Anwohner leiden
Vier Stau-Stunden für 17 Kilometer? A8-Blechlawine überrollt Dörfer - das wollen die Gemeinden tun
Egal, ob Ferien oder Unfälle, bei Stau auf der A8 sind im Chiemgau auch Umleitungsstrecken wie die B305 schnell überlastet. Selbst in den Siedlungen reihen sich dann zahlreiche Autos perlenkettenartig aneinander – zum Leidwesen der Anwohner und Pendler. Was die Gemeinden dagegen tun wollen.
Bernau/Frasdorf/Grassau/Prien – Fast vier Stunden von Prien nach Grassau? Bei Stau auf der A8 der ganz normale Wahnsinn. Das zumindest berichtet ein Bürger, der in Grassau wohnt und in Prien arbeitet. Da er selbst im touristischen Sektor tätig ist, will er seinen Namen lieber nicht nennen. Er habe auch nichts gegen die Gäste oder Autofahrer. „Aber von Polizei, die den Verkehr regelt weit und breit keine Spur“, sagt er. Und auch die Gemeinden bräuchten ein Konzept.
Wenn der Umweg schneller ist
In Ferienzeiten, im Sommer oder durch Unfälle, die eine Vollsperrung zur Folge haben, verwandelt sich die A8 oftmals in einen einzigen Stau. Besonders die Bereiche zwischen Rosenheim und Rohrdorf, um den Bernauer Berg und rund um den Chiemsee sind Stau-Schwerpunkte. Viele Autofahrer weichen über Land aus. „Die B305 ist dann eine Katastrophe“, berichtet der Grassauer. Bereits ab Prien komme er dann nur im Schneckentempo vorwärts. Er habe andere Routen versucht. „Aber vom Samerberg bis in die Wohngebiete nur Autos.“ Statt der eigentlichen 17 Kilometer von Prien nach Grassau habe er seinen Heimweg über Chieming angetreten, der gut doppelt so lang ist.
Das Thema ist lange bekannt und beschäftigt zahlreiche Chiemgau-Gemeinden. Doch der Stau beschränkt sich oft nicht nur auf die Autobahn oder die Bundesstraßen. Er dringt bis in die Dörfer und die Siedlungen vor. Frasdorf hat deswegen bereits gehandelt: Seit dem 23. Juli, unmittelbar nach dem extremen Stau durch einen LKW-Unfall am Bernauer Berg, hat die Gemeinde eine dauerhafte verkehrsrechtliche Anordnung erlassen. Bei Stau ist die Einfahrt in die Siedlungsstraßen für alle verboten, außer natürlich für Anlieger. Deutet sich ein stundenlanges Verkehrschaos an, das die Gemeinde buchstäblich zu überrollen droht, rückt der Bauhof aus und stellt Straßensperren sowie entsprechende Beschilderung auf. Dadurch sollen nicht nur die Anwohner entlastet werden. Auch die Rettungswege waren aufgrund der Blechlawine nicht mehr gegeben.
Frasdorf machts vor, Bernau zieht nach
Die offizielle Umleitungsstrecke bei Stau auf der Autobahn ist die B305, die in Bernau beginnt und über Grassau durch das Achental bis nach Marktschellenberg (Berchtesgadener Land) führt. Dementsprechend rollt der Autoverkehr auch durchs Dorf. „Einerseits ist der Durchgangsverkehr für viele Anwohner eine Belastung. Anderseits leben einige Geschäfte im Ort davon“, erklärt Bernau Bürgermeisterin Irene Biebl-Daiber.
Auch in Bernau zeigt sich das gleiche Bild wie in Frasdorf. Wenn die Hauptdurchfahrtsstraße überlastet ist, weichen die Autofahrer auf die Seitenarme aus und verstopfen die Siedlungen. Deswegen hatte sich Biebl-Daiber bereits im vergangenen Jahr – wie auch Frasdorfs Bürgermeister Daniel Mair – mit einem Brief an das bayerische Verkehrsministerium gewandt. Die Bitte: Die Autos sollen bei Stau auf der Autobahn bleiben. „Leider sind wir mit dieser Forderung gescheitert“, sagt Biebl-Daiber.
In Kürze stehe deswegen ein Termin bei der Priener Polizei an. „Auch wir werden unsere Wohngebiete sperren“, erklärt die Bürgermeisterin. Denn beim letzten großen Stau seien sämtliche Siedlungen verstopft gewesen. „Ums Hospiz herum hat es sich so gestaut, dass der Sanker gar durchgekommen wäre.“
Langfristige Lösung oder Tropfen auf heißen Stein?
Langfristige Abhilfe schaffen könnte der viel und schon lange diskutierte sechsspurige Ausbau der Autobahn zwischen Rosenheim und Bernau. Denn: „Das Problem mit dem Stau entsteht ja meist schon vorher.“ Gleichzeitig könnten auch Geschwindigkeitsbegrenzungen, wie sie in anderen europäischen Ländern auf der Autobahn herrschen, zu einer Entspannung auf den Autobahnen führen, findet Irene Biebl-Daiber.
Auch bezüglich der Straßensperren bleiben Bedenken: „Ein Großteil unserer Bauhof-Mitarbeiter ist auch bei der Feuerwehr“, so Biebl-Daiber. Bei einem Unfall seien diese meist im Einsatz. Wer soll dann die Straßen sperren? Und weil die Polizei meist ebenfalls vor Ort ist, wer kontrolliert?
Bundesstraße durchs Dorf: „Fluch und Segen“
Diese Sorge teilt auch Grassaus Bürgermeister Stefan Kattari. „Wir sind daher auf der Suche nach einer Lösung, die wirklich einen Effekt bringt“, sagt er. Das Personal, für die Kontrolle habe er nicht. „Wir beobachten mit sehr großem Interesse, wie es die Österreicher machen“, sagt er. Denn dort werden bei Staus die Autobahnausfahrten kontrolliert. Nur wer nachweisen kann, dass er einen Grund hat, die Autobahn zu verlassen, darf abfahren. „Personell ist das bei uns aber nicht denkbar. Wir haben keine Leute dafür.“
Das Thema Verkehrsüberlastung beschäftige die Gemeinde seit Jahrzehnten, denn die Bundesstraße durch das Dorf sei Fluch und Segen zugleich. Diskussionen um eine Umgehungsstraße gebe es zwar immer wieder. „Baulich aufgrund der Siedlungsstruktur wäre sie aber heute nicht mehr realisierbar. Und auch aus geschäftlicher Sicht nicht unbedingt wünschenswert“, so der Bürgermeister. Denn Reit im Winkl sei beispielhaft dafür, wie der Einzelhandel durch den Bau einer Umgehungsstraße eingebrochen sei.
Ein Ansatz, den die Gemeinde Grassau nun schon seit vielen Jahren verfolgt, ist die Herabstufung der B305 von der Bundesstraße zur Staatsstraße. Die Idee: Die B305 beginnt in Grabenstätt und nicht in Bernau. Das Teilstück von Bernau über Rottau bis nach Grassau würde dann zur Staatsstraße umgewandelt werden, die Staatsstraße 2096 zwischen Grabenstätt und Grassau zur Bundesstraße. „Das einzige, was das Vorhaben verhindert, ist die nicht ausreichende Traglast der Brücke über die Tiroler Achen“, erklärt Kattari. Auch wenn dadurch der Durchgangsverkehr nicht komplett aus dem Ortskern verbannt wäre, erwarte man sich dadurch eine Entlastung.
Das ganz normale Verkehrschaos in Prien
In Prien spüre man den Ausweichverkehr der Autobahn nicht, sagt Bürgermeister Andreas Friedrich. Denn Prien sei keine offizielle Umleitungsstrecke. Was nicht bedeutet, dass hohes Verkehrsaufkommen kein Thema wäre. „Vor allem zu Stoßzeiten und bei schönem Wetter staut es sich entlang der Seestraße, der Bernauer Straße sowie der Hochriesstraße quer durch das Ortszentrum.“
Kommen dann Bauarbeiten, wie vor Kurzem am Bahnübergang oder an der Harrasser Straße, hinzu, verschärfe dies die Lage. Dennoch sei die Lage in Prien etwas entspannter: „Bis in die Siedlungen drängt der Verkehr bei uns nicht“, so Friedrich.


