Rechnet sich Bahn die Zahlen schön?
Neues Gutachten: So will der Brennerdialog die Planung für den Brenner-Nordzulauf bremsen
Neue Zahlen, neue Chancen? Der Brennerdialog legt ein neues Gutachten zum Brenner-Nordzulauf vor, die Bahn kontert mit alten Argumenten für den Sinn des Milliardenprojekts. Worum es geht. Und warum sich Nordzulauf-Gegner bald mit Stadt und Landkreis zusammensetzen.
Rosenheim - Braucht‘s den Brenner-Nordzulauf, jedenfalls in der Form, wie ihn die Bahn plant, nämlich mit zwei neuen Gleisen? Oder genügt der Ausbau des Bestands? Wie man die Frage beantwortet, hängt nicht zuletzt davon ab, wie man den Bedarf vor allem durch den Güterverkehr und die Leistungsfähigkeit der aktuellen Infrastruktur beurteilt.
Die Bürgerinitiativen unter dem Dach des Brennerdialog Rosenheimer Land sind in dieser Frage ganz anderer Meinung als die Bahn. Und sie führen nun ein neues Gutachten gegen das Milliardenprojekt der Bahn ins Feld. Erstellt hat es das Büro Vieregg/Rössler, vorgestellt wurde es am Mittwoch, 5. April, in Tattenbach.
Bürgerinitiative: Die Bahn übertreibt Bedeutung des Brenner-Übergangs
Mit folgendem Ergebnis: Die Bahn rechne sich den Bedarf eines Neubaus schön. Der Brenner müsse nicht die große Rolle spielen, die sich die Bahn für ihn ausrechne. Denn für große Teile des Verkehrs gebe es Alternativen. Auch, was die Verbindung zwischen München und Salzburg betreffe - Rosenheim könne da entlastet werden, so wie im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen.
Unterschlägt die Bahn die Ausbaustrecke über Mühldorf?
Denn die Bahn unterschlage weitgehend die Ausbaustrecke München - Mühldorf - Freilassing (ASB 38). Dabei stütze sich auf die Aussagen der Brenner Corridor Platform (BCP), die im Dezember 2021 eine Studie zum Schienengüter- und Personenverkehr vorlegte. Und auch in diesen Studien spiele die Ausbaustrecke München - Mühldorf - Freilassing keine Rolle. Die Prognosen der BCP-Studie beruhten „auf fehlerhaften Annahmen“, fasst der Brennerdialog seine Bedenken zusammen.
Weil die BCP-Prognose die Ausbaustrecke ignoriere. Daher komme sie zur Annahme, dass 2040 noch immer mit 60 Prozent der Güterzüge nach Salzburg über Rosenheim fahren müssten. „Mit einer sinnvollen Umleitung des Güterverkehrs auf die ABS 38 würde die Rosenheimer Strecke um 46 Züge entlastet“, meint dagegen der Brennerdialog analog zum neuen Gutachten in einer Pressemitteilung.
Bahn kontert auf Vorwürfe der Bürgerintitiativen
Was die Bahn so nicht auf sich sitzen lassen will. In der Studie von BCP seien sehr wohl alle Ausbauprojekte in nationalen und europäischen Investitionsprogrammen berücksichtigt worden, sagte ein Sprecher des Konzerns auf OVB-Anfragen. In diesem Zusammenhang sind auch die verkehrlichen Wirkungen der Ausbaustrecke München – Mühldorf – Freilassing auf den Brenner-Nordzulauf bis 2040 bewertet worden.
Es handele sich, so führt der Sprecher aus, lediglich um „eine kleinere Zahl von Zügen“, die von der Rosenheimer Strecke wegverlagert würden. Tatsächlich behandelt die Studie die Ausbaustrecke - wenn auch kurz - in ihrer Zusammenfassung über den Güterverkehr.
Das ist ASB 38: Bahn will Südostbayern besser anbinden
Die Bahn will nach eigenen Worten den Personen- und Güterverkehr in Südostoberbayern voranbringen. Kernstück ist der Ausbau der Bahnverbindung zwischen München und Freilassing. Auf einer Länge von 145 Kilometern werde die Strecke durchgehend elektrifiziert und in weiten Teilen zweigleisig ausgebaut. So schreibt die Bahn auf den Online-Seiten zur ABS38.
Dort steht auch zu lesen, dass die elektrifizierte und zweigleisig ausgebaute Strecke zwischen München und Freilassing der „Entlastung der Brennerzulaufstrecke München-Kufstein“ im Abschnitt zwischen München und Rosenheim dienen soll. Dennoch, so lässt sich der Standpunkt der Bahn zusammenfassen, ist der zweigleisige Ausbau des Brenner-Nordzulaufs unumgänglich.
Brennerdialog: Ein Drittel des Brenner-Verkehrs ist Ausweichverkehr
Der Brenner-Nordzulauf soll vor allem die weiterhin steigende Menge des Güterverkehrs in Richtung Brenner-Basistunnel führen. Dabei, so führt es das neue Gutachten außerdem an, fließe über den Brenner viel Verkehr, der in Zukunft entfallen könne. Die Tauernroute werde den Verkehr aus dem Norden nach Triest aufnehmen können. Ebenso wenig berücksichtigte die BCP-Studie, dass etwa 30 Prozent der Lkw Umwege von bis zu 440 Kilometer absolvierten, da die Brennerstrecke „die mit Abstand billigste“ sei.
Die Bahn will sich auch mit der Tauernstrecke nicht anfreunden. „Die östliche Alpenquerung über die Tauernbahn nach Triest ist gegenüber einer Flachbahn mit dem Brennerbasistunnel kaum konkurrenzfähig“, sagt der Bahnsprecher. Und das Argument mit dem Umwegverkehr? Alpenquerungen beispielsweise über das Gebiet der Schweiz erfreuen sich bei Spediteuren geringer Beliebtheit - die Schweiz gilt als teuer und streng bei den Kontrollen. Und sie ist kein Land der Europäischen Union.
Stadt Rosenheim bestätigt Gespräche für Anliegen der Region
Der Brennerdialog will den Widerstand gegen die Bahn auf jeden Fall fortsetzen. Das verspricht Lothar Thaler als Vorsitzender der Initiative. Denn die Studie mache auch deutlich, dass der Abschnitt zwischen München und Grafing der „Flaschenhals“ sei. Wenn nicht auch der Abschnitt München - Grafing ausgebaut werde, dann könnten maximal 18 Züge mehr pro Tag über den Brenner-Nordzulauf rollen. „Dafür ein Zehn-Milliardenprojekt zu starten, ist ökonomisch wie ökologisch Wahnsinn“, sagt Thaler.
Der Flaschenhals bleibt München - Grafing
Wenn der Brenner-Nordzulauf nicht kommt, also keine zusätzlichen neuen Gleise Güterverkehr nördlich um Rosenheim herumführen können, droht Rosenheim und seinem Bahnhof allerdings Überlastung. Selbst wenn irgendwann die Ausbaustrecke ein paar Züge abnehmen könnte. Daher müsse für Rosenheim ein Weg gefunden werden, sagt Thaler. „Wir sind offen für gute Lösungen“. In einer Runde zusammen mit Landrat Otto Lederer und Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März werde man sich besprechen.
Das Rathaus Rosenheim bestätigt Gespräche zwischen Oberbürgermeister März, Landrat Lederer und Vertretern der Bürgerinitiativen. Es gehe dabei um Kernforderungen der Region an die Bahn. Was den Brenner-Nordzulauf betreffe, habe man die Meinung aber nicht geändert. „Ein Ausbau der Bestandsstrecke komme nicht in Betracht“, sagt Sprecher Christian Baab.