Stall wiederholt überschwemmt - Dorferneuerung schuld?
Streit in Söchtenau eskaliert: Landwirt hat Bürgermeister bei der Polizei angezeigt
Seit Jahren streiten ein Landwirt und seine Lebensgefährtin mit der Gemeinde Söchtenau. Nun haben die beiden den Bürgermeister angezeigt – wegen vermeintlicher Bedrohung. Die Dokumentation einer Fehde und vieler Widersprüche.
Söchtenau – Zwei Anzeigen gegen den Bürgermeister – ein Ergebnis, mit dem wohl niemand gerechnet hat. Doch aus einer Beschwerde wurden mehrere. Und daraus entstand eine Fehde. Die Beteiligten: Landwirt Philipp Wimmer und seine Lebensgefährtin Carmen Spohn gegen die Gemeinde Söchtenau und Bürgermeister Bernhard Summerer. Das Problem: die hochgekochten Emotionen und die daraus folgende Kommunikation.
Eine „Katastrophe“ und „absolut existenzgefährdend“
Dabei geht es eigentlich um den Stall des Landwirts. Der wird bei Starkregen immer wieder überschwemmt, sagt Wimmer. Im Juni 2021 seien drei Kühe ausgerutscht, hätten sich verletzt und mussten eingeschläfert werden. Nun ist es laut Wimmer erneut passiert. Am Montag, 14. August, und am Sonntag, 27. August, habe er jeweils eine verletzte Kuh in seinem Stall entdeckt. Schuld seien die „Wassermassen“ von der Gemeindestraße, die seit der Dorferneuerung seinen Stall überschwemmen würden.
Die Lage sei „absolut existenzgefährdend“. Der Landwirt lebt von seinen Milchkühen. Mehr als 70.000 Euro Schaden seien bereits entstanden. „Das ist eine Katastrophe und finanziell nicht mehr tragbar“, sagt Wimmer. Die Überschwemmungen seien sein Ruin. Fotos dokumentieren den Beginn des Unwetters am Samstag, 26. August. Auf dem Hof sammelt sich Wasser und es bilden sich kleine Bäche durch den Regen. „Als es richtig losgegangen ist“, konnte Carmen Spohn nicht mehr fotografieren.
Wimmer und Spohn glauben, dass bei der Dorferneuerung Fehler beim Straßenbau gemacht wurden. Die Gemeinde und Bürgermeister Bernhard Summerer sehen das anders. Der Bürgermeister bezichtigte die beiden Söchtenauer im März der Lüge. Diesmal wählt er andere Worte: „Von der Gemeinde kommt da kein Wasser – oder kaum.“ Summerer zufolge unternimmt Wimmer „überhaupt nichts zu seinem Schutz, er macht immer alle anderen verantwortlich“.
Es dauerte eine Woche, bis sich der Bürgermeister zu dem Fall äußerte. Aus dem Rathaus hieß es bis zum Montag, 28. August: keine Stellungnahme. Summerer ist im Urlaub, teilte Gemeinde-Geschäftsführer Sebastian Schreider mit. Der Zweite Bürgermeister Marco Binder wolle sich nicht äußern. Und auch der Geschäftsführer selbst bewahrte Stillschweigen.
Landwirt „terrorisiert“ Gemeinde laut Bürgermeister
Nach dem Gespräch mit Summerer ist klar, weshalb sich niemand äußern wollte. Der Landwirt scheint sich im Rathaus nicht gerade beliebt gemacht zu haben. Dem Bürgermeister zufolge „terrorisiert“ Wimmer die Gemeinde und das Landratsamt Rosenheim täglich mit Anrufen. Dass er sich mehrmals an das Landratsamt Rosenheim gewandt hat, bestätigt der Landwirt. Auch Landrat Otto Lederer habe er kontaktiert und um Hilfe gebeten. Lederer antwortete nicht auf eine Presseanfrage.
Nach Angaben von Sprecher Michael Fischer ist das Landratsamt in diesem Fall nicht zuständig. „Der Fall ist dem Kreisbauamt nicht bekannt“, teilt er mit. Der Geschädigte müsse sich an die Gemeinde und das Amt für ländliche Entwicklung wenden. Doch Sprecherin Katharina Rampeltshammer zufolge sieht das Amt keinen weiteren Handlungsbedarf. Die Baumaßnahmen seien seit 2009 abgeschlossen, die „Problematik“ erst seit 2012 bekannt.
Es gibt noch ein weiteres Problem. „Philipp Wimmer hat im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 22. August 2023 keine Todesmeldungen und keine Schlachtmeldungen eingetragen“, sagt Fischer. Landwirte sind verpflichtet, den Tod eines Rindes im Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere einzutragen.
Auf die Frage, weshalb Wimmer den Tod der Tiere 2021 nicht gemeldet hat, antwortet er, dass er dafür die „vollständigen Unterlagen“ der Gemeinde brauche. Damit meine er Unterlagen des ehemaligen Bürgermeisters, der die Probleme mit den Überschwemmungen dokumentiert habe. Die Belege habe Wimmers Rechtsanwalt Ende 2022 angefordert, bisher aber nicht erhalten. Weshalb der Landwirt glaubt, diese Unterlagen für die Meldung der toten Tiere zu brauchen, ist unklar.
Bürgermeister: Gemeinde nicht zuständig für Sturzfluten
Zurück auf den Hof: Am Samstag, 26. August, wählte Carmen Spohn den Notruf. Es habe wieder so stark geregnet. Die Feuerwehr Schwabering sei 45 Minuten nach dem Anruf angekommen. „Da war alles schon vorbei“, sagt Spohn. Das Wasser sei bereits abgeflossen.
An diesem Tag trafen sich auch Wimmer, Spohn und Summerer auf dem Grundstück des Landwirts. Wimmer sagt, der Bürgermeister sei nur kurz da gewesen und nicht aus seinem Auto ausgestiegen. Summerer aber sagt, er sei zwei Stunden vor Ort gewesen, um die Situation zu beobachten. Das Fazit des Bürgermeisters: Da kommt „nicht mehr Wasser als bei anderen“ und „für Sturzfluten sind wir nicht zuständig“.
Nach Angaben von Carmen Spohn ist Wasser von der Gemeindestraße „wie ein Wasserfall“ auf das Grundstück gelaufen. Sie habe Sandsäcke gestapelt und sei aufgrund der „Wassermengen“ hingefallen. Sie habe „ewig nicht aufstehen können“. Nach einiger Zeit sei sie zu ihrem Lebensgefährten in den Stall gegangen und habe den Notruf gewählt. Der Mitarbeiter habe sie gefragt, ob er einen Notarzt schicken soll. Spohn hat geantwortet, dass sie keinen Krankenwagen braucht, „so schlimm ist es jetzt nicht“. Sie habe jedoch am ganzen Körper gezittert und geweint.
Am Sonntag, 27. August, eskaliert ein Telefonat zwischen Spohn und Summerer. Laut Spohn habe der Bürgermeister gesagt, sie und ihr Lebensgefährte seien selbst verantwortlich für die Situation. Sie habe ihm daraufhin mitgeteilt, an die Medien zu gehen. „Wir sollen aufpassen, was wir in der Öffentlichkeit verbreiten, weil sonst würde er uns fertig machen“, habe Summerer nach Aussage von Spohn geantwortet. Ein vermeintliches Déjà-vu: Dem Paar zufolge habe der Bürgermeister schon einmal gedroht, dass er rechtliche Schritte einleiten werde, wenn Unwahrheiten in die Zeitung kämen.
Polizei ermittelt in dem Fall
Bürgermeister Summerer sagt gegenüber den OVB-Heimatzeitungen, er habe den beiden „natürlich nicht gedroht“. Er habe ihnen mitgeteilt, dass sie nur Wahrheiten verbreiten sollen, wenn sie an die Presse gingen. Und dass sie „vorsichtig“ sein sollen. Ob der Tatbestand der Bedrohung besteht, muss nun die Polizei herausfinden. Denn Wimmer und Spohn haben jeweils eine Anzeige erstattet. Das bestätigt Johanna Heil, Medienbeauftragte der Polizeiinspektion Rosenheim. Die Beamten müssten nun ermitteln, „was da dran ist“. Mit den Anzeigen konfrontiert, sagt der Bürgermeister: „Das finde ich natürlich nicht schön. Der Vorwurf stimmt so nicht.“
Das sieht Spohn anders. Sie will sogar Schmerzensgeld von Summerer, weil er und die Gemeinde nichts gegen die „Wassermassen“ unternehmen und sie dadurch gestürzt sei. Am Montag, 28. August, berichtet Spohn von einem Krankenhaus-Besuch in Prien am Chiemsee. Der Arzt habe „massive Prellungen“ festgestellt, vor allem am Gesäß und den Füßen.
Spohn und Wimmer sprechen zudem von einer großen psychischen Belastung. Sie seien „kaputt“ und „nervlich am Ende“. Das hat auch der Bürgermeister erkannt. Summerer sagt über Wimmer, er sei „hoffnungslos überfordert“ und „der weiß nicht mehr, was er tun soll“.
Ingenieurbüro untersucht Sturzflut-Risiko
In Bayern gibt es ein Förderprogramm für das Sturzflut-Risikomanagement der Gemeinden. Söchtenau hat sich dafür gemeldet. Ein Ingenieurbüro aus Siegsdorf kümmert sich um die Vermessungen. Der Geschäftsführer möchte weder seinen Namen noch den seines Unternehmens in der Zeitung lesen. Er wisse von der unglücklichen Situation auf dem Hof. Aktuell vermessen die Mitarbeiter des Unternehmens die topografischen Strukturen für das Gemeindegebiet Söchtenau. Auch auf dem Grundstück von Philipp Wimmer waren sie bereits. Laut dem Geschäftsführer dauert es ein dreiviertel Jahr bis alle Ergebnisse vorliegen. Um eine Aussage über die Gefährdung des Grundstücks von Wimmer zu treffen, sei es zu früh. Es handele sich um eine „sehr komplexe und umfassende Arbeit“. Mit den Ergebnissen der Vermessungen könnten dann Maßnahmen entwickelt werden, die jedoch zuerst genehmigt werden müssen. Es sei deshalb ungewiss, wie lange der Prozess dauert, ob Monate oder Jahre.



