Versuchsballon startet am 10. Juli
Wasserburger Stadtbus hält jetzt vor dem Rathaus: Gibt es ein Chaos oder klappt‘s?
Am Montag, 10. Juli, startet in Wasserburg ein Versuchsballon: Ein halbes Jahr lang hält der Stadtbus auch direkt im Zentrum, am Rathaus. Doch die Emotionen kochen bei dem Thema hoch. Warum die Wasserburger dabei gespalten sind. Und was Sie über die neuen Haltestellen wissen müssen.
Wasserburg – Seit Jahren geht Wasserburg beim Versuch, den Busverkehr so attraktiv zu machen, dass immer mehr Menschen das Auto stehen lassen, offensiv voran. Jüngstes Beispiel: der Halbstundentakt des Stadtbusses. Nun sollen auch noch die Haltestellen besser platziert werden. Der wichtigste Ort in Wasserburg, der Marienplatz am Rathaus, wird ab dem 10. Juli zum ersten Mal direkt angefahren. Ein Versuch.
Haltestellen auf Zeit am Marienplatz und Heisererplatz
Bisher mussten Fahrgäste entweder an der Sparkasse (Rosenheimer Straße) oder an der Max-Emanuel-Kapelle (Am Gries) aussteigen. Von hier ist es eigentlich nicht weit bis ins Zentrum für Menschen, die nicht so mobil sind, weil älter oder gehbehindert, aber schon. Außerdem haben viele Wasserburger, die in den Siedlungen leben, schon bis zur nächsten Einstiegsstelle des Busses oft einen Fußweg hinter sich.
Nach langen, kontroversen Debatten fiel im Oktober vergangenen Jahres die Grundsatzentscheidung im Stadtrat, einen Versuch mit zwei gegenüberliegenden Haltestellen am Marienplatz zu wagen. So hatten es die Grünen und die SPD beantragt und durchgesetzt, gegen Stimmen aus der Fraktionsgemeinschaft CSU/Wasserburger Block. Diese sieht das Vorhaben, das auch in einer Verkehrsklausur des Stadtrates Thema war, nach wie vor kritisch. Denn am Marienplatz befinden sich Häuserzeilen mit Geschäften und Gastrobetrieben. Die Parkplätze davor sind sehr begehrt, der Verkehr ist hier bereits jetzt sehr verdichtet. Hauptsorge: die Erreichbarkeit der Einkaufsstadt auch für Autofahrer.
Ein paar Stellflächen fallen weg
Der Unmut gärt auch jetzt noch, im Stadtrat war er deutlich herauszuhören, als Sibel Aydogdu vom Büro Schlothauser & Wauer die Planungen vorstellte. Da eine Bushaltestelle am Marienplatz 30 Meter Abstand zum Zebrastreifen im Bereich Stechlkeller-Markthallen benötigt, muss sie weiter Richtung Westen gerückt werden. Das bedeutet, dass hier einige Motorradstellplätze und zwei Pkw-Parkflächen entfallen. Außerdem gibt es eine weitere zentrale Haltestelle: am Heisererplatz. Hier entfallen fünf bis sechs Anliegerparkplätze, teilte Stadtbaumeisterin Mechtild Herrmann mit. Es kommen also zwei neue Haltestellen, eine, die an der Max-Emanuel-Kapelle, fällt weg.
Heike Maas, Fraktionsvorsitzende von CSU/Wasserburger Block, blieb dabei: Eine Bushaltestelle auf dem stark frequentierten Marienplatz führe hier zu Rückstaus. Es bestehe die Gefahr, „dass die Leute ihre Wege ändern und nicht mehr nach Wasserburg fahren“, warnte sie eindringlich. Der Rückstau ist schon da, betonte die Planerin. Staufalle sei jedoch das Brucktor. Außerdem sei trotz haltendem Bus am Marienplatz noch immer Begegnungsverkehr möglich.
Ein Problem könnte es jedoch geben: die Anlieferung für die Geschäfte, Cafés und Lokale. Norbert Buortesch, Bürgerforum, weiß aus eigener Erfahrung als Gemüsebauer, wie schwer es ist, im Bereich Marienplatz zu halten und die Ware abzugeben. Halten dürfe er nur kurz an der Frauenkirche. Georg Machl (CSU) unterstrich, ein funktionierender Lieferverkehr sei „existentiell“ für die Geschäfte und Lieferanten.
Chaos vorprogrammiert?
Wie lässt sich der Bus, der jede halbe Stunde vorfährt, in den Verkehrsalltag am Marienplatz integrieren? Ist ein Chaos vorprogrammiert? Bürgermeister Michael Kölbl (SPD) plädierte für Geduld. „In den ersten zwei Wochen funktioniert so etwas immer nicht richtig, dann wird es sich vermutlich einspielen.“ Außerdem werde der Verkehrsversuch fachlich begleitet. Es würden Daten gesammelt, Filme aufgenommen, Beobachtungen durchgeführt und die Ergebnisse mit den Zahlen verglichen, die vor dem Start ermittelt wurden, so die Planerin. Auch die Fahrgastzahlen im Stadtbus vor und während des Versuchs müssten verglichen werden, forderte Maas. Christian Stadler, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sah die Notwendigkeit, dass engmaschig überwacht wird, etwa auch, ob nicht Motorradfahrer, für die zwei Stellplätze am Rathaus wegfallen, trotzdem hier ihre Fahrzeuge abstellen und den Bus behindern. Fest steht: Nach dem Versuch, der im Dezember endet, werden die Ergebnisse bewertet. Erst dann fällt im Stadtrat eine Entscheidung, ob aus dem Provisorium ein Dauerzustand werden kann. In diesem Fall müssten richtige barrierefreie Haltestellen errichtet werden.
Neues Postkartenmotiv?
Markus Bauer (CSU) appellierte an die Stadt, den Versuch intensiv zu erklären und auch das Gespräch mit den betroffenen Geschäftsleuten, vor deren Laden der Bus halte, zu suchen. Sondernutzungsflächen für draußen aufgestellte Cafétische oder Verkaufsständer seien durch die Haltestellen nicht betroffen, betonte Kölbl. Trotzdem: Es werde sich ein anderes Bild am Marienplatz entwickeln, zeigte sich Bauer überzeugt. „Bus vor Rathaus, ein neues Postkartenmotiv“, spöttelte er. Wolfgang Schmid (CSU) war auch zum „Unken“ aufgelegt: „Nicht dass auch noch die Touristenbusse dort halten, ehe die Senioren alle aus- und eingestiegen sind...“
Arkaden werden barrierefrei
So weit werde es nicht kommen, sicherte die Stadtverwaltung zu. Der Bürgermeister hatte noch eine gute Nachricht in diesem Zusammenhang: Die Arkaden werden barrierefrei. Dank des Engagements des zweiten Bürgermeisters Werner Gartner (SPD), unterstützt von Elisabeth Fischer (CSU), und der Bereitschaft der Sparkasse und einer privaten Grundeigentümerin seien die Verträge für eine Lösung unterschrieben worden.
Die wichtigsten Antworten auf Fragen zum Verkehrsversuch
Die Stadtverwaltung beantwortet auf ihrer Internetseite die wichtigsten Fragen (ein Auszug).
Welche Busse halten an den neuen Haltestellen? Es hält nur die Stadtbuslinie 9418. Ein Halt weiterer Linien ist nicht vorgesehen.
Wie lange dauert der Verkehrsversuch? Vom 10. Juli bis 9. Dezember, also bis zum „großen“ Fahrplanwechsel 2023.
Wie wird das Ergebnis beurteilt? Der Verkehrsversuch wird von einem Verkehrsplanungsbüro fachlich begleitet. Der Verkehr wird zeitweise auch gefilmt und die Situation mit und ohne Haltestellen miteinander verglichen.
Bleiben die Haltestellen nach dem Versuchszeitraum bestehen, falls sie sich bewähren? Nein, die Regelung wird ab 10. Dezember in jedem Fall zunächst wieder rückgängig gemacht. Denn für die dauerhafte Einrichtung der Haltestellen müssten diese zunächst barrierefrei umgebaut werden.
Sind die neuen Haltestellen barrierefrei? Nein, aber zumindest steht jeweils ein erhöhter Bord zur Verfügung.
Braucht der Stadtbus durch die zusätzliche Haltestelle nicht länger? Tatsächlich muss der Stadtbus in jeder Richtung einen zusätzlichen Halt machen, wenn Fahrgäste ein- oder aussteigen möchten. Andererseits entfällt in Fahrtrichtung Reitmehring die zeitraubende Schleife über die Landwehrstraße und die Josef-Kirmayer-Straße. Gerade beim Einbiegen in den Kaspar-Aiblinger-Platz geht häufig wertvolle Zeit verloren. Der Stadtbus muss Vorfahrt gewähren und dabei wegen des großen Abbiegeradius beide Fahrtrichtungen abwarten. Das dürfte die Zeit für einen zusätzlichen Halt kompensieren.
Wird für den Verkehrsversuch der Stadtbus-Fahrplan geändert? Nein, es gilt weiter der Fahrplan mit Tarifstand Februar 2022 (Einführung Halbstundentakt). In Fahrtrichtung Badria gilt für den Heisererplatz dieselbe Fahrzeit wie für Busbahnhof, für Marienplatz die eigentlich für die Max-Emanuel-Kapelle geltende Fahrzeit. In Fahrtrichtung Reitmehring gilt für den Marienplatz dieselbe Fahrzeit wie für Gimplberg und für Heisererplatz die eigentlich für Max-Emanuel-Kapelle geltende Fahrzeit.