„Wir werden sorgfältig vorgehen“
Bis zu sechs Windräder zwischen Kammer und Otting? Heiße Diskussion auf Bürgerversammlung
Nach dem ausführlichen Rechenschaftsbericht von Bürgermeister Matthias Baderhuber zeigten sich die knapp 70 Besucher der Bürgerversammlung in Otting sehr diskussionswillig.
Waging am See – Viele nutzten vor allem die Gelegenheit, ihre Meinung zu den Windkraftanlagen zu sagen, die die Stadtwerke Traunstein zusammen mit der Firma Reencon nördlich von Traunstein planen. Anwohner aus Otting und Kammer forderten nun, ihre Interessen zu berücksichtigen und in der Marktgemeinde eine öffentliche Informationsveranstaltung mit den entsprechenden Windkraftanlagen-Fachleuten zu organisieren, um ihre Bedenken und Ängste nochmals vorbringen zu können. Den Wortmeldungen zufolge haben sie unter anderem Angst vor der bedrängenden Wirkung einer Großanlage, vor Lärmbelastung, vor der Verringerung der Grundstückswerte, einer Austrocknung des Waldbodens oder etwa vor der Waldbrandgefahr.
Bürgermeister Matthias Baderhuber zeigte Verständnis für die Sorgen der Bürger. Er hob zwar hervor, dass es sich um privilegierte Außenbereichsvorhaben handele, versprach jedoch, in der Verwaltung den rechtlichen Rahmen abstecken zu lassen, inwieweit die Marktgemeinde dabei ein Mitwirkungsrecht oder eine Mitwirkungspflicht hat. Wenn ja, stelle sie das Abwägungsmaterial zusammen und versuche, die öffentlichen und privaten Belange untereinander gerecht abzuwägen. „Wir werden sorgfältig vorgehen“. Dies habe der Marktgemeinderat auch schon im Jahr 2010 gemacht. Schon seinerzeit habe es Pläne für Windräder in Froschham gegeben, die dann nach längerer Planungszeit aber von der Betreiberfirma wieder verworfen worden seien.
Zehn Millionen Euro pro Anlage
In der jetzigen Bürgerversammlung gab es auch eine Reihe von Bedenken hinsichtlich der Umweltauswirkungen und Befürchtungen, dass die Landschaft durch die hohen Windräder verschandelt wird. Zudem wurde mehrfach infrage gestellt, dass ein Windpark finanzielle Vorteile für die Bürger in der Region mit sich bringt.
Im Gebiet östlich des Stadtteils Kammer und im Traunsteiner Stadtwald in Froschham auf Waginger Gemeindegebiet sollen bis zu sechs Windkraftanlagen errichtet werden. Vorgesehen sind drei bis vier Windräder in Froschham und zwei östlich von Kammer. Nach aktuellem Stand kostet jede Anlage etwa zehn Millionen Euro. Für den Bau und Betrieb des Windparks ist die Gründung einer GmbH & Co KG vorgesehen, an der die Stadtwerke und eine noch zu gründende Bürger-Energie-Genossenschaft als Kommanditisten beteiligt sein werden.
Das Gebiet um Froschham ist bereits seit 2015 Windvorranggebiet, aber da in Froschham schon seit langem niemand mehr wohnt, fallen in Zukunft Abstandsflächen weg. Dadurch wird es eventuell möglich, statt ursprünglich zwei, jetzt drei bis vier Windkraftanlagen in dem Gebiet aufzustellen. Dies muss im Planungsverfahren aber noch geklärt werden. Derzeit laufen noch bis Juli 2024 einjährige Windmessungen, die eine Rentabilitätsberechnung ermöglichen sollen.
Stromverzicht würde Windrad überflüssig machen
Die Stadtwerke Traunstein sind bisher nur vom Traunsteiner Stadtrat beauftragt, die Realisierungsmöglichkeiten von Windkrafträdern in diesem Gebiet zu untersuchen. Es stellt sich die Frage, wie gut die Wind-Bedingungen auf diesen Flächen sind, die im Regionalplan als Windkraft-Vorranggebiet Berücksichtigung finden, in dem Windenergieanlagen generell privilegiert sind. Die Optik der Landschaft, aus der riesige Windräder ragen, war eines der Hauptargumente, sich gegen einen Windpark vor der eigenen Haustür auszusprechen. Der Verzicht auf Strom wäre eine sinnvolle Geste, die auch das eine oder andere Windrad überflüssig machen würde, hieß es im Laufe der Diskussion.
Das Einsparen von Strom würde auch Georg Huber, Mitglied des Marktgemeinderates in Waging am See (ÖDP) am besten gefallen. Huber, der zudem Sprecher des Aktionsbündnisses für Bürgerwindräder im Landkreis Traunstein ist, warnte jedoch davor, den bloßen Wunsch zum Vater des politischen Gedankens zu machen. „Sparversuche allein haben schon in der Vergangenheit nicht sonderlich gut funktioniert“, betonte er, als ihn Baderhuber ans Mikrophon bat, da er über Fachkenntnisse im Bereich der Erneuerbaren Energien verfügt. Georg Huber gab dann auch ein Statement zugunsten von Windkraftanlagen ab. Das Potenzial an Windkraft in der Gegend dürfe nicht ungenutzt bleiben. Energie müsse dort, wo sie gebraucht wird, erzeugt werden – klima- und umweltfreundlich, aber auch preiswert. Mit dezentraler Windkraft sei das möglich.
Windräder haben höchste Effizienz
Wie er sagte, werde es immer schwieriger beim Strom einzusparen, da unter anderem E-Autos und Wärmepumpen künftig mehr Strom verbrauchen. Gegen Windkraftanlagen zu sein, bringe die Region bei der Energiewende wohl kaum voran. Es stelle sich vielmehr die Frage, wo der benötigte Strom in Zukunft herkommen solle. Laut Huber haben Windräder bezogen auf die Fläche, die sie verbrauchen, die höchste Effizienz.
„Ein Hektar Biogasfläche kann derzeit circa 23.000 Kilowattstunden (kWh) Strom erzeugen, bei einem Hektar PV-Anlage sind dies schon etwa 700.000 kWh und bei einem Hektar Windkraftfläche sind es rund 18 Millionen kWh. Wenn wir also zum Beispiel in Zukunft 20 Millionen kWh mehr Strom bei uns erzeugen wollen, können wir dies mit circa 870 Hektar Biogasfläche, mit 28,5 Hektar PV-Fläche oder mit nur einem Hektar Windkraftfläche machen“, so Georg Huber. Gerade dieser vergleichsweise geringe Flächenbedarf sei für ihn eines der wichtigsten Argumente für die Nutzung der Windenergie.
Ihm sei aber auch wichtig, dass man alle drei Formen der erneuerbaren Energien bräuchte, da sie sich gut ergänzen könnten. „PV-Anlagen liefern den Strom im Sommer, im Winter und bei Dunkelheit ist es eher der Wind.“ Die zusätzliche Verstromung von Biogas biete dann eine Möglichkeit, Produktions-Schwankungen im Angebot von Wind- und Solarstrom auszugleichen. Das sorge für eine stabile Versorgung. Die sechs möglichen Windräder im Norden von Traunstein seien voraussichtlich in der Lage pro Jahr etwa 60 Millionen Kilowattstunden klimafreundlichen Strom zu erzeugen. Die Stadtwerke rechnen damit, dass sie künftig ungefähr 100 Millionen Kilowattstunden für ihr Versorgungsgebiet brauchen. „Und diesen Strom sollten wir auch in der Region selbst herstellen.“
Dies sei ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz in der Gegend. Jenen Teil der Wälder, den man zum Bau der Windkrafträder rode, müsse man an anderer Stelle wieder aufforsten, der Eingriff verlange eine Ausgleichsfläche. Derzeit böten die Betreiber einer Anlage den Kommunen pro erzeugter Kilowattstunde 0,2 Cent. Es handle sich um Geld, das in die öffentlichen Kassen fließe. „Ich gehe auch davon aus, dass die Vorhaben in Traunstein gut durchgerechnet und wirtschaftlich rentabel sind.“ Allerdings setze er sich auch dafür ein, dass die Bürger der beiden betroffenen Kommunen und ihre Rathäuser Teilhaber an den geplanten Stromgewinnungsanlagen werden können. Die finanzielle Beteiligung erhöhe die Akzeptanz bei den Bürgern. Jeder solle ein Stück vom Kuchen abbekommen. „Es gibt immer ein unternehmerisches Risiko, jeder kann mitmachen, niemand muss es.“ Überdies machte Georg Huber deutlich, dass Höhenwinde stärker und konstanter wehen, was die Windernte ertragreicher mache.
Fast so hoch wie der Olympiaturm
Marktgemeinderatsmitglied Georg Seehuber gab hingegen zu bedenken, dass hier Windräder von 250 Metern Gesamthöhe im Gespräch seien, die dann fast so hoch sind wie der Olympiaturm in München, der 291 Meter in den Himmel ragt. „Angesichts dieser enormen Größen werden wir uns die Entscheidung sicher nicht leicht machen“, meinte er. Zuvor hatte sich ein Versammlungsteilnehmer an den Marktgemeinderat gewandt und gebeten: „Bitte seid vorsichtig“. Es gebe nämlich auch viele Windkraftanlagenbetreiber, die insolvent gehen, zahlungsunfähig werden.
Er zeigte sich zudem überzeugt, dass es in ganz Bayern keinen vergleichbaren Windpark mit so hohen Windrädern gebe, der außerdem so nahe an eine Wohnbebauung heranrücke, wie der auf Waginger Gemeindegebiet. „Wir wären dann der Präzedenzfall.“ „Prüft bitte, ob die Sache überhaupt Sinn macht.“ Seinem Mahnen zur Vorsicht folgte dann prompt ein Riesen-Applaus aus dem Publikum.
Ein Versammlungsbesucher wollte wissen, ob es eine Erklärung dafür gibt, dass sich Traunstein auf Froschham und auf seine Stadtgrenze zu Waging konzentriert, da die Stadt doch an anderer Stelle genügend Flächen habe. Georg Huber erwiderte, dass sich die Grundstückseigentümer bereiterklären müssten, mitzumachen. Schon im Jahr 2010 seien diverse Firmen auf verschiedene Grundstückseigner zugegangen. Ein weiterer Zuhörer sprach sich dafür aus, anstatt sechs riesige Windräder lieber mehrere kleinere zu bauen. Errichten solle man diese auf den zahlreichen Hügeln und Berge der Umgebung zum Beispiel auf dem Mühlberg in Waging.
1,8 Prozent der Flächen in Bayern für Windkraft
Baderhuber stellte jedoch klar, dass es Vorranggebiete gibt und dass nicht die Seengemeinde bauen will, sondern die Stadtwerke in Traunstein. „Es muss auch jeder selbst wissen, ob und wie er sein Geld anlegen will“, erwiderte er auf die Forderung aus dem Publikum, die Gemeinde müsse ihre Bürger vor Investitionen in Windkraft warnen. Bürgermeister Baderhuber wies auch darauf hin, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bis zum Jahr 2032 die Ausweisung von 1,8 Prozent der Flächen in Bayern für die Windkraft verlange und man deshalb derzeit in allen Landkreisen weitere Windvorrangflächen suche.
Eine Versammlungsteilnehmerin warf Georg Huber dann vor, dass er schon argumentiere wie ein Städteplaner, „welche die schönen alten Innenstädte zerstört haben, nur damit die Autos genug Platz zum Fahren und Parken haben“. Eine Rednerin vertrat die Meinung, dass heutzutage viel zu viel Strom verbraucht werde. Zur Steigerung der Produktion nehme man jede erdenkliche technische Lösung in Kauf „und dies alles nur, damit wir unseren gewohnten und anspruchsvollen Lebensstil beibehalten können“.
Eine andere Frau machte deutlich, dass diese Art der Energieerzeugung vielleicht doch nicht ganz so umweltfreundlich sei, wie sie allgemein dargestellt werde. Erneuerbare Energien sollen die Umwelt schonen, doch paradoxerweise leisten gerade Windkraftanlagen einen Beitrag zur Abholzung des Amazonas-Regenwaldes. Der Grund dafür sei, dass man für die Rotorblätter oft Balsaholz verwende, das hauptsächlich aus Ecuador komme. Für ein Rotorblatt zwischen 80 und 100 Metern Länge benötige man 150 Kubikmeter Holz, also 150 Bäume, was mehrere Tonnen entspreche. Darüber hinaus seien enorme Mengen an anderen Rohstoffen wie seltene Erden für den Bau solcher Anlagen notwendig. Um wirklich „sauberen“ Strom zu liefern, müssten die Hersteller die Herkunft der Rohstoffe und die Bedingungen des Abbaus besser überprüfen. „Windkraftanlagen bringen große Rohstoff- und Müllprobleme mit sich.“ Die Rednerin verlangte, dass die Gemeinde klar Stellung bezieht und dem Vorhaben eine Absage erteilt.
Wie effizient sind Windräder?
Georg Huber erklärte daraufhin, dass sogar der Bund Naturschutz ein Befürworter des Ausbaus von Windenergie und Photovoltaik ist. Im Gegenzug unternehme der BN viel, diesen möglichst umweltschonend zu gestalten. Eine Besucherin wollte wissen, in welchem Zeitraum sich Windenergieanlagen amortisieren. „Nach wie viel Jahren ist der Energieertrag einer Anlage gleich der Energie, die zur Anlagen-Herstellung aufgewendet werden musste?“
Ein Windrad sei äußerst effizient. Bereits nach rund fünf bis zwölf Monaten habe ein Windrad so viel Energie erzeugt, wie für seine eigene Produktion notwendig war. Die Lebensdauer liege bei mindestens 20 Jahren, eher 30 Jahren, wobei nach den ersten 20 Jahren dann alle paar Jahre ein Gutachten zu erstellen sei, in dem die Standfestigkeit der Anlage überprüft werde, hieß es. Ehe sich Bürgermeister Matthias Baderhuber schließlich für die Beendigung der öffentlichen Erörterung der geplanten Windkraftanlagen in Kammer und Froschham aussprach, baten ihn einige Bürger, eine Infoveranstaltung zum Thema anzuberaumen. Dem Wunsch will er auch nachkommen.
Das sind die Maße eines Windrades
Ein wesentlicher Aspekt zur Erzeugung von Strom aus Windenergie sind die Maße des Windrades. Je höher die Luftschicht, desto gleichmäßiger ist auch der Wind. Deswegen ist die Stromerzeugung am effizientesten, je höher ein Windrad ist. Lange Rotordurchmesser wirken sich überwiegend positiv auf die Stromerzeugung aus, ergaben Nachfragen.
Durchschnittlich ist der Turm eines Windrades zwischen 40 und 160 Metern hoch. Die Nabe des Windrades (Nasenförmlicher Mittelpunkt der Rotorblätter) befindet sich auf der Turmspitze. Die meisten Windräder haben eine Nabenhöhe von 130 Metern. Neuere Windräder sind heutzutage bis zu 160 Meter hoch.
Die Rotorblätter werden immer länger. Allein eine Verdopplung der Länge führt zu einem viermal so hohen Stromertrag. Aktuell liegt der Rotordurchmesser durchschnittlich bei rund 120 Metern.
Eine weitere Frage aus den Reihen der Zuhörer, die diese erste von insgesamt vier Bürgerversammlungen des Jahres 2024 in Waging besuchten, bezog sich auf den Ausbau des Streckenabschnitts Garscham- Dieperting- Pasee, der starke Bodenwellen aufweist. Georg Seehuber als Straßenreferent der Marktgemeinde bat um Verständnis, dass die Straße nicht sofort hergerichtet werden kann, da andere noch dringlicher seien. „Sie steht aber auf unserer Sanierungsliste.“
Caruso
