Raublinger Bluttat – 32-Jähriger vor Gericht
„Einfach nur krank“: Nachricht von Tobias A. an seinen Vater – während der tot im Kofferraum lag
Den Vater getötet und dann mit der Leiche nach Italien gefahren. Das wirft die Staatsanwaltschaft dem Raublinger Tobias A. vor. Am zweiten Verhandlungstag am Traunsteiner Landgericht erhält man eine leise Ahnung, wie A. von Familie und Freunden erlebt wurde – und welche Wendepunkte sein Leben bestimmten.
Traunstein/Raubling – „Hallo Papa, i bin‘s“, sagt Tobias A. mit brüchiger Stimme. „I woas ned, was i sagen soll. I bin total verzweifelt.“ Dann einige Sekunden Stille. „Was das alles kaputt macht, ist nicht in Worte zu fassen. Was mit mir passiert ist, ist die reinste Tragödie.“ Wieder Stille. „Es ist einfach nur krank.“ Das sind die ersten und einzigen Worte, die Richter, Anwälte, Staatsanwaltschaft und Zuschauer an diesem zweiten Verhandlungstag am Landgericht Traunstein von Tobias A. zu hören bekommen. Allerdings nicht persönlich. Der 32-jährige Beschuldigte schweigt weiterhin.
Tobias A. sprach seinem toten Vater auf die Mailbox
Dem Raublinger wird vorgeworfen, seinen Vater getötet zu haben. Allerdings im Zustand der Schuldunfähigkeit. Er leidet unter einer paranoiden Schizophrenie, wie der psychiatrische Gutachter am ersten Verhandlungstag bestätigte. Die zuvor erwähnten Aussagen werden am zweiten Verhandlungstag vor Gericht abgespielt. Sie stammen von der Mailbox des Vaters – der zum Zeitpunkt des Anrufs bereits tot war. Im Hintergrund hört man Gesprächsfetzen auf Italienisch. Denn zum Zeitpunkt der Aufnahme befanden sich Tobias A. und die Leiche seines Vaters bereits in Italien. Mafiosi hätten den Vater getötet und ihm befohlen, die Leiche nach Italien zu bringen, schilderte A. dem Gutachter.
Wie bereits am ersten Tag der Hauptversammlung wirkt Tobias A. abwesend. Die meiste Zeit starrt er abwesend auf den Tisch vor sich, schließt die Augen oder blickt ins Leere. Doch eine Sache ist anders als beim letzten Termin. Er wirkt angefasst, fast ein wenig nervös, als eine Polizeibeamtin von der Vernehmung seiner Schwester erzählt. Immer wieder reibt er die Hände über die Oberschenkel und leckt sich über die Lippen. Sein Gesicht ist gerötet.
Tobias A. schon früh „psychisch auffällig“
Bei der Polizei berichtete A.s Schwester, dass er einen „schlechten Freundeskreis“ gehabt habe und schließlich mit Betäubungsmitteln in Kontakt gekommen war. Im Alter von 14 oder 15 Jahren seien dann die ersten „psychischen Auffälligkeiten“ zum Vorschein gekommen. Genauer beschreibt die Schwester dies nicht. Seine Zeit in der JVA Bernau, wo er unter anderem wegen Körperverletzung und Betäubungsmittelvergehen einsaß, sei dann ein „einschneidendes Erlebnis“ gewesen. Dort habe sich sein Zustand drastisch verschlechtert. Medikamente lehnte er im Gefängnis aufgrund seiner Drogen-Vergangenheit konsequent ab.
Nach der Entlassung sei es dann zu einer „rapiden Verschlechterung des psychischen Zustands“ gekommen. Er habe „Menschen angeschrien, die gar nicht da waren“, erklärte die Schwester bei der Polizei. Sie beschreibt den Zustand ihres Bruders als „extremen Wahn“. Dieser sei später sogar deutlich zu erkennen gewesen. Denn immer, wenn er sich verfolgt gefühlt hatte, trug er eine Sonnenbrille – ungewöhnlich, da er dies sonst nie tat.
Als Tobias A. schließlich nach dem Aufenthalt in der JVA und mehreren Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken bei seinem Vater einzog und einen neuen Job begann, besserte sich sein Zustand deutlich. Der Vater habe sich sehr um ihn gekümmert, berichtet die Schwester. Sie habe ihn „nach Jahren endlich wieder mit einem Grinsen im Gesicht gesehen“ und die Hoffnung gehabt, endlich ihren Bruder zurückzuhaben.
So beschreiben Kollegen den Beschuldigten
Auf den neuen Job war er sehr stolz, erzählte die Schwester bei der Vernehmung. Und auch ehemalige Vorgesetzte berichteten an diesem Verhandlungstag, dass er sich sehr über die Chance gefreut habe. „Er hat sich auf jeden Fall Mühe gegeben“, berichtet der Produktionsleiter von A.s Betrieb vor Gericht. Doch wie auch schon die Nachbarn beschreibt er den jungen Mann als undurchsichtig. „Sein Gesichtsausdruck war immer gleich“, erklärt er. So beschreiben ihn auch der Chef und seine direkte Arbeitskollegin, die mit ihm in der Nachtschicht gearbeitet hatte.
„Er hat so gut wie nie etwas gesprochen“, sagt A.s ehemalige Kollegin vor Gericht aus. „Wir Kollegen machen immer wieder ein bisschen Spaß. Bei ihm ist mir das nie gelungen. Schade eigentlich“, erzählt sie. Nur einmal hätte sie ihm ein Grinsen entlocken können. Lediglich als er über die Feier zum 60. Geburtstag seines Vaters gesprochen hat, sei er etwas aufgeweckter gewesen. „Das hat ihn gefreut, da war er voll bei der Sache“, schildert die Kollegin.
Raublinger Bluttat-Prozess: Tobias A. plötzlich wie ausgewechselt
Im August 2024 stand dann der Betriebsurlaub an. Danach hätte A. in der Tagschicht arbeiten sollen, neues lernen. Doch so weit kam es nicht. Denn mit dem Urlaubsbeginn war Tobias wieder wie ausgewechselt, berichtete seine Schwester bei ihrer Aussage gegenüber der Polizei. „Ab dem ersten Tag des Urlaubs hat er nicht mehr gesprochen, die Leute nicht mehr angeschaut, war nur noch Zuhause und wollte nichts mehr unternehmen“, erklärte die Schwester. Sie hätte ihn dann überredet, einen Fahrradausflug mit ihm zu machen. Dabei sei er in einem auffallend schlechten Zustand gewesen.
Mehrmals tränten seine Augen, beschrieb die Schwester. Sie vermutet, dass er geweint hat – doch er hat es abgetan. Er habe ihr nur gesagt, „Du weißt eh von meinen Gedanken und Problemen.“ Als die Polizeibeamtin diese Gespräche schildert, scheint das etwas mit dem 32-Jährigen zu machen. Er atmet schwer, wirkt zum ersten Mal, als würden ihm die Aussagen nahegehen.
„Egal was ist, er wird immer mein Bruder sein.“
Als sie am Tag nach der vermeintlichen Tat nichts von ihrem Vater und auch nichts von ihrem Bruder hörte, läuteten bei A.s Schwester bereits die Alarmglocken. Als sie dann Tage später informiert wurden, dass Tobias A. festgenommen wurde und eine Leiche im Wagen des Vaters entdeckt wurde, sei ihr sofort klar gewesen, dass es sich dabei um ihren Papa handeln muss. Die Polizistin beschreibt, dass sie von A.s Schwester den Eindruck gewonnen hatte, dass sie die „Kümmerin“ der Familie sei. Bei der Vernehmung sagte sie außerdem: „Egal was ist, er wird immer mein Bruder sein.“
Anders war es bei Tobias A.s Tante. Sie wusste bis zum Tod ihres Bruders nichts von A.s Krankheiten – auch nicht von seinem JVA-Aufenthalt. Das sei immer etwas Innerfamiliäres gewesen. „Er war schon immer anders als die anderen Kinder“, sagte sie in ihrer Vernehmung. „Sehr introvertiert, sehr für sich.“
Keine normale, glückliche Familie
Sie seien keine normale, glückliche Familie gewesen, fasste Tobias A.s Schwester die Verhältnisse in ihrer Vernehmung zusammen. „Aber wir waren immer füreinander da.“ Warum ihr Bruder mit der Leiche des Vaters bis nach Italien gefahren ist, könne sie sich nicht erklären. Wie seine Route wohl verlief, schilderte schließlich der zuständige Kriminalbeamte als Zeuge vor Gericht. Der Auswertung von Kameras, Handy- und Bank-Daten zufolge sei Tobias A. mit dem Auto in Richtung Innsbruck gefahren. In Kiefersfelden habe er noch eine Vignette gekauft und dann seine Fahrt über die Brenner-Autobahn und Sterzing fortgeführt. An einer Mautstelle nahe Neapel stellt er dann das Auto mitsamt der Leiche seines Vaters ab.
Während der Schilderungen des Beamten wird A. immer wieder unruhig – befreit sich aus seiner Starre, senkt die Schultern nach vorn und reibt die Hände. Dann wirkt es, als würde er wieder zurückkehren in sein Innerstes. Was der Prozess mit Tobias A. macht, sei eine Frage, die nur ganz schwer zu beantworten ist, sagt A.s Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl nach dem Verhandlungstag. „Wir haben von seiner Persönlichkeitsstruktur gehört. Er ist sehr gedämpft“, sagt er weiter. Das habe sich auch an diesem Tag wieder gezeigt. „Was dieses Verfahren in ihm macht, ist relativ schwer darzustellen, da das Krankheitsbild im Wege steht und man auch nicht erkennen kann, was es in ihm bewegt.“
„Mehr Messer als manche Menschen Unterhosen“
Doch zurück nach Italien: Im geparkten und verlassenen Auto wurden neben der Leiche auch persönliche Gegenstände, Lebensmittel und die vermeintliche Tatwaffe gefunden. Ein Ausbeinmesser, wie es eigentlich Metzger benutzen, mit einer 15 Zentimeter langen Klinge. Wohl aus der Küche der gemeinsamen Wohnung – schließlich war der Vater Metzger und hatte „mehr Messer als manche Menschen Unterhosen“, wie A.s Schwester schilderte. Am Messer konnten die Ermittler menschliches Blut feststellen. Genauso wie Tobias A.s DNA und die seines Vaters.
Genauer unter die Lupe genommen wird die Waffe dann am dritten Verhandlungstag, am 7. April. Dann werden außerdem die Gutachten der Rechtsmedizin sowie des Psychiaters Dr. Josef Eberl präsentiert, sowie das Urteil erwartet.
