Landratsamt contra Gemeinde
Ober sticht Unter – Flüchtlings-Unterkunft in Stephanskirchen sorgt weiter für Streit
Die Gemeinderäte von Stephanskirchen sind sauer – quer durch die Fraktionen: Das Landratsamt drückt die Dauerunterkunft für 100 Geflüchtete und Asylsuchende durch. Gegen den Willen der Gemeinde. Wird die Planungshoheit mit Füßen getreten?
Stephanskirchen – Sie sind ja gerne bereit, Menschen in Not aufzunehmen, die Stephanskirchner. Aber eben nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft für rund 100 Personen. Mitten im Gewerbegebiet. Fern ab von Kita, Schule, Supermarkt. Zu viert auf 28 Quadratmetern. Da sind sie sich einig, die Gemeinderäte. Ob Bayernpartei oder Grüne. Allein: Das Landratsamt drückt diese Unterkunft durch.
Bebauungsplan für drei Grundstücke
Ende April hatte der Gemeinderat beschlossen, für drei Grundstücke an der Hofmühlstraße westlich des Baumarktes einen Bebauungsplan aufzustellen. Ausdrücklich ausgenommen: die Nutzung gewerblicher Immobilien zu sozialen Zwecken. Eine zweijährige Veränderungssperre kam gleich noch obendrauf. Ziel: Per Baurecht eine Unterkunft für rund 100 geflüchtete und asylsuchende Menschen verhindern.
Es kam, wie es zu befürchten war: Das Landratsamt, beziehungsweise dessen Bauabteilung, teilte der Gemeinde mit, dass es die Umnutzung zu einer Gemeinschaftsunterkunft trotz Veränderungssperre genehmigen wird, um dringend benötigte Flüchtlingsunterkünfte bereitstellen zu können. Das ist nach § 246 Abs. 14 BauGB möglich. Und laut Landratsamt auch der Fall.
Der Verwaltung fehlen konkrete Angaben
Allerdings, bemängelt die Gemeindeverwaltung, fehlen seitens des Landratsamtes konkrete Angaben zur Anzahl der unterzubringenden Asylbewerber und zu möglichen Alternativen zum Objekt Hofmühlstraße 34, das der antragstellenden Beck&Fecke Familienholding KG gehört. Diese Informationen seien also für die Gemeinde nicht überprüfbar. „Eine Berufung auf § 246 Abs. 14 BauGB ohne detaillierte Angaben erscheint rechtlich fragwürdig“, formuliert es Christian Hausstätter, der Baurechtler der Gemeinde, in seiner Sachvorlage.
173 Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht lebten laut Landratsamt Stand Ende Februar in Stephanskirchen. Laut Bürgermeister Karl Mair sind in dieser Zahl allerdings ukrainische Flüchtlinge in Privatunterkünften nicht enthalten. Mit 173 liege Stephanskirchen an achter Stelle im Landkreis, so Mair. Es ist auch die achtgrößte Gemeinde im Landkreis. Und bereit, weitere Menschen in Not aufzunehmen. Aber nicht in einer großen Unterkunft, da sei Integration nicht möglich.
Der Stephanskirchner Weg
2015 beschloss der Gemeinderat, auf fünf Grundstücken – verteilt über das ganze Gemeindegebiet – 20 Wohneinheiten für Flüchtlinge aus dem Boden zu stampfen. Das ging, weil angesichts des Flüchtlingsstroms die Vergaberechtsvorschriften für öffentliche Baumaßnahmen nahezu außer Kraft gesetzt waren, kurzfristig reagiert werden konnte. Und: Das Landratsamt war bereit, die Baukosten im Laufe der Mietzeit komplett zu zahlen. Unter diesen Bedingungen habe die Gemeinde die dezentralen Unterkünfte gebaut, so der damalige Gemeinderat Karl Mair.
Beides sei heute nicht mehr möglich, so der jetzige Bürgermeister Karl Mair. Die aufwändigen Vergabeverfahren führten dazu, dass neue dezentrale Unterkünfte frühestens 2026 fertig wären. Und das Landratsamt habe angekündigt, dass es die Baukosten nicht wieder komplett tragen werde. Mittel für den Bau neuer Unterkünfte sind weder im Haushalt 2024 noch in der Finanzplanung ab 2025 enthalten. Die Investitionen würden den Haushalt zusätzlich belasten.
Die jüngste dezentrale Unterkunft schuf die Gemeinde mit dem Kauf des alten Pfarrhofs in Schlossberg. Dort sind jetzt zwei WGs für bis zu 16 Geflüchtete aus der Ukraine. Weitere Immobilien habe die Gemeinde derzeit nicht zur Verfügung.
Jacqueline Aßbichler (CSU) riet, die Gemeinde solle unbedingt schriftlich inhaltlich ausführlich festhalten, warum sie gegen die Gemeinschaftsunterkunft ist. Das könne bei einer eventuellen rechtlichen Auseinandersetzung wichtig sein. Die Juristin fügte hinzu, dass sie es unmöglich finde, dass das Landratsamt Mietverträge abschließe, wohl wissend, dass es kein Baurecht für dieses Gebäude gebe. „Ich möchte wissen, was das Landratsamt sagen würde, wenn wir es umgedreht genauso machten.“
Mair war ebenfalls ungehalten: Die Planungshoheit sei eines der wichtigsten Güter der Gemeinde. Diese werde hier vom Landratsamt unterhöhlt.
Kritik am Vorgehen des Landratsamtes
Dieses Vorgehen des Landratsamtes lasse den Gemeinden ja gar keine Chance, andere Lösungen zu finden, hielt Jacqueline Aßbichler fest. Das habe der Gemeinderat schon in den vergangenen Jahren verschlafen, befand Steffi Panhans (SPD). „Wir haben so lange gewartet und uns nichts überlegt – keine Strategien, keinen Ausbau der Kapazitäten – bis jetzt alles zu spät war.“ Eine Aussage, die den Bürgermeister furchtbar ärgerte: „Sollen wir schlauer sein, als alle Experten und Bundespolitiker? Den Ukraine-Krieg und den erneuten Flüchtlingsstrom konnte keiner vorhersehen.“
Panhans legte nach: Alternativen suchen wolle die Mehrheit des Gemeinderates nicht. Die Gemeinschaftsunterkunft wolle man auch nicht. Aber mit einer Lösung beschäftigen wollten sich Gemeinderat und Verwaltung offensichtlich ebenfalls nicht. „Mit dieser Haltung kann ich nichts anfangen.“
Kündigung des Mietvertrags möglich, aber nicht gewollt
Die Juristin Aßbichler und die Immobilienfachfrau Panhans waren sich in einem sehr einig: Das Landratsamt käme sehr wohl aus dem Mietvertrag mit der Familienholding heraus. Aber, so Aßbichler, „das wollen sie ja gar nicht.“
Die Gemeinde will allerdings weiterhin die Gemeinschatzunterkunft in der leerstehenden Industrieimmobilie nicht. Der Gemeinderat blieb bei seiner Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens zur Umnutzung des Gebäudes. Wie in der Sitzung vom 30. April bereits beschlossen.
