„Wir setzten auf gegenseitige Rücksichtnahme“
Gülle – wertvoller Rohstoff oder Umweltsünder? Mit zwei Chiemgauer Bauern auf ‚Düngetour‘
Bergblick auf der Terrasse, Feierabendbier und frische Landluft - und dann kommt der Bauer mit dem Güllefass. Ärger vorprogrammiert? Laut Stefan und Andreas, zwei Jungbauern aus dem Chiemgau, sei der Geruch dank neuer Technik „gar nicht mehr schlimm“. Aber wie ist das mit der Nitratbelastung? Und was sagen die Nachbarn?
Chieming – „Der kostet um die 120.000 Euro.“ Stefan Niederbuchner steht vor einem knallgelben Gülletank. Den habe er extra für den heutigen Termin bei der Bauerngemeinschaft ausgeliehen. Für einen einzigen Landwirt sei so ein Gerät bei den hier üblichen Betriebsgrößen nicht rentabel. Zusammen mit einem befreundeten Bauern aus Kirchanschöring, Andreas Hofmeister, wollen sie mich heute mitnehmen auf „Gülletour.“
Gülle, besser als ihr Ruf?
„Ich wollte hier mitmachen, damit mal das schlechte Bild von uns Bauern bezüglich Düngen geradegerückt wird.“ Es nerve Stefan, dass zum Beispiel in den Medien noch immer Fotos von Gülletanks kursieren, die schon lang veraltet seien. Hinter dem Bauernhof des Jungbauern, in der Nähe von Chieming, stehen wir also nun vor dem derzeitigen Standard: einem Gülletank mit bodennaher Ausbringung - ab 2025 sogar Pflicht auf deutschen Feldern und Weiden. Sie löst die sogenannte Breitverteilung ab.
Wertvoller Dünger für Pflanzen
Gülle - laut Definition des Agrarlexikons ein Gemisch aus Kot, Harn und Einstreu, das bei der Nutztierhaltung entsteht. In unserer Region mit vornehmlich Milchviehbetrieben also ein unweigerlich anfallendes Abfallprodukt? Im Gegenteil, sagt Michael Kirchstetter vom Traunsteiner Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF). In der Gülle enthalten seinen unter anderem Stickstoff, Phosphat, Kalium und Magnesium. Das mache das ganze zu einem wertvollen Dünger, der Pflanzen schneller wachsen ließe. Außerdem trage Gülle durch die enthaltenen organischen Substanzen zum Humusaufbau bei.
Nitratbelastung bei Grünland weniger problematisch
Überdüngung, Grundwasserverschmutzung, Nitratbelastung, die Schattenseite des „wertvollen Düngers“? Umweltverbände wie der Bund Naturschutz in Bayern (BUND) mahnen: „Weil zu viel gedüngt wird, ist das Grundwasser in bayerischen Ackerbaugebieten besonders hoch mit Nitrat belastet.“ Nitrat wird vom Wurzelwerk der Pflanzen aufgenommen, überschüssiges Nitrat gelangt dann über den Boden in unser Grundwasser - laut Umweltbundesamt stammen deutschlandweit rund 75 Prozent des Nitrats im Grundwasser von der Landwirtschaft. Die Forderungen des BUND unter anderem: Mehr Grünland und bessere Düngeverfahren.
Was sagen die Jungbauern dazu? „Das ist regional sehr unterschiedlich, wir haben hier im Chiemgau ja hauptsächlich Grünland“, erklärt Stefan. Grünland sind landwirtschaftliche Flächen, auf denen dauerhaft Gras angebaut wird - also Wiesen und Weiden. In den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein mache das über 70 Prozent der Agrarfläche aus, so Michael Kirchstetter (AELF).
Er erklärt den positiven Effekt von Grünland auf Nitratgehälter im Grundwasser: „Im Gegensatz zu Acker hat Grünland immer Bewuchs. Das Wurzelwerk ist dichter und intensiver. Organischer Dünger wird somit aufgenommen und auch über den Winter gespeichert. Somit gelangt nichts in tiefere Bodenschichten und ins Grundwasser.“
Bodennahe Gülleausbringung - mehrere Vorteile
Wir sind mittlerweile mit dem Güllefass rausgefahren, einige hundert Meter vom Hof entfernt auf eine Grünlandfläche. Bodennahe Gülleausbringung live: Stefan zieht mit dem Güllefass seine Bahn. Ein Gestänge mit sogenannten Schleppschuhen ist hinten am Fass angebracht. Knapp über dem Boden fließt hier in gleichmäßiger Stärke die Gülle und hinterlässt dünne Streifen unterhalb der Vegetationsdecke. Gestank? Tatsächlich kaum wahrnehmbar. Aber was bringt das bodennahe Verfahren der Umwelt? Und was den Bauern?
Besser für die Umwelt
Zum einen reduziere diese Technik, so die bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, die Ammoniakemission, also gasförmige Verluste von Stickstoff. Gut für die Umwelt, denn Ammoniak schädigt unsere Ökosysteme. Aber auch die Bauern selbst profitieren von dem Verfahren: Sie haben wesentlich weniger Verluste, können besser „dosieren.“ Einen weiteren großen Vorteil erklärt mir Andreas Hofmeister: „Es spritzt nicht, landet also nicht auf den Grashalmen.“ Denn, Kühe fressen schließlich auch auf der Weide nicht das Gras, auf dem ihre Hinterlassenschaften liegen.
Höhere Erntequalität und mehr Effizienz
Damit steigt also auch die Qualität der Grasernte. Die hängt auch immer vom Wetter ab, ein wesentlicher Faktor für die Landwirtschaft. Und auch da ist die bodennahe Verteilung von Vorteil: Gedüngt wird eigentlich immer kurz bevor es regnet, damit die Nährstoffe zeitnah in den Boden sickern. Heutige Landwirte sind dank verschiedener Wetter-Apps meist top informiert.
Trotzdem, manchmal bleibt der versprochene Regen aus. Bei früheren Düngeverfahren ein Problem: Durch die Sonneneinstrahlung auf die, von Gülle bedeckten Pflanzen, kam es zu großen Schäden. Bei der bodennahen Verteilung ist der Dünger unter den Pflanzen, eine kurze Phase ohne Regen verkraften die Pflanzen dadurch. Die Bauern müssen den Wetterbericht aber wirklich genau studieren, denn: auch zu viel Niederschlag ist schlecht: Dann wird der Dünger sofort von den Feldern gespült, und landet statt in den Pflanzen in unseren Gewässern. Ist denn Düngemanagement generell stressig?
Timing-Problem beim Düngen? „Gehört zum Job“
„Man düngt nach jedem Grasschnitt“, erklärt Stefan. „Dabei ist von Vorteil eher öfter und weniger zu düngen, als auf einmal viel. Nur so könnten die Pflanzen die Nährstoffe effektiv aufnehmen.“ Um seine 25 Hektar Grünland zu düngen brauche er einen gesamten Arbeitstag. Dazu müsse eben das Wetter passen. Das Güllefass leihe er sich von der Gemeinschaft, den gewünschten Tag trägt er vorab in den Gemeinschaftskalender. Also ja, vielleicht nicht stressig, sagt er, aber auch nicht einfach: „Das gehört hald zum Job dazu.“ Gab es schon mal Beschwerden wegen des Güllegeruchs, will ich zum Schluss noch wissen?
„Gegenseitige Rücksichtnahme“ statt Ärger mit den Nachbarn
„Wir haben wirklich keine Probleme mit unseren Nachbarn, wir setzten auf gegenseitige Rücksichtnahme“ Stefan würde, erzählt er weiter, zuerst die hofnahen Wiesen düngen, und dann erst kurz vorm Regen die in Dorfnähe. Man kenne sich eben, er trage auch schon mal die Katze von Nachbarn nach Hause, wenn sie auf dem Feld sitzt, dafür beschwert sich keiner über den Geruch.
Anders sei das, ergänzt Andreas, bei Wiesen nahe von Wanderwegen. Da sei schon mal der eine oder andere Spruch gefallen. Aber vielleicht, verteidigt er die geruchsempfindlichen Wanderer, haben sie sich auch nur erschrocken, weil sie so große landwirtschaftliche Gefährte aus der Stadt nicht kennen.



