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Neue Lösungen ab März?

Turnhalle seit zwei Jahren Asylunterkunft: Welche Verrenkungen die Raublinger für Sport machen

Die Dreifach-Sporthalle des Inntal-Gymnasiums in Raubling (links). Schulleiter Erich Menacher (rechts, oben) und Bürgermeister Olaf Kalsperger (rechts, unten).
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Die Dreifach-Sporthalle des Inntal-Gymnasiums in Raubling (linker Bereich des Gebäudes) wird seit zwei Jahren als Flüchtlingsunterkunft zweckentfremdet. Wie das Team um Schulleiter Erich Menacher (oben) trotzdem Sportunterricht ermöglicht – und was Bürgermeister Olaf Kalsperger (unten) fordert.

Seit zwei Jahren wird die Turnhalle des Raublinger Inntal-Gymnasiums als Erstanlaufstelle für Flüchtlinge zweckentfremdet. Viele Schüler haben nur noch alle zwei oder alle vier Wochen Sport. Laufend wird nach neuen, provisorischen Lösungen gesucht. Ist wirklich kein Ende der Sonderbelegung absehbar?

Raubling – Seit zwei Jahren fahren 900 Schüler des Inntal-Gymnasiums Raubling im Sportunterricht vor allem Bus. Jedes freie Zeitfenster in den Sporthallen der Michael-Ende-Schule in Raubling, der Realschule Brannenburg und in der Schwimmhalle Kiefersfelden wurde für die Gymnasiasten freigeschaufelt. Selbst die Aula des Gymnasiums wurde hin und wieder zum Sportplatz. In den „Desk-Bike-Klassen“ der sechsten Jahrgangsstufe sitzen die Schüler sogar an speziellen Schreibtischen mit Ergometern, um Hirn und Körper zu trainieren. Doch so einfallsreich die Sportlehrer für mehr Bewegung in der Schule auch sein mögen: Die Eltern haben es statt.

Raublinger Gymnasiasten werden benachteiligt

„Unsere Kinder werden benachteiligt“, sagen sie im Gespräch mit dem OVB. Sie hätten kaum die Bewegungsrückstände aus dem coronabedingten Home-Schooling aufgeholt, da war ihre Sporthalle schon wieder zu. Seit September 2022 wird sie als Erstanlaufstelle für die Unterbringung von Asylbewerbern zweckentfremdet.

So wird fehlendes Hallen-Kontingent ausgeglichen

Ist das fehlende Hallen-Kontingent im Frühjahr und Sommer mit Außenanlagen noch ganz gut auszugleichen, wird es im Herbst und Winter schwierig. Zumal die Schule inzwischen aufgrund der Verletzungsgefahr davon absieht, in provisorisch hergerichteten Räumen mit ungeeigneten Bodenbelägen wie der Aula Sportunterricht anzubieten.

Auch die Busse nach Brannenburg wurden eingestellt. Bei dieser Variante blieben aufgrund der Fahrt- und Umkleidezeit von 90 Minuten Unterricht gerade mal 30 Minuten für Bewegung übrig. „Eine wenig effektive Alternative, die zudem für einen CO₂-Ausstoß sorgte, den wir als Klimaschule nicht mehr verantworten wollen“, erklärt Schulleiter Erich Menacher. In der Konsequenz haben die Schüler – außer in den fünften und sechsten Klassen sowie der Oberstufe 11 bis 13 – nur noch alle zwei oder sogar vier Wochen „echten“ Sportunterricht. „Betroffen ist davon vor allem die Mittelstufe, also die Jahrgangsstufen acht bis zehn“, bedauert Menacher.

Neue provisorische Lösungen

Das soll sich ab dem zweiten Schulhalbjahr ändern: Erhalten bleiben die Sportstunden in der neuen Sporthalle der Michael-Ende-Schule, die dem Gymnasium in enger Kooperation mit Gemeinde, Grund- und Mittelschule (MES) sowie Vereinen zur Verfügung gestellt werden. Neu hinzu kommt die Gemeindehalle, einst die alte Einfachturnhalle der Michael-Ende-Schule. Sie wird auf Kosten des Landratsamtes wieder so hergerichtet, dass alle Sicherheitsvorgaben für den Schulsport erfüllt sind. Zudem ist es dem Inntal-Gymnasium gelungen, zusätzliche Zeitslots im Innsola-Schwimmbad Kiefersfelden zu erhalten. „Auch das ist nur eine provisorische Lösung, aber mit der können wir zumindest leben“, sagt Menacher. „Ich bin optimistisch, dass ab dem zweiten Halbjahr kein Sportunterricht mehr ausfällt.“

Turnhalle bietet Platz für 318 Flüchtlinge

Ein Ende der Zweckentfremdung der Dreifach-Sporthalle des Inntal-Gymnasiums ist momentan nicht abzusehen. 318 Plätze sind in der Erstanlaufstelle vorhanden. 190 geflüchtete Menschen leben im Moment dort. So der Stand vom 8. Januar, der sich wöchentlich ändern kann. Immer dann, wenn ein Bus ankommt. Nach Informationen des Landratsamtes (LRA) sind Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen und unbegleitete minderjährige Ausländer in Raubling untergebracht. „Die Menschen kommen überwiegend aus der Ukraine, Afghanistan, Nigeria, der Türkei und dem Jemen“, informiert eine LRA-Sprecherin auf OVB-Anfrage. Fast jede Woche kommen 20 bis 40 neue Personen an. Sobald für sie eine alternative Unterkunft gefunden wurde, ziehen sie weiter, denn die Raublinger Turnhalle ist eine Durchgangsstation.

Die Flüchtlinge duschen in Containern (links) und leben in Bauzaun-Boxen in der Turnhalle, wie ein Blick durchs Fenster zeigt (rechts). „Ist das eine menschenwürdige Unterbringung?“, fragen die Eltern der Gymnasiasten.

Menschenunwürdiges Leben in „Boxen“

Für die geplante Belegung mit mehr als 300 Menschen mussten direkt im Eingangsbereich des Gymnasiums Sanitärcontainer aufgestellt werden. Hier stehen die Flüchtlinge in der Kälte an, um duschen zu können. In der Sporthalle grenzen Bauzäune ihre „Boxen“ ab. Papierbahnen sollen die Privatsphäre vor fremden Blicken schützen. Zwar hätten ihre Kinder verstanden, dass es den Flüchtlingen in der Turnhalle besser gehe, als in ihren Herkunftsländern, sagen die Eltern. „Doch von den Treppen im Schulgebäude aus kann man sehen, wie unwürdig diese Menschen hier leben müssen“, kritisieren sie. „Dass ihnen geholfen wird, ist auch uns ein wichtiges Anliegen.“ Deshalb verstehen die Eltern nicht, warum nicht mehr Containerunterkünfte errichtet werden. Damit wäre ihrer Meinung nach allen geholfen, den Flüchtlingen und den Gymnasiasten. Denn, so sagen sie: „Es gibt nicht nur ein Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung, es gibt auch ein Recht auf Unterricht.“

Wird das „Recht auf Unterricht“ verletzt?

Sogar in der Bayerischen Verfassung (Artikel 140) ist verankert, dass Sport von Staat und Gemeinden zu fördern ist. „Doch die Unterbringung von Flüchtlingen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, betont das Bayerische Kultusministerium auf OVB-Anfrage: „Daher kann der Landkreis Rosenheim, wenn keine anderen Räumlichkeiten vorhanden sind, als ultima ratio auch eine Schulsporthalle mit Flüchtlingen belegen.“

Dabei gehe es „im Kern darum, das Interesse der Unterbringung der Flüchtlinge gegenüber dem Interesse der Schülerinnen und Schüler an einer ordnungsgemäßen Beschulung abzuwägen“. Diese Entscheidung treffe der kommunale Sachaufwandsträger, also der Landkreis. Und das schließe auch die Aufgabe mit ein, diese „Entscheidung hinsichtlich ihrer Tragweite gegenüber der Schulfamilie und der Öffentlichkeit zu begründen“.

Warum die Turnhallen zweckentfremdet werden

„Die Turnhallen waren und sind leider immer noch eine notwendige und wichtige Option, um die Schutzsuchenden und Geflüchteten kurzfristig unterzubringen“, informiert das Landratsamt. „Solange keine anderen Standorte belegt werden können, sind die Turnhallen die einzige Option für die Unterbringung.“ Andere Standorte gibt es im Moment nicht. „Klagen gegen die Baugenehmigungen von Einrichtungen für eine Erstaufnahme- sowie Anschlussunterbringung führen zwangsläufig zu Verzögerungen bei der Einrichtung und Inbetriebnahme“, betont das Landratsamt mit Blick auf Rott, Riedering oder Feldkirchen-Westerham. Aus Mangel an Alternativen seien derzeit noch die beiden zweckentfremdeten Turnhallen in Bruckmühl und Raubling als Ankunftseinrichtungen im Landkreis notwendig.

Erst wenn im Landkreis alternative Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Menschen gefunden wurden, kann die Sporthalle des Inntal-Gymnasium in Raubling wieder für Schulsport und Vereine geöffnet werden.

Welche Alternativen denkbar wären

„Jedes Angebot für eine Erstaufnahmeeinrichtung könnte dazu beitragen, dass die Schulturnhalle nicht mehr zweckentfremdet werden muss“, betont das Landratsamt. Bruckmühl hat einen Deal mit dem Landratsamt gemacht, bietet ein Grundstück für Container an, um die Turnhalle am Gymnasium zurückzuerobern. Trotzdem wird es dauern, ehe dort wieder normaler Sportunterricht stattfinden kann.

Auch von Privatpersonen aus der Gemeinde Raubling wurden dem Landratsamt Flächen für Container angeboten. „Diese waren aber vom Platzangebot her nicht ausreichend“, so die Information aus der Behörde.

Raubling braucht Grundstücke für Hochwasserschutz

Die Gemeinde Raubling hat kein Land für eine Containerlösung. Zwar verhandelt sie gerade über den Kauf eines Grundstückes, doch das wird dringend für Hochwasserschutzmaßnahmen gebraucht, um die katastrophalen Überflutungen vom Juni 2024 künftig zu vermeiden oder zumindest einzudämmen. Zudem, so heißt es aus der Gemeindeverwaltung, sei nicht garantiert, dass durch einen Containerstandort in Raubling die Turnhalle wirklich freigeräumt und wieder nutzbar gemacht werde. „Über allen Gemeinden mit einer Landkreissporthalle schwebt zu jeder Zeit das Damoklesschwert, dass bei steigenden Flüchtlingsströmen die Turnhalle wieder zweckentfremdet wird“, so Bürgermeister Olaf Kalsperger.

Mehr Solidarität aller 46 Gemeinden gefordert

In Raubling seien im Vergleich aller 46 Kommunen des Landkreises seit Jahren die meisten Flüchtlinge untergebracht. Derzeit 440. Allein die 190 Menschen in der Sporthalle machen nach Angaben des Landratsamtes vier Prozent der 4780 Flüchtlinge im Landkreis aus. „Wir haben seit 2015 sehr viel akzeptiert“, sagt Bürgermeister Kalsperger. „Deshalb erwarten wir, dass jeder seinen Teil beiträgt, und jetzt auch mal andere Gemeinden Solidarität bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen zeigen.“

Eine Statistik des Landkreises vom 14. Dezember 2023 untermauert seine Argumentation. Zu diesem Zeitpunkt lebten 5646 geflüchtete Menschen im Landkreis. 5,9 Prozent waren in der Gemeinde Raubling untergebracht, weitaus weniger in Nachbargemeinden wie Brannenburg (2,9 Prozent), Bad Feilnbach (1,8), Rohrdorf (1,5) oder Neubeuern (1,9). Die Gemeinde Riedering trug im Dezember 2023 einen Anteil von 0,44 Prozent der gemeindlichen Solidargemeinschaft bei der Unterbringung geflüchteter Menschen. In Feldkirchen-Westerham lag er bei 2,5 Prozent und in Rott bei 1,8 Prozent.

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