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Landtagspräsidentin „fühlt sich traurig an diesem Ort“

Ilse Aigner besucht Andachtsraum gegen sexuellen Missbrauch in Unterwössen

Andachtsraum St. Martin mit (von links) bayerischer Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Bildhauer Andreas Kuhnlein, ehemaliger Landtagspräsident Alois Glück und Generalvikar Christoph Klingan
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Andachtsraum St. Martin mit (von links) bayerischer Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Bildhauer Andreas Kuhnlein, ehemaliger Landtagspräsident Alois Glück und Generalvikar Christoph Klingan

Tief ergriffen zeigte sich Landtagspräsidentin Ilse Aigner beim Besuch des Andachtsraums der Pfarrkirche St. Martin in Unterwössen. „Nicht nur die Kirche, sondern die Gesellschaft insgesamt braucht den Mut zur Wahrheit“, ruft Ilse Aigner auf.

Unterwössen - Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner besuchte am Freitag, den 24. März, die Pfarrkirche St. Martin in Unterwössen. Durch den Bericht über die Öffnung des Andachtsraums im Kirchturm war sie auf das Projekt gegen den sexuellen Missbrauch des Unterwössner Bildhauers Andreas Kuhnlein aufmerksam geworden. „Dieser Besuch ist mir eine Herzensangelegenheit.“ Zusammen mit ihr besuchten der ehemalige Landtagspräsident Alois Glück und der Generalvikar Christoph Klingan der Erzdiözese München Freising die Pfarrkirche. Andreas Kuhnlein begrüßte sie, Pfarrer Martin Straßer, Bürgermeister Ludwig Entfellner und den Verwaltungsleiter der Gemeinde Thomas Müllinger.

Überfälliger Hinweis auf Leid der Opfer

Andreas Kuhnlein beschrieb seine Idee, eine zentrale Botschaft des Glaubens und einen längst überfälligen Hinweis auf das Missbrauchsgeschehen in Unterwössen vor rund 60 Jahren zu schaffen. Das Leid dreier missbrauchter Schulkameraden hatte ihn Jahrzehnte lang nicht losgelassen, der Umgang der Gesellschaft mit dem Thema immer wieder alte Wunden aufbrechen lassen. Der Andachtsraum birgt eine dreiteilige Darstellung mit einer zentralen vollplastischen Skulptur, flankiert von zwei Reliefs, die die Verurteilung Jesu durch Pilatus und seine Kreuzigung darstellen. Kuhnlein erläuterte seine Darstellungen.

Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner „fühlt sich traurig an diesem Ort“, der an sexuellen Missbrauch in der Kirche erinnere. Trotzdem bleibe ihr als Katholikin der Glaube wichtig. „Der Glaube bedeutet mir viel“, so Aigner. Umso mehr trifft es sie, dass sich immer mehr Menschen aufgrund des Vertrauensverlustes und der verschleppten Aufarbeitung von Missbrauchsfällen aus der Kirche entfernen. Als Katholikin wünscht sich die Landtagspräsidentin, dass sich die Kirche erneuert, um ihren Platz in der Gesellschaft zu behalten. „Der Synodale Weg ist der richtige Weg dorthin.“ Er helfe den Missbrauch zu bekämpfen, mehr Toleranz in der Sexualmoral zu erreichen, die Gleichstellung zu fördern und die Ökumene zu stärken. „Die Kirche braucht jetzt Gläubige wie Andreas Kuhnlein, die sich engagieren und diesen Weg mitgehen.“

Andachtsraum in der Kirche

„Kuhnlein ist einer von den zutiefst gläubigen Menschen“, empfindet Aigner aus Projekt und Begegnung. Von den Missbrauchsfällen in Unterwössen sei der stark betroffen. Als Unterwössner kannte er drei der dokumentierten, gleichaltrigen Opfer und litt mit ihnen. Ihn schmerzte und machte wütend, dass die Dorfgemeinschaft die Opfer ausgegrenzte, und den Täter als beliebten Pfarrer schützte. In der Folge schrieb Kuhnlein einen wütenden Brief an Kardinal Marx und erhielt darauf einen nachdenklichen Brief des Kardinals. Aus der Neugestaltung der Kirche und verschiedenen Gesprächen entwickelte sich letztlich die Idee für den Andachtsraum der Kirche mit „eindrucksvoller Kunst“, knüpfte Aigner an Kuhnleins Einleitung an. „Eine Kunst, die die Kirche aufruft, die Schutzlosen zu schützen, an der Seite der Opfer zu stehen. Die Kirche braucht mehr Menschen wie Kuhnlein.“

Ein Platz für wichtige Erinnerungskultur

Der Andachtsraum in der Pfarrkirche St. Martin sieht die Landtagspräsidentin aber auch eine großartige Gemeinschaftsleistung. An den Generalvikar Klingan gewandt, urteilt Aigner, dass sich das Bistum der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stellt und aktiv zur Aufklärung beiträgt. Die Erzdiözese ermöglichte die Gestaltung des Raumes finanziell mit. Die Worte des Generalvikars aus der Vorstellung des Andachtsraumes klängen nach, empfindet die Landtagspräsidentin. Klingan fand klare Worte, dass in der Kirche kein Platz für Missbrauch und sexuelle Gewalt ist, beschreibt Aigner. Tatsächlich ist Kirche in der Verantwortung, ehrliche Aufarbeitung zu leisten und den Schutz des Schutzlosen über den Schutz der eigenen Institution zu stellen, findet Aigner. Der Bürgermeister Ludwig Entfellner und der Unterwössner Gemeinderat unterstützten das Projekt und schufen einen Platz für wichtige Erinnerungskultur. Diese Erinnerung braucht es, um sicherzustellen dass so etwas nicht nie wieder passiert, denkt Aigner.

Verantwortung bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den Kirchen zu tragen, verlangt Aigner auch vom Staat. Mit Kirchenrecht und kircheninternen Regelung sollte er die Opfer in den Mittelpunkt stellen und nicht die Täter schützen. Dazu sei eine enge Kooperation der kirchlichen Institutionen mit der Justiz notwendig. Aigner freut, dass der Rechtsstaat inzwischen sehr konsequent gegen sexuellen Missbrauch vorgeht und die Staatsanwaltschaften Recht und Gesetz anwenden. Zu kritisieren bleibe, dass diese konsequente Haltung so spät kommt. Wenn die Kirche heute viel unternimmt, den Opfern des Missbrauchs gerecht zu werden, kommt diese Einsicht für viele Opfer zu spät. „Die Kirche muss Vertrauen zurückgewinnen, um ihrer Rolle als moralische Instanz gerecht zu werden und ihre Arbeit für die Gesellschaft leisten zu können.“ Aigner warnt, alle Geistlichen und Laien in den Kirchengemeinden unter Generalsverdacht zu stellen. „Viele von ihnen leisten vorbildliche Jugendarbeit und verdienen es nicht in Verruf zu geraten.“

Aufarbeitung und Prävention als zentrale Aufgaben

„Nicht nur die Kirche, sondern die Gesellschaft insgesamt braucht den Mut zur Wahrheit“, ruft Ilse Aigner auf. Der Andachtsraum in Unterwössen stehe symbolisch für diesen Mut zur Wahrheit und das Erinnern an die Opfer des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. „Doch Gedenkkultur erschöpft sich nicht in der Ausgestaltung eines Raumes. Es sind die Gespräche um den Ort und seine Geschichte herum, die das Erinnern wirksam machen. „Mir war es wichtig diesen Ort persönlich kennen zu lernen.“

Der Generalvikar des Erzbischofs von München und Freising, Christoph Klingan, betonte in der Pfarrkirche St. Martin in Unterwössen die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Thema Missbrauch. „Aufarbeitung und Prävention von sexuellem Missbrauch sind und bleiben zentrale Aufgaben, wir werden in unseren Bemühungen hier nicht nachlassen“, versicherte Klingan.

Die Erzdiözese werde den Betroffenen zur Seite stehen und alles tun, „damit im Raum der Kirche kein Platz für Missbrauch, sexuelle Gewalt oder Grenzüberschreitungen ist.“ Die Zusammenarbeit mit dem Staat sei wichtig, um Aufarbeitung, Intervention und Prävention zu gewährleisten. Klingan verurteilte den Missbrauchstaten in Unterwössen als schreckliches Verbrechen und dankte dem Bildhauer Andreas Kuhnlein für das Projekt. Der Andachtsraum entstand im Austausch mit dem Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising und wurde von der Erzdiözese München und Freising und der Unterwösssner Kirchenstiftung finanziert.

Anerkennung als Problem zäh verlaufen

Alois Glück – „ich bin hier nur Privatmann“ -, einer der Vorgänger der Landtagspräsidentin, erinnert sich, wie in seiner Zeit als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) im Januar 2010 die Schulleitung des Berliner Canisius Kollegs sexuellen Missbrauch an diesem Gymnasium publik machte. Das habe zwei Prozesse parallel in Gang gesetzt, einerseits verdrängten viele die Wahrheit, zum anderen wuchs bei anderen das Problembewusstsein. Die Anerkennung als Problem sei sehr zäh verlaufen. Gestandene und hochgeachtete Kirchenleute sahen die Gefahr, dass die Menschen in Scharen die Kirche verlassen würden, würde man den Vorwürfen schonungslos nachgehen, schildert Glück aus Gesprächen. Sie stellten das Wohl der Amtskirche über das Leid der Betroffenen.

Umso drängender sieht Glück die Notwendigkeit, die Wahrheit herauszubringen. „Auf dem Weg kann sich keiner damit entschuldigen, sexuellen Missbrauch habe es auch in anderen Institutionen gegeben.“ Glück weiß aus eigenen Gesprächen über das Ausmaß des Leides für die Betroffenen. Es sei wichtig das überall bewusst zu machen. In Andreas Kuhnlein und seiner Kunst sieht er eine treibende Kraft in diese Richtung. „Ich frage mich manchmal, was da in deinem Kopf so vorgeht, wenn du über so etwas nachdenkst, an so etwas arbeitest“, wendet sich Glück an Kuhnlein. „Das willst du nicht wirklich wissen“, lacht der zurück.

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