„Kulturgüter nicht verrotten lassen“
„Füße weggezogen“: Warum Umzug der historischen Sammlung von Wasserburg „Bauchweh“ bereitet
Ein Umzug von A nach B: Das ist kräftezehrend und im Fall der kunsthistorischen Sammlung von Wasserburg auch sehr teuer: Bis zu eine halbe Million Euro könnte es, verteilt auf mehrere Jahre, kosten. Das bereitet im Stadtrat „Bauchweh“. Über eine kontroverse Debatte zur Frage, was Geschichtspflege wert ist.
Wasserburg am Inn – Die Stadt Wasserburg besitzt eine der wertvollsten kunsthistorischen Sammlungen in Bayern. Objekte, die es für die Nachwelt zu sichern gilt. Diese Aufgabe übernimmt bald das neue Depot am Herder. Vier Millionen Euro hat die Stadt in das hochmoderne Gebäude investiert, nach Meinung vieler Experten ein „Vorzeigeprojekt in der Museumswelt“, bestätigte Maruchi Yoshida von der iconyk GmbH, die ein Gesamtkonzept für den nun folgenden Um- und Einzug der vielen tausend Objekte erstellt hat. Denn das Depot hat mittlerweile stabile Klimawerte erreicht, sodass die Gemälde, Möbel und vielen weiteren historischen Exponate umgelagert werden könnten. Sie verteilen sich derzeit noch auf sechs Standorte im Stadtgebiet, wo sie zum Teil unter schlechten Bedingungen untergebracht sind.
700 Kubikmeter Sammlungen
700 Kubikmeter Nettovolumen umfassen nach Angaben von Yoshida die Sammlungen, darunter viele wertvolle Stücke: sakrale Kunst von namhaften Künstlern wie Ignaz Günther, den Brüdern Zürn, deren Werke in großen Museen zu sehen sind. Als einzigartig gilt auch die Sammlung mit Möbeln zur Wohnkultur in Wasserburg von der Gotik bis in die Moderne. Riesige Objekte umfasst die Sammlung zur Innschifffahrt.
All das zieht nun um: raus aus Kellern und runter von Dachböden, rein ins neue Depot. Einfach den Umzugswagen bestellen, einpacken und wieder auspacken: So geht es jedoch nicht, wenn es um empfindliche Exponate geht, die zum Teil mehrere Jahrhunderte alt sind, berichtete Yoshida. Die Objekte müssten dokumentiert, begutachtet, gesichert, professionell verpackt, grob gereinigt und, wenn notwendig, soweit restauriert werden, dass sie nicht weiter Schaden nehmen.
Umzug in mehreren Etappen
Die Überführung ins neue Depot soll in mehreren Etappen erfolgen: zuerst die Gemäldesammlung aus dem Rathaus und dem Museum (2025), dann Großobjekte, eingelagert im Bauhof, am Friedhof am Herder, in Klärwerk und Rathaus, danach die Sammlungen in der ehemaligen Polizei, abschließend die Wachs-, Textil- und Archäologie-Exponate aus den Lagerräumen im Museum.
Die Gesamtkosten sorgten jedoch für Schnappatmung im Stadtrat: 400.000 Euro, plus Risikoaufschlag von 25 Prozent, also eine halbe Million. Die Summe ist so hoch, weil auch externe Dienstleister wie Kunstpacker und Restauratoren sowie Fachleute zur Schädlingsbekämpfung notwendig sind. Freiwillige Helfer können nicht eingesetzt werden, hieß es auf Nachfrage von Armin Sinzinger (Wasserburger Block).
Strecken, sparen, kürzen
Der Stadtrat hatte an der Summe schwer zu schlucken. Und stellte die Forderung, nach Einsparpotenzialen zu suchen. Aufgrund der schwierigen Haushaltslage sei damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahre jeweils nur 75.000 Euro zur Verfügung ständen. Über die Bereitstellung soll jährlich beraten werden. Der Zeitplan könnte sich also ändern, die Umsetzung der Etappen ist abhängig von der Finanzlage.
Die Maßnahmen beinhalten keinerlei „Schnickschnack“, bekräftigte die Konzepterstellerin dem Gremium, das mehrfach nachhakte und viele Fragne hatte. Nur Minimalleistungen seien vorgesehen: etwa eine Erstreinigung mit Beseitigung von losem Staub oder Fixierung offener Stellen. „Wir können nicht den Dreck der Jahrzehnte mit ins neue Depot schleppen.“
Was ist die Kultur wert?
„Das ist kein normaler Umzug“, so Wolfgang Janeczka (SPD), „wir dürfen unsere Kulturgüter nicht verrotten lassen.“ Georg Machl, Fraktionsvorsitzender von CSU und Wasserburger Block, erinnerte an den Beschluss für das Depot im Jahr 2019. Dort sei vermerkt, dass nach dem Bau Ausgaben für den Umzug auf die Stadt zukämen. Doch die prognostizierten Gesamtkosten von 500.000 Euro seien „schmerzhaft“. „Da hat es uns die Füße weggezogen.“ Für das Geld könne die Stadt ein Fachkraft für sieben Jahre einstellen. Machl hatte sich außerdem geärgert über einen Satz in der Präsentation des Konzepts: „Ist das nötige Geld vorhanden, ist das Ende meistens gut“, ein Zitat aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht. Das sei angesichts der Sachlage unpassend. Die Finanzierung des Umzugs sei schließlich in der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln. Es gebe noch viele andere Projekte in der Stadt wie den Bau des Kunstrasenplatzes, die auf der Agenda ständen. „Schwierig, schwierig, schwierig“, nannte Machl die nun folgende Kommunikation für das Vorhaben in der Bürgerschaft.
Die Gründe für die Vorgehensweise leuchten Norbert Buortesch (Bürgerforum) zwar ein, doch die Stadt müsse nicht nur sorgfältig mit ihren Kunstsammlungen umgehen, sondern auch mit ihren Finanzen. Und Sepp Baumann (Freie Wähler) sprach sogar von einem finanziellen Damoklesschwert. Er tue sich „furchtbar hart“ mit der Entscheidung. Der Vorwurf, für die Kultur sei Geld da, für anderes nicht, wolle er sich nicht anhören. Auch Heike Maas (CSU) spürt „Bauchweh“: Das Geld sei knapp, die kleine Stadt Wasserburg habe einen großen Schatz, bei dessen Erhalt sie sich nicht übernehmen dürfe, appellierte sie.
Museumsleiterin: „Manches bereits verloren“
Die Leiterin des Museums, Sonja Fehler, warb für den vorgeschlagenen Weg: Es gelte darum, wertvolle Objekte für die Zukunft zu sichern. Viele seien aufgrund unsachgemäßer Lagerung schon zerstört und für immer verloren. Kämmerer und Liegenschaftsamtsleiter Robert Mayerhofer sieht keine Alternativen zum Umzug, „der muss sein, keine Frage.“ Die Stadt erwarte staatliche Fördermittel (laut Bürgermeister Michael Kölbl zwischen zehn und 20 Prozent). Über die Festlegung des Haushalts habe der Stadtrat die Möglichkeit, zu kürzen, zu strecken, das Budget Jahr für Jahr festzulegen, so Mayerhofer.
Kulturreferentin Edith Stürmlinger (Bürgerforum) plädierte für die Umsetzung, legte jedoch auch den Finger in eine weitere Wunde: Bei den Umzugskosten seien Gelder für richtige Restaurierungen noch gar nicht dabei. Verwundert über die Diskussion zeigte sich Werner Gartner (SPD). Die Objekte befänden sich in einer „jämmerlichen Situation“. Sie müssten gerettet werden, schließlich würden sie die über tausendjährige Geschichte der Stadt widerspiegeln. Und diese dürfe niemandem egal sein.
Einstimmig befürwortete der Stadtrat schließlich den Plan für den Umzug und die ersten 75.000 Euro für heuer. „Wir investieren in die Zukunft der Stadt, das ist vor dem Hintergrund der Vergangenheit wichtig“, fasst Bürgermeister Michael Kölbl (SPD) die Lage zusammen.