Streit um Flüchtlingsunterkunft
Stephanskirchen klagt gegen den Freistaat Bayern – Kampf um das „höchste Gut der Gemeinden“
Stephanskirchen klagt gegen das Landratsamt. Und damit gegen den Freistaat Bayern. Warum sich die Gemeinde zu diesem Schritt entschlossen hat.
Stephanskirchen - „Ich finde, wir können uns unser wertvollstes Gut nicht aus der Hand nehmen lassen.“ So knapp und doch so weitreichend begründete Bürgermeister Karl Mair (Parteifreie), warum er für eine Klage der Gemeinde gegen den Freistaat Bayern ist. Auslöser: Die Unterkunft für bis zu 101 Flüchtlinge in einer leeren Gewerbehalle. Der Mietvertrag zwischen Eigentümer und Landkreis ist längst unterschrieben.
Die Gemeinde hatte die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Gewerbegebiet im Ortsteil Murnau beschlossen, samt Veränderungssperre. Dennoch folgte ein Antrag des Gebäudeeigentümers auf Nutzungsänderung. Den der Gemeinderat Ende April ablehnte und diese Ablehnung Anfang Juni noch einmal bestätigte. Das Landratsamt ersetzte das Einvernehmen der Gemeinde, stimmte dem Nutzungsantrag zu.
Baugenehmigung kam am 17. Juli
Eigentlich sollte es in der jüngsten Sitzung um die Ermächtigung des Bürgermeisters gehen, Klage gegen das Landratsamt und damit den Freistaat Bayern zu erheben. Nachdem aber das Landratsamt am 17. Juli die Baugenehmigung für die Umnutzung erteilte, ging es jetzt gleich um die Klage. Denn dafür ist nur ein Monat Zeit.
Es geht den Stephanskirchnern nicht darum, dass sie keine Flüchtlinge und Asylbewerber aufnehmen wollen. Sie wollen es nur nicht so. Nicht in einer Industriehalle mitten in einem Gewerbegebiet, weit ab von Lebensmittelmarkt, Kindergarten, Eisdiele und allem anderen. Nicht direkt an der Sims, die bei reichlich Regen immer wieder eine Gefahrenquelle ist und die direkt am Grundstück vorbeiführt. Nicht auf einem Grundstück, das überhaupt keine Aufenthaltsqualität hat. Keine Bank, keinen Baum oder Busch, geschweige denn einen Spielplatz. Nicht für 100 Menschen.
Kleinere Unterkünfte brauchen Zeit
Dezentral gerne. Das allerdings ist eine Option, die nach Ansicht von Bauamtsleiter Wolfgang Arnst etwa zwei Jahre Zeit brauche. Wenn nach dem Muster von 2015/2016 Neubauten entstehen sollen. Zwei Jahre, die das Landratsamt der Gemeinde nicht gibt. Die Bauabteilung des Landratsamtes macht mit ihrer Genehmigung den Weg frei für die Abteilung Soziales des Landratsamtes.
Das Landratsamt werde mit seiner Notlage argumentieren, mit den Problemen, Flüchtlinge unterzubringen. Für Mair alles nachvollziehbar, aber „wir können uns die Gestaltungshoheit nicht aus der Hand nehmen lassen. Sie ist das höchste Gut der Gemeinden.“ Deshalb sei er, sei die Verwaltung, für eine Klage gegen die Entscheidung des Landratsamtes.
Rechtsschutzversicherung greift
Johannes Lessing (Die Grünen) wollte kein Geld in eine möglicherweise vergebliche Klage stecken. Das finanzielle Risiko ist aber laut Verwaltung überschaubar: Die Rechtsschutzversicherung der Gemeinde greife, Stephanskirchen müsse nur die Selbstbeteiligung tragen. Und die Klage habe zwar per se keine aufschiebende Wirkung, der Antrag darauf werde allerdings beim Verwaltungsgericht gleich mit gestellt, so Christian Hausstätter von der Bauverwaltung.
Lösung im Gewerbegebiet „suboptimal“
Gut so, fand Herbert Bauer (Parteifreie), denn er habe das Gefühl, das Landratsamt habe etwas gegen kleine Einheiten zur Unterbringung von Flüchtlingen. Aber vielleicht wäre man dazu doch bereit, wenn die größere Unterkunft auf sich warten lasse. Außerdem, so Mair, könne es ja auch sein, dass sich in den nächsten Monaten geeignete gemeindliche Gebäude für die Unterbringung von Flüchtlingen fänden. „Die Lösung dort im Gewerbegebiet ist definitiv suboptimal.“
Eine Meinung, die Dr. Nicole Eckert (Die Grünen) durchaus teilt. „Aber ich finde, wir können die Unterkunft aus moralischen Gründen trotzdem nicht ablehnen. Die Menschen müssen ja irgendwo hin. Also sollten wir alles tun, um das Beste aus der Unterkunft herauszuholen. Und ich bin sicher, dass wir das als Gemeinde schaffen.“
Möglich. Aber dennoch beschloss der Gemeinderat mit 16 zu vier Stimmen, Klage gegen das Landratsamt und damit den Freistatt Bayern einzureichen. Wegen Beschneidung der Gestaltungsfreiheit.
Parallele Klage-Entscheidung in Feldkirchen-Westerham
Zur gleichen Zeit fiel ganz im Westen des Landkreises, in Feldkirchen-Westerham, ebenfalls die Entscheidung, ob die Gemeinde – die in der Sache die gleiche Anwaltskanzlei hat, wie Stephanskirchen – gegen die dort geplante Containeranlage für 160 Flüchtlinge klagt. Mit dem gleichen Ergebnis: Auch Feldkirchen-Westerham klagt gegen das Landratsamt. Allerdings aus anderen Gründen, vor allem wegen der auf elf Jahre festgesetzten Nutzungsdauer.
Wie es in Rott weitergeht, wo der Landkreis eine Unterkunft für gleich rund 500 Flüchtlinge in einer Gewerbehalle unterbringen will, ist noch nicht klar. Da verhandeln Gemeinde und Landratsamt seit Monaten. Eine Baugenehmigung gibt es bisher nicht, denn die Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“ hat eine Petition beim Landtag in München eingereicht. Und die hat aufschiebende Wirkung. Solange es keine Rückmeldung aus dem Landtag gibt, gibt es auch keine Entscheidung über eine Klage.