Staufalle soll aufgelöst werden
Kippt das Mega-Projekt Bahnübergang Reitmehring? Streit vor Verwaltungsgerichtshof spitzt sich zu
Der Bahnübergang Reitmehring ist vielen ein Dorn im Auge. Wenn die Schranke zu ist, kommt es immer wieder zu langen Rückstaus. Seit fast 20 Jahren plant die Regierung von Oberbayern daher den Übergang aufzulösen. Doch gegen die Baumaßnahme laufen mehrere Klagen. Tag drei der Verhandlung am Verwaltungsgerichtshof hatte es in sich.
Wasserburg – Der Saal ist voll, auf den hellen Holztischen stapeln sich die Ordner und Laptops. Die 20 anwesenden Personen drängen sich nach vorne. Ein Mann in schwarzer Robe ruft einem ähnlich gekleideten Herrn verärgert zu: „Können Sie mich jetzt auch endlich mal ausreden lassen?“ Es erinnert an eine Szene aus dem Königlich Bayerischen Amtsgericht. Doch die Kamera fehlt, denn hierbei handelt es sich nicht um eine fürs Fernsehen gestellte Gerichtsverhandlung, sondern um einen echten Streit vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Es ist der dritte Verhandlungstag beim Verfahren rund um das Mega-Projekt „Beseitigung Bahnübergang Reitmehring“ und auch an diesem Dienstag, 22. Oktober, reißt der intensive Schlagabtausch zwischen Oberlandesanwalt Marcus Niese, Vertreter der Regierung von Oberbayern, und Rechtsanwalt Josef Schneider, Vertreter der anliegenden Familien Kobler, Bernauer und Buortesch und deren Unternehmen, nicht ab.
Komplexes Bauverfahren soll nervige Staufalle beenden
Das Problem: Die Regierung von Oberbayern möchte den Bahnübergang Reitmehring auflösen. Er gilt als nervige Staufalle, bei geschlossener Schranke verstopfen Autos immer wieder den ganzen Ortsteil Reitmehring. Mit der geplanten S-Bahn-Anbindung sollen sich die Schranken zudem noch öfter schließen. Zeit also, den Bahnübergang zu beseitigen. Seit knapp 20 Jahren wird geplant, seit 2022 steht der Planfeststellungsbeschluss. Herausgekommen ist dabei folgendes: Autos, die von Edling aus die B 304 befahren, sollen in Zukunft über eine Brücke die Gleise queren und anschließend in einem Tunnel- und Trogbauwerk durch Reitmehring fahren. Auf Höhe der Bürgermeister-Schmid-Straße soll der Tunnel beendet und wieder an die Erdoberfläche führen. Von hier aus soll dann auch eine Direktrampe auf die B 15 führen. Von diesem komplexen Bauverfahren verspricht sich die Regierung von Oberbayern nicht nur, den Rückstau vom Bahnübergang zukünftig zu vermeiden, sondern auch die Verkehrssicherheit durch die fehlenden Linksabbiegerspuren auf die B 15 zu verbessern und die Belastung durch den Verkehrslärm mit einer untertunnelten beziehungsweise tiefergelegten B 304 zu verringern.
Gegen die Baumaßnahme liegen allerdings Klagen vor, unter anderem von den Anwohnern Bernauer, Kobler und Buortesch. Die Gärtnerei- und Landwirtsfamilien befürchten durch das Bauverfahren enorme Einschränkungen und Verluste, auch aufgrund von Enteignungen ihrer Grundstücke. Seit Monaten verhandelt deshalb der Verwaltungsgerichtshof und versucht herauszufinden, ob die Anliegen der Familien bei der Planung genügend berücksichtigt wurden und ob intensiv genug nach Alternativen gesucht wurde. Denn das Bauverfahren ist groß und die Lage entsprechend komplex.
Mega-Projekt könnte auch kippen
Der Verhandlung zu folgen, ist für Außenstehende schwierig. Viele Einzelinteressen treffen auf ein hoch kompliziertes Bauverfahren. Flurnummern, Straßennamen, Unterlagenbezeichnungen fliegen durch den Raum. Es ist kaum möglich, ohne einen genauen Plan von Wasserburg durchzusteigen. Und doch wird an diesem dritten Verhandlungstag immer deutlicher: Der Planfeststellungsbeschluss und damit das Mega-Projekt Bahnübergang Reitmehring könnten auch kippen.
Entsprechend frustriert zeigten sich auch die Vertreter der beklagten Regierung von Oberbayern und der beigeladenen Stadt Wasserburg – anwesend waren unter anderem Bürgermeister Michael Kölbl und Stadtbaumeisterin Mechthild Herrmann. Immer wieder war ein Kopfschütteln zu sehen. Das Problem, das am Ende wohl darüber entscheiden wird, ob der Planfeststellungsbeschluss steht oder fällt: das Anliegen der Familie Bernauer. Über ihr Erdbeerfeld in Reitmehring soll die Bahnhofsstraße in Zukunft geleitet werden. Die Landwirte fürchten aufgrund dessen um ihre Existenz.
Öffentlicher Grund vorhanden
Schon am zweiten Verhandlungstag hatten Familie Bernauer und Rechtsanwalt Schneider deshalb gefordert, statt der Verlegung der Straße den Zettlweg auszubauen. Das war von Oberlandesanwalt Niese damals als „unmöglich“ abgetan worden. Am dritten Verhandlungstag kam dieses Thema aber wieder auf, denn zwischenzeitlich war festgestellt worden, dass sich am Ende des Zettlwegs ein Grundstück im Besitz der Stadt Wasserburg befindet. Öffentlicher Grund also, der beim Straßenbau immer vorzuziehen ist, bevor es an private Areale geht.
Die Krux nun: Wurde genügend geprüft, ob die Bahnhofstraße auch über das stadteigene Grundstück führen könnte? Rechtsanwalt Schneider jedenfalls war der Überzeugung: „nein“. Mehrfach verwies Oberlandesanwalt Niese zwar darauf, dass eine Straßenführung über den Zettlweg vor allem für den Stadtbus unmöglich zu bewerkstelligen sei, da der Bus mehrere scharfe Kurven nehmen müsste und deshalb seine Taktung nicht einhalten könne. Vorsitzende Richterin Judith Müller verwies jedoch darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht dafür zuständig sei, abzuwägen. „Das können wir nicht. Wir können nur beurteilen, ob der Plan rechtens ist, ob alle Interessen berücksichtigt wurden.“ Und genau das zog die Richterin in Zweifel. „Um eine vorläufige Entscheidung auszusprechen: Meiner Ansicht nach haben wir hier einen Abwägungsfehler“, so Müller.
Entscheidung in zwei Wochen angekündigt
Eine Aussage, die unter Umständen den gesamten Planfeststellungsbeschluss kippen könnte. Denn es ist fraglich, ob der Bau der Bahnhofstraße vom Rest der Maßnahme abgekoppelt betrachtet werden, also ob die fehlende Abwägung für diesen Bereich nachgereicht werden kann oder nicht. Richterin Müller sprach sich zwar dafür aus. „Aus meiner Sicht handelt es sich um eine Folgemaßnahme.“ Doch zu einer endgültigen Entscheidung kam es auch nach der über fünfstündigen Verhandlung nicht. In zwei Wochen sollen die Beteiligten schriftlich das Urteil erhalten. „Das hatten wir schon einmal, dann haben wir uns für einen Vor-Ort-Termin entschieden“, stellte Müller fest. Dieses mal sei sie jedoch überzeugt, dass es ein Urteil geben werde.
Doch in trockenen Tüchern ist der Planfeststellungsbeschluss ohnehin noch nicht. Auch eine Entscheidung über die Klage der Firma Meggle steht weiterhin aus. Hier wird ebenfalls seit Monaten im schriftlichen Verfahren verhandelt. Eine Entscheidung über deren Anliegen wird aber erst nach einem Urteil über die Klage der Anliegerfamilien erwartet.


