„Keine Priorität“
Equal Pay Day: „Entgelttransparenzgesetz bringt den meisten Frauen nichts“
Im Jahr 2023 hat sich die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern nicht verkleinert. Die Gleichstellungsbeauftragte Ferda Ataman hat eine Vermutung, warum.
Der Gender Pay Gap, also die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, liegt 2023 bei durchschnittlich 18 Prozent, teilt das Statistische Bundesamt einen Tag vor dem Equal Pay Day am 6. März 2024 mit. Sie hat sich im Vergleich zu 2022 also nicht verkleinert. Ein Großteil dieser Lohnlücke ist darauf zurückzuführen, dass Frauen häufiger in schlechter bezahlten Berufen arbeiten (zum Beispiel arbeiten Frauen eher als Erzieherin als in der IT-Branche) und öfter als Männer in Teilzeit arbeiten.
Für das verbliebene Drittel des Unterschieds von rund sechs Prozent (bereinigter Gender-Pay-Gap) gibt es keine eindeutige Erklärung. Außer der, dass es in Deutschland zu wenig Lohntransparenz gibt, findet Kununu-CEO Nina Zimmermann bei BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA.
„Nach wie vor gilt in Deutschland: Übers Gehalt spricht man nicht“, sagt Zimmermann. „Diese Schweigespirale müssen wir brechen. Um den Gender Pay Gap bekämpfen zu können, müssen Lohnunterschiede und Missstände im ersten Schritt sichtbar gemacht werden.“ Dafür brauche es interne Gehaltsbänder (= Art Tarifvertrag, der das Gehalt in einem bestimmten Bereich des Unternehmens regelt). „Wir glauben, dass deutsche Unternehmen hier noch Nachholbedarf haben“, sagt Zimmermann.
Gehaltstransparenz in deutschen Unternehmen ist „mäßig“
Um für Gehaltstransparenz zu sorgen und den Gender Pay Gap zu überwinden, hat die Politik 2017 das Entgelttransparenzgesetz beschlossen. Es habe für einen „Lerneffekt“ gesorgt, sagt der Sozialwissenschaftler Helge Emmler von der Hans-Böckler-Stiftung BuzzFeed News Deutschland. Besonders zwischen 2018 und 2021 machten immer mehr Menschen von ihrem Auskunftsanspruch Gebrauch und forderten Auskunft über das Gehalt ihrer Kollegen ein.
Heute schätze er die Gehaltstransparenz in deutschen Unternehmen als „mäßig“ ein. „Die Bekanntheit des Entgeltgleichheitsgebots hat unter Beschäftigten abgenommen und nur ein Drittel der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten prüft ihre Entgelte auf Ungleichheit – obwohl sie dem Gesetze nach dazu aufgefordert sind“, sagt er. Mit Blick auf den aktuellen Gender-Pay-Gap lasse sich „nicht annehmen, dass seit Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes nennenswerte Fortschritte erzielt wurden“.
Entgelttransparenzgesetz
Das neue Entgelttransparenzgesetz, das 2017 in Kraft getreten ist, soll Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern verringern. Angestellte haben seit dem ein Recht, das Gehalt ihrer Kollegen anderen Geschlechts in der gleichen Position zu erfahren. Außerdem verpflichtet das Gesetz Arbeitgeber zu betrieblichen Prüfverfahren sowie einer Berichtspflicht zu Gleichstellung und Entgeltgleichheit.
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Hürden bei der Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes
Zimmermann sieht den Grund dafür in den „Hürden bei der Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes“. Neben der immer noch geringen Bekanntheit, seien auch die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch zu hoch. Er bestehe nur für Mitarbeitende bei Unternehmen mit mehr als 200 Angestellten.
Außerdem könne er nur in Anspruch genommen werden, wenn mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts eine gleiche oder gleichwertige Arbeit ausführen. „Leider fällt der Anspruch auf Auskunft aufgrund dieser Voraussetzungen schon für viele Frauen, die in kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten, weg“, kritisiert die Kununu-Chefin.
„Die hohen Hürden für Auskunftsersuche müssen gesenkt werden“, sagt auch Emmler. Für die Prüfung sollten zudem nicht nur simple Median-Vergleiche, sondern „zertifizierte Prüftools vorgesehen werden“, fordert er. „Es ist sonst – selbst bei gutem Willen auf allen Seiten – sehr schwierig, Diskriminierungen als solche zu erkennen.“ Sofern sich die Bekanntheit des Gesetzes weiterhin als „schleppend“ erweise, müsse die Politik auch Sanktionen in Erwägung ziehen.
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Entgelttransparenzgesetz: „Koalition hätte so viel mehr für Frauen tun können“
„Frauen werden nach einer solchen Anfrage wenig vom Gesetzgeber unterstützt“, kritisiert Zimmermann. „Kommt heraus, dass das Median-Gehalt der Kollegen über dem eigenen liegt, passiert erstmal nichts. Arbeitnehmerinnen müssen ihren Arbeitgeber innerhalb bestimmter Fristen verklagen, das bedeutet, sie brauchen einen Rechtsbeistand.“ Auch dies sei eine weitere Hürde.
„Wir haben zwar ein Entgelttransparenzgesetz, aber das bringt den meisten Frauen nichts“, sagt die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, zu BuzzFeed News Deutschland. „Wer traut sich schon, alleine und mit vollem Risiko gegen einen Arbeitgeber oder Konzern zu klagen? Wenn ihnen starke Verbände zur Seite stehen könnten, wäre das eine große Hilfe“, sagt sie.
„Wir brauchen deshalb ein Verbandsklagerecht im Entgelttransparenzgesetz – wie von der Koalition angekündigt, aber leider noch immer nicht umgesetzt. Diese Koalition hätte so viel mehr für Frauen tun können – leider scheinen gleiche Rechte für die Hälfte der Bevölkerung keine Priorität zu haben“, sagt Ataman.
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(Mit Material der dpa)
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