Notsituation ausgenutzt
100.000 Euro Schaden – Landen die betrogenen Flüchtlinge im Inzeller Hotel jetzt auf der Straße?
Jobcenter betrogen, Flüchtlinge ausgenutzt und jetzt in Haft: Das mutmaßliche Betrüger-Duo des Inzeller Hotels Gastager sitzt in Traunstein ein und wartet auf seine Anklage. Im Juni soll das Hotel wieder eröffnen. Doch was passiert mit den Geflüchteten?
Inzell – Mitte Januar stürmte die Polizei das Inzeller Hotel Gastager mit mehreren Dutzend Einsatzkräften. Bei dem Großeinsatz wurden der Pächter und seine Komplizin aufgrund des dringenden Tatverdachts auf Betrug und Wucher in einem besonders schweren Fall festgenommen. Sie sollen die Notsituation von geflüchteten Ukrainern ausgenutzt haben und für jedes vermietete Hotelzimmer bis zu fünfmal Miete vom Jobcenter abkassiert haben.
Wie der Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage des OVB mitteilte, waren nach der letzten Datenerhebung im Oktober vergangenen Jahres bei den Jobcentern in Deutschland gut 700.000 Ukrainerinnen und Ukrainer gemeldet. „Das waren 686.000 mehr als vor Beginn des Kriegs“, so Christian Weinert. Demnach sei der Anstieg fast gänzlich auf Geflüchtete zurückzuführen. „Ein systematischer Leistungsmissbrauch ist der Bundesagentur für Arbeit für Geflüchtete aus der Ukraine nicht bekannt“, berichtet Weinert.
Rund 2.050 Kriegsflüchtlinge in Traunstein
Regional zeigen sich allerdings Diskrepanzen zu der deutschlandweiten Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit. Zum Stand 11.02.2024 sind nach den Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 2.050 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine für den Landkreis Traunstein erfasst. „Es kann sein, dass Notsituationen ausgenutzt werden“, sagt Thomas Wendrich, der Geschäftsführer des Jobcenters Traunstein. Dies sei vermehrt 2015 bei der Flüchtlingskrise der Fall gewesen, so wie seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Dass Betrüger in solchen Fällen „das schnelle Geld wittern“, könne vorkommen. Trotzdem spricht Wendrich von „Einzelfällen“: „99 Prozent der Fälle laufen normal.“
Mit „dem schnellen Geld“ hatte vermutlich auch der ehemalige Pächter des Inzeller Hotels und seine Komplizin spekuliert, doch deren Vorgehen fiel letztendlich auf. Als die ersten Mietverträge an das Jobcenter gingen, sei „alles erst mal unauffällig“ gewesen, erinnert sich Wendrich. Ukrainische Geflüchtete können Bürgergeld und Leistungen zur Begleichung von anfallenden Miet- oder Wohnnebenkosten vom Jobcenter erhalten. Nach einer Weile stellte das Traunsteiner Jobcenter allerdings eine „Adresshäufung“ fest.
„Hinweise haben sich verdichtet“
Ob Betrugsfälle vorliegen, konnte anfangs nur schwer festgestellt werden. Zum einen wurde neben den vermieteten Zimmern noch zusätzlich der Hotelbetrieb weitergeführt, weshalb nicht eindeutig festgestellt werden konnte, wie viele Zimmer tatsächlich mit Flüchtlingen belegt waren. Zum anderen habe der Pächter etwa den ehrenamtlichen Helfern den Zutritt zu den Räumen der Flüchtlinge erschwert. Diese berichteten dem Jobcenter von schlechten Bedingungen im Inzeller Hotel. „Es gab nicht den einen Hinweis, sondern die Hinweise haben sich verdichtet“, sagt Thomas Wendrich.
Die Handhabe des Jobcenters sei allerdings beschränkt: „Wir können nur die Mietverträge prüfen, und wir haben kein Betretungs- oder Durchsuchungsrecht“, so Wendrich. Auch Vorstöße von Ehrenamtlichen seien „unergiebig“ gewesen, diese berichteten aber von „zum Teil eingeschüchterten Menschen“. Daraufhin habe das Jobcenter den Fall an die Staatsanwaltschaft und die Polizei weitergegeben.
Der Pächter und seine Mitarbeiterin sollen ebenfalls aktiv für die Unterkunft geworben haben, damit mehr Flüchtlinge kommen. Gegenüber dem OVB sagte der Hotel-Pächter zu Beginn des Ukrainekrieges: „Viele kommen zu uns, weil sie es von Freunden erfahren haben. Oder sie haben es irgendwo auf Facebook gelesen.“ Jetzt sitzt das Duo in Untersuchungshaft in Traunstein und wartet auf den Abschluss der Ermittlungen.
100.000 Euro Schaden
Durch den Betrugsfall ist nach Dr. Rainer Vietze, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Traunstein, schätzungsweise ein Schaden von rund 100.000 Euro entstanden. Die genaue Schadensberechnung erweise sich allerdings als recht kompliziert. Aufgrund des dringenden Tatverdachts wird nach aktuellem Stand eine Verurteilung als „sehr wahrscheinlich“ eingestuft. Bei der Untersuchung des Hotels wurden in 27 Zimmern jeweils zwei bis fünf Personen aufgefunden.
Der Besitzer des Hotels möchte das Hotel demnächst renovieren und ab dem 1. Juni wieder für Touristen eröffnen, teilte ein Vertreter des Geschäftsführers mit. Der aktuelle Pächter wurde gekündigt, und die bestehenden Mietverträge wurden aufgelöst. Jetzt ist eine Übergangslösung bis zum Beginn der Renovierungsarbeiten vorgesehen, bei der die Geflüchteten mit befristeten Verträgen noch in dem Hotel bleiben können, so der Vertreter. Aber spätestens ab Mai müssen die verbliebenen Flüchtlinge das Hotel verlassen. Die Vertretung der Geschäftsleitung geht aktuell noch von 80 Personen aus, die in dem Hotel leben.
90 Geflüchtete in Inzell untergebracht
Danach müssen sich die Kriegsflüchtlinge an das Landratsamt Traunstein wenden, wenn sie keine private Unterkunft finden. „Es ist alles mit dem Landratsamt abgestimmt“, sagt Inzells Bürgermeister Hans Egger. Niemand werde „auf der Straße landen“. In Inzell selbst werden wohl keine Flüchtlinge aus dem Hotel unterkommen können. „Wir haben jetzt bereits rund 90 Geflüchtete in Inzell untergebracht“, was für die kleine Gemeinde verhältnismäßig sehr viel sei.
Hans Egger ist froh, dass die generelle Stimmung in Inzell gegenüber den Geflüchteten gut geblieben ist und dankbar über das hohe ehrenamtliche Engagement. Trotzdem sei es im Sinne der Gemeinde, dass das Hotel ab Sommer wieder für den Tourismus verwendet wird.