Einblicke vor dem VHS-Semester-Start
„Ferrari kommt“: Über Trends bei VHS-Bildung in Wasserburg und ein Damoklesschwert
Mehr Anmeldungen, mehr Kurse: Die Volkshochschule Wasserburg ist auf Wachstumskurs. Einblicke in das Erfolgsgeheimnis eines Top-Programms. Warum ein Damoklesschwert, das über der Erwachsenenbildung schwebt, trotzdem Sorgen bereitet.
Wasserburg – Als Auftaktveranstaltung für das neue Semester bietet die Volkshochschule Wasserburg etwas Besonderes an: Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes wird im Kino Utopia der Dokumentarfilm „Ruinenschleicher & Schachterleis“ gezeigt (am 18. März und 18 Uhr). Er handelt von Hunger und Schwarzhandel, von Schulen ohne Bücher und von der ersten Schokolade – und zwar aus der Sicht der Kinder. Ein cineastisches Highlight, wie VHS-Gechäftsführerin Agnes Matrai findet. „Wir freuen uns sehr, dass der Filmemacher Michael von Ferrari zur Aufführung kommt und auch Fragen beantworten wird.“
Die VHS mit ihren elf Außenstellen in den Umlandgemeinden (Albaching, Amerang, Babensham, Edling, Eiselfing, Griesstätt, Pfaffing, Ramerberg,Rott, Schonstett, Soyen, außerdem Kursort Vogtareuth) verzeichnet nach der Pandemie wieder mehr Anmeldungen: Im vergangenen Jahr gab es insgesamt 817 Veranstaltungen, 2023 waren es 771. 2024 lag die Zahl der Doppelstunden bei 6036, 2023 waren es noch 5610. Die Teilnehmerzahl stieg deutlich von 6292 auf 7095, berichtet die Leiterin. „Ich würde mal behaupten, dass das Programm gut ist“, begründet die Geschäftsführerin den Erfolgskurs. „Wir haben in unserer kleinen Stadt eine große Volkshochschule.“
Verbraucherbildung sehr gefragt
Sie weist auf ein umfangreiches kostenloses Angebot hin, das dank staatlicher Unterstützung möglich sei. Dazu gehöre etwa die Verbraucherbildung mit den Themen Finanzen und Geldanlage, nachhaltiger Konsum und Internet sowie der Bereich Medienkompetenz. „Diese Kurse, die meisten in Präsenz, werden sehr gerne besucht“, so Matrai. Bei vielen könne man aber auch online dabei sein.
Am Herzen liegt der VHS nach eigenen Angaben die praktische, bedarfsgerechte Lebenshilfe. Ein Beispiel: der Kauf einer Fahrkarte für die Bahn. „Die Dozentin nimmt sich die Zeit, um mit den Teilnehmern in Kleingruppen zum Bahnhof zu gehen und dort zu zeigen, wie es geht“, beschreibt Matrai den Kurs. Ziel sei, dass die Leute auch im Alter mobil bleiben würden.
Auch das stark nachgefragte Thema Gesundheit werde bei der VHS Wasserburg großgeschrieben. Nicht nur die klassischen Yoga- und Pilateskurse hat sie im Angebot, auch beim „Egym Wellpass“, der vom Arbeitgeber bezahlt wird und unter anderem Kurse für einen fitten Rücken oder Tänze anbietet, macht die VHS mit, so Matrai. Ihr ist wichtig, auf der Höhe der Zeit zu bleiben: „Wir beobachten die Trends und versuchen, mitzumischen.“ Zudem sind VHS-Kursleiter bei RKW, Bauer und Romed in verschiedenen Fächern im Einsatz.
Räumlich die Grenze erreicht
Ein Problem für die VHS Wasserburg ist nach wie vor der Mangel an Räumen. „Mit größter Anstrengung und guter Organisation schaffen wir es gerade noch, in den Gebäuden am Kaspar-Aiblinger-Platz und in der Salzburger Straße unsere Kurse unterzubringen“, so die Leiterin. Aber nun sei die Grenze erreicht. Gleichwohl ist Agnes Matrai für die Zukunft positiv gestimmt: „Man sieht an den guten Zahlen, dass wir in die richtige Richtung marschieren. Wir machen eben das, was gebraucht wird.“
Jürgen Schulan: Es droht „unverantwortlicher Rückschritt“ im Bildungssystem
Doch es gibt noch ein weiteres Problem, das Sorgen bereitet, allen Volkshochschulen bundesweit. Sie kritisieren Pläne des Bundesfinanzministeriums, nur noch Kurse mit Berufsbezug von der Umsatzsteuer freizustellen. Vor „katastrophalen Folgen“ wird gewarnt.
Auch der Vorsitzende der Volkshochschule Wasserburg e. V., Jürgen Schulan, ist alarmiert. „Die Pläne hätten zur Folge, dass alle unsere Angebote, die Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die auch im Privaten zur Anwendung kommen, als Freizeitgestaltung eingestuft würden und künftig mit einer Umsatzsteuer von 19 Prozent zu belasten wären.“ Bestimmte Bevölkerungsgruppen – gerade die nicht mehr oder nur die eingeschränkt im Berufsleben Stehenden – würde die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht, teilte Schulan mit.
Meiner Meinung nach beschränkt diese Regelung nicht nur das Recht jedes Einzelnen auf Bildung, auf lebenslanges Lernen, sondern schränkt auch den modernen Bildungsbegriff in einem Umfang ein, der gesellschaftlich wie auch wirtschaftlich vollkommen realitätsfern ist“, findet er. „Soziale Kompetenzen, Kommunikationsfähigkeit, Ermöglichung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Maßnahmen zur psychischen wie physischen Stabilisierung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit, und nicht zuletzt politische Bildung zur so notwendigen Stärkung unserer Demokratie – ich frage mich, wie in all diesen Bereichen eine Trennung zwischen Verwertbarkeit für den Beruf oder Freizeit erklärbar und zu rechtfertigen sein soll.“
Schulan befürchtet durch die Neuregelung zudem eine bürokratische Lawine. „Wir müssten bei jeder einzelnen Maßnahme die Frage der Umsatzsteuer prüfen und begründen. Nachdem dafür aber keinerlei konkrete Kriterien vorliegen, ist das zum einen ziemlich aufwendig, zum anderen könnten zum Beispiel viele Volkshochschulen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.“ Es drohe ein unverantwortlicher Rückschritt im deutschen Bildungssystem.