„Grundlegende Anstandsregel“
Frau schreibt E-Mail „wie ein Mann“ – und bekommt Widerworte
Eine Amerikanerin hat genug von leeren Höflichkeitsphrasen und schreibt ihrem Kollegen ganz direkt. Mit dieser Reaktion auf ihren E-Mail-Entwurf hat sie nicht gerechnet.
Statt „Lieber John“, steht da auf einmal nur noch „John“. Auch das „Danke dir!“ und die „Freundlichen Grüße“ verschwinden. Nach und nach löscht eine Frau jedes freundliche Wort aus einer typischen E-Mail, die wohl viele von uns täglich schreiben. „Es ist 2024 – keine Höflichkeitsfloskeln mehr, Babes“, schreibt sie unter das Instagram-Video (siehe unten).
Hinter der Frau steckt Kay Bray aus North Carolina (USA). Sie nennt sich selbst „your work bestie“, gibt Frauen auf Instagram Tipps, wie sie eine Gehaltserhöhung bekommen oder wie sie nach einem Bewerbungsgespräch nachfragen können, warum sie noch keine Rückmeldung erhalten haben. Für ihren knappen E-Mail-Entwurf bekommt sie sowohl Lob als auch Gegenwind aus der eigenen Community.
Freundliche E-Mails: „Wenn Frauen dominant auftreten, verstößt das gegen Erwartungen“
„So schließen wir die Lohnlücke!“, jubelt eine Frau in den Kommentaren. „Warum etwas in zehn Worten sagen, wenn man es auch in drei sagen kann?“, fragt eine andere. Eine Person erzählt, dass sie so schon immer E-Mails schreibe, es aber „als zu knapp“ bemängelt wurde. Andere gestehen, dass es bei ihnen eine Weile gedauert habe, bis sie „wie Männer E-Mails schreiben“ und die „ganzen freundlichen Smileys und Floskeln weglassen“ konnten.
Warum ist das so? Die Psychologin Mona Algner promoviert zum Einfluss von geschlechtsspezifischen Stereotypen (Gender Bias) auf Frauen in Führungspositionen. Sie weiß: „Von Frauen wird in der Regel erwartet, warmherzig und unterstützend zu sein, während Männern eher Durchsetzungsstärke und Dominanz zugeschrieben werden. Wenn Frauen dominant auftreten, verstößt das gegen diese Erwartungen, was negative Reaktionen auslösen kann“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Kritik an „knappen männlichen E-Mails“: „Grundlegende Anstandsregel“
Gleichzeitig erfordere Erfolg aber oft genau diese männlichen Eigenschaften. Nicht umsonst fordert Kay Bray zu „knappen, männlichen E-Mails“ auf. Dafür gibt es sogar einen wissenschaftlichen Namen, nämlich „Self-Group Distancing“. Der Begriff beschreibt, dass sich Frauen in männlich dominierten Umfeldern von anderen Frauen distanzieren, um sich an die oft männlich geprägten Erwartungen an Erfolg anzupassen – nicht aus Konkurrenz, sondern weil das System sie dazu zwinge. „Fix the system, don’t fix the women!“, sagt Algner dazu.
Andere Frauen in den Kommentaren würden ihr wohl zustimmen: „Ich bin hier wahrscheinlich in der Minderheit, aber ich hätte lieber, dass Männer E-Mails wie wir schreiben und nicht umgekehrt“, schreibt eine Frau unter Brays Video. „Als jemand, der ein 25-Millionen-Unternehmen mit 500 Mitarbeitern beaufsichtigt, sehe ich keinen Sinn darin, kalt zu sein“, schreibt eine Unternehmerin.
„Männer sind nicht der überlegene Kommunikationsstandard. Lasst lieber uns führen, was Kommunikation anbelangt“, kritisiert eine Dritte. „Wenn man sich anschaut, wie sie die Welt regieren, ist es vielleicht okay, wenn wir es auf unsere eigene Art machen.“ Schließlich sei „Hallo“, „Bitte“ und „Danke“ zu sagen „keine Floskel, sondern eine grundlegende Anstandsregel“.
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