrachte man in Pfarrkirchen und Ortlfing, einem kleinen Ort bei Simbach, dann hat man wie andere Flüchtlinge bei Bauern und einmal in einer Bäckerei gewohnt, das sei für ihn als Bub „das Höchste“ gewesen. Überall sei man sehr willkommen gewesen, im Gegensatz zu manch anderen, denn Flüchtlinge seien zum Teil in Familien gekommen, die Sohn oder Vater oder beide im Krieg verloren hatten. Auch gab es Neid nach dem Motto „Jetzt keman die a no daher“.

„I bin a Gascher“

Zum Vergnügen der Hörer erzählt Hubl von ersten Fußballerfahrungen auf dem Bauernhof, mit einem Scheunen-Tor und einer Schweinsblase als Fußball. Den Stiefvater hat die Mutter in Simbach kennengelernt, er arbeitete bei der Garser Firma Schwarzenbeck, die dort ein Stauwerk errichtete. In Gars wohnte die Familie dann auf einem kleinen Hof in Schneckenbichl, die Mutter musste sich in die Landwirtschaft einarbeiten. Auf die Frage Baumgartners, ob er sich heute noch mit dem Sudetenland verbunden fühle, erzählte Hubl, dass er mit der Mutter einmal auf einem Flüchtlingstreffen war, dass man ihr aber abgeraten hat, die alte Heimat zu besuchen. Dann sagt er ohne Zögern mit „I bin a Gascher“, was mit großem Beifall quittiert wurde.

Pater Augustin Schmied, einst Dogmatikprofessor an der Hochschule der Garser Redemptoristen, wurde von Franz Langstein aus Unterreit vom Verein „Für das Erinnern“ befragt. Seine Familie lebte im „Braunauer Ländchen“, heute Broumovsko, an der Grenze zu Schlesien/Polen. Noch heute kommt er ins Schwärmen, wenn er von der hohen Kultur und wechselvollen Geschichte seiner Heimat spricht, die er als Zwölfjähriger mit der sechsköpfigen Familie völlig überraschend, ohne Ankündigung im Mai 1945 „mit Sack und Pack“ verlassen musste.

Die Familie hatte bis dahin in einer Werkswohnung gewohnt, der Vater war Abteilungsleiter einer Textilfabrik. Die Vertreibung – noch vor den Regelungen der Potsdamer Konferenz – war chaotisch. Innerhalb von weniger als 24 Stunden hatte man außerhalb der Landesgrenze sein: für die Familie zunächst ein zielloser Weg nach Polen, ein Herumirren in Schlesien, eine vorübergehende Rückkehr. Die polnische Grenze war zwar teilweise geöffnet, eine der zurückgeschickten Gruppen wurde allerdings ermordet.

Dreitägige Reise im Güterwaggon

Als Franz Langstein nach dem Hass der Tschechen auf die Deutschen fragte, ging man auf die Vorgeschichte mit dem Heydrich-Mord und dem Kriegsverbrechen an der Bevölkerung von Lidice ein. Pater Schmied verwies auf die Dekrete des Staatspräsidenten Beneš, die eine Kollektivschuld der Deutschen propagierten. Nach einer formellen Ausweisung im April 1946 kam die Familie mit 40 Kilo Gepäck nach einer dreitägigen Fahrt im geschlossenen Güterwaggon mit 30 Menschen und 900 weiteren Flüchtlingen in die amerikanische Zone nach Bayern.

Andrang im Garser Pfarrheim: Der Vortrag der drei Zeitzeugen stieß auf großes Interesse.

Der Zug war einer von tausend Zügen, die Flüchtlinge aus dem Sudetenland in den Westen und Osten Deutschlands brachten. Familie Schmied kam über Günzburg, schließlich nach Nürnberg, wo sie in einer Stadtwohnung bei einem älteren Ehepaar einquartiert wurde, heutzutage kaum vorstellbar, meinte Schmied. Zwei Zimmer waren ihnen zugewiesen, am Sonntag früh kam die Frau ins Zimmer, um ihre Sonntagskleidung, die dort verbleiben musste, zu holen.

Von Franz Langstein befragt, was er der heute jungen Generation mit auf den Weg geben würde, bezog sich Pater Schmied auf die Vorrednerin Steffi Franzler: „Nicht jammern, sondern trotz allem weiterhin hoffen“ und tun, was möglich ist – in Erziehung, Ausbildung etc. Wichtig sei, nicht das zu beklagen, was nicht gehe, sondern das, was geht, zu nützen und anzupacken. Anhaltender Beifall zeigte die große Zustimmung des Publikums. Für einen ansprechenden Rahmen der Gespräche sorgten die jungen Musikerinnen und Musiker „D’junga Oidmuidorfa“ und Sophia Stadler an der Harfe, mit moderner Volksmusik.

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