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„Cancel culture“ und Antisemitismus

Nach Umbenennung der Grundschule: Was wird aus der Ludwig-Thoma-Straße in Traunstein?

Im Rahmen von Sanierungsarbeiten wurde der problematische Schriftzug der „Ludwig-Thoma-Grundschule“ bereits von der Fassade entfernt. Jetzt stimmte der Traunsteiner Stadtrat einer Umbenennung in „Grundschule Traunstein“ zu.
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Im Rahmen von Sanierungsarbeiten wurde der problematische Schriftzug der „Ludwig-Thoma-Grundschule“ bereits von der Fassade entfernt. Jetzt stimmte der Traunsteiner Stadtrat einer Umbenennung in „Grundschule Traunstein“ zu.

Mit 22:7 Stimmen votierte der Stadtrat in Traunstein für die Umbenennung der Ludwig-Thoma-Grundschule. Vorausgegangen war eine breite Diskussion über Antisemitismus und „Cancel Culture“. Was wird jetzt eigentlich aus der Ludwig-Thoma-Straße? OB Christian Hümmer hat eine klare Meinung.

Traunstein – Als bayerischer Heimatdichter und Verfasser der „Heiligen Nacht“ ist der Schriftsteller Ludwig Thoma (1867 – 1921) hochgeschätzt. Dass er auch eine dunkle Seite hatte und in seinen beiden letzten Lebensjahren als anonymer Verfasser von über 170 Artikeln im Miesbacher Anzeiger zu Antisemitismus und Gewalt bis hin zum Mord aufrief, ist weniger bekannt. Seit einer entsprechenden Veröffentlichung von Wilhelm Volkert, Professor für Bayerische Landesgeschichte, in 1989 kann das Thema jedoch nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden.

Das Thema ist aktuell wie nie

Anlässlich von Thomas 100. Todestags 2021 sorgte die Beschäftigung mit dem Thema in der Ludwig-Thoma-Grundschule in Traunstein für anhaltende Diskussionen. Bei der Namensgebung im Jahr 1984/85 hatte noch die Vorbildwirkung und der Bezug Thomas zu Traunstein im Vordergrund gestanden. Nach intensiven Beratungen von Lehrern und Elternbeirat - auch mit Experten - und einer öffentlichen Podiumsdiskussion hatte die Schule im Juli eine Umbenennung in „Grundschule Traunstein“ bei der Stadt Traunstein beantragt. Diese ist Sachaufwandsträger. Nach ausführlicher Diskussion im Stadtrat stimmten die Räte der Umbenennung in ihrer jüngsten Sitzung mit 22:7 Stimmen zu. Über den Antrag muss jetzt die Regierung von Oberbayern entscheiden.

Schulleiter Alexander Fietz legte noch einmal ausführlich die Gründe dar, die zu der Entscheidung geführt hatten. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Welle von Antisemitismus und Hetze sei die Beschäftigung mit dem Thema aktueller denn je. Fietz hob die zweifellos großen Verdienste Thomas als Schriftsteller hervor. Die „Schärfe seines Wortes“ sei berühmt und könne berühren wie in der „Heiligen Nacht“. Sie sei aber auch dazu geeignet gewesen, wie in den Hetzartikeln „ein Feuer aus Hass und Gewalt zu entzünden“, dessen sich später die Nationalsozialisten bedient hätten.

Maßgeblich für die Organisation des Schulalltags sei der Artikel 131 der Bayerischen Verfassung. Demnach seien nicht nur die Vermittlung von Wissen und Können an die Schüler zentrale Ziele, sondern auch die „Bildung von Herz und Charakter“. Ebenso gehe es um Werte wie die Achtung vor der religiösen Überzeugung Anderer, die Würde des Menschen, die Erziehung im Geiste der Demokratie, die Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk sowie die Völkerverständigung. Bei der Umbenennung der Grundschule gehe es „nicht um die Diskreditierung des Werks von Ludwig Thoma“, sondern er passe „nicht als Vorbild, wenn wir unseren Erziehungsauftrag ernstnehmen“, so Fietz. „Antisemitismus darf nicht akzeptiert werden, in keinem Wort, an keinem Ort und in keinem Zusammenhang.“

Ähnlich positionierte sich auch Oberbürgermeister Dr. Christian Hümmer (CSU). Er sei kein Freund von Umbenennungen oder „cancel culture“, also Absage-, Lösch- und Zensurkultur, sagte er. Deshalb bleibe die Ludwig-Thoma-Straße ebenso wie die Gedenktafel in der Höllgasse – ergänzt um Info-Tafeln zum Kontext - erhalten. Umgekehrt spreche er sich vorbehaltlos für die Umbenennung der Grundschule aus. Angesichts der zwei Seiten Thomas dürfe man „nichts ausblenden oder gegeneinander aufrechnen“. Menschenverachtung und Antisemitismus hätten jedoch „keinen Platz in Traunstein“.

Ausführlich nahm Karl Schulz (CSU) zu den unterschiedlichen Seiten von Ludwig Thoma Stellung. Durch seine Hetzschriften sei er „das Gegenteil dessen an Werteerziehung, um die sich Eltern und Schule täglich bemühen“. Die Namensänderung der Schule beinhalte auch eine politische Botschaft, „dass im Herzen des Chiemgaus kein Ort für antidemokratische Umtriebe, Intoleranz, rassistische Beleidigungen und antisemitische Hetze“ sei.

Robert Sattler (SPD/Die Linke) unterstützte die Ausführungen des Oberbürgermeisters, versagte seine Zustimmung aber, weil ihm die neue Bezeichnung zu unbestimmt sei im Vergleich zu Namen wie Grundschule an der Klosterkirche oder an der Ludwigstraße. Thomas Stadler (Bündnis90/Die Grünen) wollte die Umbenennung nicht als Akt der „cancel culture“ verstanden wissen, sondern als „Ausdruck gelebter Demokratie“. Gerade Kinder bräuchten Persönlichkeiten, die die richtigen Werte vorleben. Simon Schreiber (Traunsteiner Liste) verwies darauf, dass die Umbenennung Wunsch der gesamten Schulfamilie gewesen sei. Diese stehe mit einem Anteil von 40 Prozent Schülern mit Migrationshintergrund vor besonderen Herausforderungen.

Zeichen für Demokratie

Zweite Bürgermeisterin Burgi Mörtl-Körner (Bündnis 90/Die Grünen) und Nils Bödeker (SPD/Die Linke) setzten sich für die passende Wertevermittlung und ein „Zeichen für Demokratie gegen Antisemitismus“ ein. Konrad Baur (CSU) zitierte Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer angesichts der sich geänderten Meinung zum Schulnamen: „Es kann mich niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden.“ Wilfried Schott (fraktionslos) sah im Antisemitismus ein „No-Go“. Er fand es aber unredlich, die Grundschule umzubenennen, die „Ludwig-Thoma-Straße“ dagegen zu belassen. Die Beibehaltung des Namens hätte vielmehr die Chance zur demokratischen Auseinandersetzung geboten. Hans Zillner (CSU) empfand das Fehlen einer Kompromisslösung als unzureichend und votierte mit Blick auf schwierige Bezugsfälle in der Zukunft gegen die Umbenennung.

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