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Ortschef schmeißt wegen Flüchtlingsunterkunft hin

„Anfeindungen nehmen zu“ – Droht eine Rücktrittswelle unserer Bürgermeister?

Von links: Rosenheimer Landrat Otto Lederer und die Bürgermeister Hans Egger (Inzell), Martin Bartlweber (Seeon-Seebruck) und Andreas Scheck (Marquartstein)
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Kommunale Politiker äußern sich zu Anfeindungen. Von links: Rosenheimer Landrat Otto Lederer und die Bürgermeister Hans Egger (Inzell), Martin Bartlweber (Seeon-Seebruck) und Andreas Scheck (Marquartstein).

Der Ton wird schärfer, und die Stimmung schlechter: Anfeindungen gegen Akteure der Öffentlichkeit sind keine Seltenheit. Wie kommunale Politiker mit dem Druck umgehen und ob sich die Situation auch in kleineren Gemeinden zuspitzt.

Rosenheim / Inzell / Seeon-Seebruck / Marquartstein In Markt Schwaben im Landkreis Ebersberg verkündete kürzlich der Bürgermeister Michael Stolze überraschend seinen Rücktritt. Ausschlaggebend seien Anfeindungen und Beleidigungen gegen den Bürgermeister wegen einer geplanten Flüchtlingsunterkunft gewesen. Generell werde der Ton schärfer, bestätigen auch kommunale Politiker aus den Landkreisen Rosenheim und Traunstein.

Anstieg der Anfeindungen

„Ich möchte für mehr Miteinander und Respekt im Umgang werben“, sagt Rosenheims Landrat Otto Lederer. Grundsätzlich könne Lederer feststellen, „dass die Anfeindungen gegenüber Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern zunehmen.“ In den letzten Jahren beobachte er eine Veränderung in den geltenden Umgangsformen und der Diskussionskultur. Diese Veränderungen seien deutlicher zu spüren seit der Corona-Pandemie, sowie durch die ansteigenden Asyl- und Flüchtlingszahlen.

Derzeit sind laut Bayerischem Innenministerium im Landkreis Rosenheim rund 3.400 Flüchtlinge in staatlichen Unterkünften untergebracht. Im Landkreis Traunstein beläuft sich die Zahl auf etwa 2.750. Auch im Landkreis Traunstein kommt es zu Diskrepanzen zwischen Bürgern und Politikern.

Ähnlich überraschend wie Stolzes Rücktritt in Markt Schwaben war im vergangenen Jahr die Ankündigung des noch amtierenden Bürgermeisters Hans Egger aus Inzell, sein Amt frühzeitig niederlegen zu wollen. „So eine Entscheidung macht man sich nicht leicht“, sagt Egger. Anders als in Markt Schwaben liegen die Gründe allerdings nicht in einer hitzigen Auseinandersetzung zur lokalen Flüchtlingspolitik.

Seit 2014 ist Hans Egger Bürgermeister und seit mehr als 28 Jahren für die Gemeinde Inzell politisch aktiv. Für ihn hat sich die Diskussionskultur dahingehend verändert, dass „der Ton etwas schärfer geworden ist“. Generell sei die Kommunikation in der Gemeinde allerdings sehr gut. Sowohl zwischen Bürgern und Politikern als auch parteiübergreifend.

Guter Umgang mit Flüchtlingssituation

Ebenfalls habe die Gemeinde einen guten Umgang mit der Flüchtlingssituation gefunden, was Egger der Arbeit der ehrenamtlichen Helfer zuschreibt. „Persönliche Anfeindungen habe ich keine bekommen“, so Egger. „Man muss mit dem Thema offen umgehen“, meint der Bürgermeister. Es gebe zwar einzelne, die sich Sorgen machen, allerdings sei in einer kleinen Gemeinde wie Inzell auch ein direktes Gespräch möglich, wodurch sich Bedenken oftmals beheben lassen können.

Polarisierte Diskussionskultur

Bürgermeister Martin Bartlweber der Gemeinde Seeon-Seebruck ordnet den Umgang mit Geflüchteten in seiner Gemeinde ähnlich ein. „In der Bevölkerung ist mittlerweile eine hohe Akzeptanz gegenüber den geflüchteten Menschen in unserer Gemeinde zu erkennen“, erklärt der Bürgermeister. „Ohne unsere Ehrenamtlichen, die vermitteln, helfen und immer ein offenes Ohr für die geflüchteten Menschen hier haben, wäre es mit Sicherheit deutlich schwieriger.“

Trotzdem verzeichnet er eine Veränderung im Austausch zwischen Bürgern und Politikern. „Die Diskussionskultur hat sich zunehmend polarisiert und ist aggressiver geworden“, sagt Bartlweber, „statt auf Respekt und konstruktivem Austausch basiert sie häufig auf Angriffen und Beschuldigungen.“ Er habe manchmal das Gefühl, dass es gar nicht mehr um die Sache, sondern allein ums Prinzip gehe. „Dass meine Amtskollegen da auch mal an ihre Grenzen kommen, ist absolut nachvollziehbar.“

Empörung auf Social Media

Dieser Einschätzung stimmt auch Andreas Scheck, Bürgermeister von Marquartstein, zu: „Man merkt, dass die politischen Themen zu einer großen Polarisierung beitragen.“ Die Objektivität habe bei den Bürgern nachgelassen und sei einem hohen Anspruchsverhalten gewichen. „Der hohe Stellenwert, dass wir in Freiheit leben können, ist manchen Menschen nicht mehr bewusst“, so Scheck. Stattdessen beobachte er eine Zunahme an Beschwerden und „Stimmungsmache“. „Das Erschreckende ist, wie schnell sich die Leute eine Meinung bilden.“

Das konnte Andreas Scheck erst kürzlich bei den Protesten der Bauern erleben. Als zwei Traktorfahrer in unmittelbarer Nähe des Rathauses den Übergangsbereich einer Fußgängerampel mit ihren Fahrzeugen blockierten, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Bürgermeister Andreas Scheck und den Demonstranten. Nachdem der Bürgermeister die Bauern zur Weiterfahrt aufgefordert hatte, veröffentlichte einer der Traktorfahrer im Anschluss ein Video auf Social Media. Daraufhin kamen laut Scheck etwa 50 Landwirte mit ihren Traktoren zum Rathaus und beschimpften den Bürgermeister.

Auch nachdem Scheck den Konflikt im Gespräch vor Ort deeskalieren konnte, war die Situation damit nicht beendet. In den Wochen nach dem Vorfall habe er anonyme Briefe mit Anfeindungen erhalten. Diese kamen teilweise sogar bei seiner privaten Adresse an. „Wenn man das selbst erlebt hat, kann ich verstehen, dass man dann sagt: ‚Ich mag nicht mehr‘“, sagt Scheck und bezieht sich dabei auf den Bürgermeister von Markt Schwaben.

„Nicht ins Bockshorn jagen lassen“

Andererseits dürfe man sich von Einzelnen „nicht ins Bockshorn jagen lassen“, so Scheck, „aber man braucht breite Schultern“. Innerhalb seiner Gemeinde könne er sich allerdings nicht beschweren. Die Anfeindungen seien überwiegend von außerhalb gekommen. Aufgrund eines intensiven Engagements von Seiten des Ehrenamtes sei die Flüchtlingsthematik ebenfalls ein geringer Knackpunkt in der Diskussionskultur in Marquartstein.

Wie Landrat Otto Lederer sind sich auch die Bürgermeister der Gemeinden Inzell, Seeon-Seebruck und Marquartstein einig: In der Gesellschaft ist eine Tendenz zu Konflikten und Konfrontationen spürbar, die wächst. Besonders die Pandemie habe dabei als Katalysator fungiert. „Seither begegnet uns gefühlt mehr Misstrauen“, sagt Martin Bartlweber, Bürgermeister von Seeon-Seebruck.

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