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Was die Inhaber jetzt vorhaben

„Scheiterhaufen“ – Warum Bad Aiblings „Trachteria“ endgültig schließt und was folgt

Nach einem radikalen Abverkauf im März und April werden Claudia und Stephan Heidig ihre „Trachteria“ schließen.
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Nach einem radikalen Abverkauf im März und April werden Claudia und Stephan Heidig ihre „Trachteria“ schließen.

Seit Monaten ist die Ladentür des Trachtengeschäftes im Herzen Bad Aiblings verschlossen. Nach langer Ungewissheit steht das endgültige Aus nun aber fest. Was die Inhaber in die Knie zwang, was sie noch unbedingt erledigen wollen und wie es danach weitergeht.

Bad Aibling – Die Geschäftswelt in der Bad Aiblinger Kirchzeile wird sich in Zukunft weiter verändern. Die „Trachteria“, die 2016 aus Bruckmühl ins Zentrum der Kurstadt gezogen war, wird schon bald keine Dirndl, keine Lederhosen, keine traditionelle Trachtenmode mehr verkaufen. Bereits seit Oktober des vergangenen Jahres ist die Ladentüre verschlossen. Nun ist die Zeit der Ungewissheit vorüber und den Betreibern ist klar, wie es in den kommenden Wochen und Monaten zu Ende beziehungsweise weitergeht.

„Wir hatten ein sehr angesehenes Trachtengeschäft“, sagt Claudia Heidig während sie durch den Laden blickt, dessen Kleiderständer voll mit Hüten, Accessoires und hochwertiger Tracht bestückt sind. Zusammen mit ihrem Mann, Inhaber Stephan Heidig, hat die 55-Jährige in den vergangenen Jahren viel erlebt, ihr „Baby“ großgezogen und muss es nun, nach Höhen und Tiefen, „laufen lassen“.

Wie sich die „Trachteria“ einen Namen machte

Die Entscheidung, einen Schlussstrich zu ziehen, sei mittlerweile nicht mehr mit Wehmut und Traurigkeit verbunden. „Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem wir es eher als Befreiung sehen“, sagt Claudia Heidig. Dabei sah es danach lange nicht aus. Bereits 2011 erfüllte sich das Paar den Traum mit der „Trachteria“ in Bruckmühl. Auch nach dem Umzug nach Bad Aibling lief das Geschäft rund. „Wir hatten einen eigenen Schneiderbetrieb, unsere jährlichen Auszubildenden waren Innungsbeste, unsere Kunden kamen teilweise aus dem Ausland.“

Alles, was das Trachtenherz begehrt, steht für den Abverkauf bereit.

Als sich Heidig zwei Jahre später zusätzlich zum Make-up Artist und zur Farb- und Stilberaterin ausbilden ließ, hatte sich die „Trachteria“, die in der Spitze 15 Mitarbeiter beschäftigte, vor allem auch bei Hochzeitspaaren einen Namen gemacht. „Und dann kam Corona“, erinnert sich Heidig an die schlagartige Schließung, die im ganzen Team „Schnappatmung“ erzeugt hatte.

Erst Tracht, dann Masken, dann Gastro

Doch dass die Pandemie den Anfang vom Ende für das Trachtengeschäft einleitete, ahnten die Betreiber im Jahr 2020 freilich nicht. Noch lange bevor die FFP2-Atemschutzmasken zur geläufigen Vokabel in der Bevölkerung wurden, disponierte die „Trachteria“ um und produzierte kurzerhand tausende Alltagsmasken aus hochwertigem Trachtenstoff. Obwohl der eigentliche Betrieb also schließen musste, hielt sich das Team über Wasser und holte für die Masken-Produktion sogar die Schneiderin zurück aus der Kurzarbeit. „Wir waren schnell und somit mit die ersten, die das in der Form betrieben haben“, sagt Heidig über die insgesamt 25.000 Masken, die man etwa für Behörden und Apotheken anfertigte.

Als wenig später mit Masken nichts mehr zu verdienen war, musste ein „Plan B“ her. „Wir strukturierten wieder um, machten aus dem Geschäft einen Concept Store mit Feinkost, Barbetrieb, Coffee to go und bewegten uns in die Richtung, in der wir wieder öffnen durften“, so Heidig. Es folgten größere Investitionen inklusive Nutzungsänderungsantrag, Außengastronomie oder Schankgenehmigung. Der Laden durfte wieder öffnen und fand Zulauf. Doch die Probleme wurden nicht weniger.

Heidig: „Es geht nicht mehr“

„In dieser Zeit wurde immer deutlicher, dass man kaum mehr Personal findet“, beschreibt Stephan Heidig die Phase, in der zahllose Betriebe begannen, ihre Angestellten an andere Branchen zu verlieren. „Es war niemand zu finden, deshalb entschieden wir, alles selber zu machen“, so der Inhaber. Für ihn, der selbst bei den Stadtwerken Rosenheim arbeitet, und seine Frau, die in ihrem Kosmetikstudio stark eingebunden ist, begann eine Zeit der Verausgabung.

Mit hochwertiger Mode hatte sich die „Trachteria“ in Bad Aibling einen Namen gemacht.

„Tagsüber waren wir beide in unseren Jobs, am Abend standen wir bis in die Nacht in unserem Laden“, erinnert sich Claudia Heidig. Ohne Personal kämpften sich beide zwei Jahre lang durch, irgendwann habe sie dann der „Erschöpfungszustand“ eingeholt. Viele schlaflose Nächte später, nach Kopfzerbrechen und dem wiederaufgenommenen Trachten-Betrieb war letztlich klar: „Es geht nicht mehr.“

Seit vergangenem Oktober steht die „Trachteria“ nun still. Doch „das Schlimmste“, wie es Claudia Heidig bezeichnet, stehe noch bevor. Denn durch die staatlichen Hilfen während der Pandemie seien jetzt immense Corona-Nachzahlungen fällig. Bei einem geschlossenen, aber voll bestückten Laden, dessen Bestand einen erheblichen Wert aufweist, stehe man nun vor einem regelrechten „Scheiterhaufen“, so Heidig.

Abverkauf im März und April geplant

Für das große Engagement, die Umstrukturierung und die Investitionen während der Pandemie, zahle man nun die Rechnung, beklagt die 55-Jährige. „Hätten wir damals geschlossen und nicht gehandelt, stünden wir heute besser da“, sagt sie und fühlt sich vom Staat auch ein Stück weit „veräppelt“. Und auch ihrem Mann ist klar: „Ohne Corona wären wir jetzt noch hier im Laden, die Nähmaschinen würden noch laufen und die Männer würden an der Bar etwas trinken.“

Alles, was das Trachtenherz begehrt, steht für den Abverkauf bereit.

Der allgemeine Personalmangel, der wachsende Online-Markt und die schwindende Kaufkraft der Kunden täten ihr Übriges. Jetzt gebe es nur noch eine Chance, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen. „Wir müssen versuchen, alles irgendwie noch zu verkaufen“, sagt Claudia Heidig. Der Plan: Ein Abverkauf im März und April, jeden Freitag von 10 bis 18 Uhr und jeden Samstag von 10 bis 14 Uhr. „Es muss bis zum 1. Mai alles leer sein“, sagt Heidig und spricht von bis zu 80 Prozent Vergünstigung auf die Trachtenmode. Das Ehepaar hofft, dass der saisonale Zeitpunkt günstig liegt und viele Menschen etwa reduzierte Hirschlederhosen, Dirndl, Trachtenstoffe und sogar das antike Holzmobiliar gebrauchen können. Heidigs Kosmetikstudio, das im gleichen Gebäude liegt, bleibt im Übrigen erhalten und ist von der Trachteria-Schließung nicht betroffen.

Was passiert mit dem Laden ab Mai?

Während für die Heidigs nun anstrengende Monate anstehen, steht eine Nachfolgelösung bereits parat. Ab 1. Mai wird Henrike Hamberger mit ihrem Modegeschäft „Second Chance“ aus Kolbermoor in die Kirchzeile 16 nach Bad Aibling ziehen (separater Bericht über die Entwicklung in Kolbermoor folgt). Hamberger, die mit ihrem Laden als Untermieterin der Familie Heidig einziehen wird, bietet hochwertige Second Hand-Ware und freut sich auf die neue Herausforderung in Bad Aibling. „Die Lage ist natürlich toll und trotzdem haben es meine Stammkundinnen aus Kolbermoor nicht allzu weit hier her“, so Hamberger.

Für Claudia und Stephan Heidig bleibt indes die Hoffnung, einigermaßen glimpflich aus ihrem Dilemma herauszukommen und die Corona-Zahlungen irgendwie stemmen zu können. Und während vieles durch die letzten Jahre „auch ein bisschen negativ behaftet ist“, will Stephan Heidig die persönliche Leidenschaft für Tracht dennoch nicht begraben: „Ich werde auch in Zukunft gerne mit Lederhose auf Feste gehen.“

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