Inkomplette Querschnittslähmung nach Autounfall
„Lebenspläne zerschossen“: So hat sich Ben Döring aus Albaching ins Leben zurückgekämpft
Ein Autounfall veränderte Ben Dörings Leben schlagartig. Die Diagnose: Querschnittslähmung. Wie sich der 44-jährige Albachinger ins Leben zurückgekämpft hat, mit Rollstuhl-Basketball erfolgreich wurde – und sogar bei den Paralympics teilgenommen hat.
Albaching – Ein Schicksalsschlag und das Leben ist nicht mehr wie zuvor: Das musste Ben Döring aus Albaching am eigenen Leib erfahren. Mit 20 war der junge Koch mit seinem Auto nachts auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, als er aufgrund von Aquaplaning von der Straße abkam. Sein Wagen schleuderte ins angrenzende Maisfeld. Ben Döring wurde aus dem Beifahrerfenster katapultiert.
„Ich habe gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich konnte meine Beine nicht richtig bewegen“, erinnert er sich an den Moment direkt nach dem Unfall. „Ich habe selbst den Notruf gewählt, beim Warten sind Passanten vorbeigekommen und haben gefragt, ob sie mir helfen können“, erzählt er. Der Rettungswagen kam und nur wenige Stunden später lag der heute 44-Jährige auf dem OP-Tisch. Die Diagnose: ein zertrümmerter Lendenwirbel.
Hauptnervenbahn durchtrennt
Seitdem lebt Ben Döring mit einer sogenannten inkompletten Querschnittslähmung, sensorisch und motorisch. Das bedeutet: Sein linkes Bein ist taub, die Hauptnervenbahn wurde bei dem Unfall durchtrennt. „Die Vorderseite ist komplett ohne Gefühl, auch meine linke Gesäßseite und mein Fuß. Der hängt einfach runter, wenn ich ihn anhebe“, erklärt er. Nur auf der Hinterseite des linken Beins kann er noch etwas spüren. „Ansonsten ist es wie eingeschlafen. So kann man es wohl am besten beschreiben.“
„Die Chefärztin hat mit mir nach der Operation gesprochen und mir alles erklärt. Das war schon erst einmal ein Schock“, sagt der heute zweifache Familienvater. „Aber ich bin niemand, der sich hängen lässt. Ich habe während der Reha schon überlegt, wie es weitergeht“. Denn eines war klar: Seine Karriere als Koch war vorbei. „Mein Plan war damals eigentlich, mit 35 ein eigenes Hotel in Australien zu eröffnen. Der Autounfall hat meine Lebenspläne zerschossen“, sagt er.
Fast ein halbes Jahr verbrachte der Albachinger im Krankenhaus. Er lernte, mit dem Rollstuhl umzugehen, zu wenden, wie man Hindernisse überwindet, Bordsteige hoch- und herunterkommt. Am 23. Dezember 2000 – einen Tag vor Weihnachten – durfte er wieder nach Hause – mit der Aussicht auf ein Leben im Rollstuhl.
Doch Ben Döring ließ sich nicht unterkriegen. Im Gegenteil: Da er auch vor dem Unfall Basketball gespielt hatte, fiel es ihm nicht ein, sein Hobby aufzugeben – er trat dem Rollstuhl-Basketball bei. „Das war schon eine Herausforderung, mit einem Sport-Rolli umzugehen. Er ist leichter und wendiger. Da ist echtes Multitasking-Talent gefragt: anschieben, dribbeln, wenden, werfen aus dem Sitz heraus. Es sind dieselben Verhältnisse wie bei „normalen“ Basketballern auch. Der Korb ist also trotzdem 3,05 Meter hoch“, erklärt er. „Anfangs sind mir die anderen immer davongefahren, aber ich habe schnell dazugelernt“, sagt der Albachinger.
Amerika, Israel, Japan
Schon nach kurzer Zeit fand er sich in der ersten Bundesliga beim USC München wieder. „Wir hatten zweimal die Woche Training und am Wochenende ein Spiel“, erzählt er. „Ich habe die ganze Welt bereist – von Amerika über Israel und Japan. Wir wurden ein Mal Deutscher Vizemeister und dreimal Vize-Pokalsieger in Deutschland“, berichtet er stolz.
Sein persönliches Highlight: die Paralympics in Athen 2004. „Das war schon ziemlich cool. Es gibt ein abgegrenztes Gelände für die Teilnehmer und ein riesiges Zelt – ähnlich wie eine Markthalle – mit allem Kulinarischen, was die Welt zu bieten hat“, weiß er noch gut. Und auch der Teamgeist unter den Mannschaften sei „großartig“ gewesen. „Irgendwann kannten wir Sportler uns ja untereinander, da entsteht schon ein gewisser Zusammenhalt, auch wenn wir für verschiedene Mannschaften gespielt haben“, sagt Ben Döring.
Er belegte mit seinem Team den fünften Platz bei den Paralympics und durfte sogar einen offiziellen Basketball mit nach Hause nehmen, den er sich „hart erkämpft“ habe, wie er lachend erzählt. Auch beruflich sattelte der 44-Jährige um. Neben seiner Zeit in der Basketball-Bundesliga absolvierte er erfolgreich ein Studium in Betriebswirtschaftslehre. Heute arbeitet Ben Döring als Key-Account-Manager.
Trotz seiner positiven Einstellung war das Leben nach dem schweren Unfall für ihn eine große Umstellung. „Mit Rollstuhl ist man schon im Blickfeld der Leute“, sagt er. Und auch die eigene Sicht ändere sich – buchstäblich: „Man hat jede Menge Gesäße vor sich“, sagt er lachend. Auch im Hinblick auf Barrierefreiheit habe er sich arrangiert. Wenn er in Urlaub fährt, klärt er vorher im Hotel ab, ob und wie er in das Gebäude beziehungsweise in die oberen Stockwerke kommt. Grundsätzlich habe er auch in München „gute Erfahrungen“ gemacht. „Ich bin überall hingekommen, wo ich hin wollte“. Trotzdem findet er, dass jedes öffentliche Gebäude ohne Hindernisse zugänglich sein sollte „und das ist nicht überall der Fall.“
Auch die Suche nach Stellplätzen gestalte sich oft schwierig. „Das beste Beispiel: Wir – meine Frau Sabrina und unsere beiden Kinder Lea und Luis – wollten in Wasserburg am Gries parken. Dort hat der Räumdienst den gesamten Schnee auf den Behindertenparkplatz geschoben. Dafür ist er eigentlich nicht da“, beanstandet er. Er habe grundsätzlich als „junger, agil wirkender Mann“ auch schon schlimme Anfeindungen von Passanten erlebt. „Ich stelle eben nicht den klischeehaften Behinderten im Rollstuhl dar“, weiß er. „Ich steige selbst aus dem Wagen aus. Da kommen die Leute schon auf mich zu und pöbeln mich an. Wenn ich dann aus dem Kofferraum den Rolli auspacke, werden sie ganz schnell kleinlaut“.
Viel Training
Denn nach mehreren Jahren im Rollstuhl und mit viel Training schaffte es Ben Döring fünf Jahre nach seinem Unfall, mit einer Schiene zu laufen, wenn auch nur kürzere Strecken. Beim Orthopädiemeister sei er schon gut bekannt, da er schon einige dieser Beinschienen verschlissen habe, wie er schmunzelnd berichtet. „Man muss eben vieles erst einmal ausprobieren. Dann erst weiß ich, was alles möglich ist. Nur wegen meiner Behinderung lasse ich mir keinen Riegel vorschieben“, betont er. „Ich fahre E-Bike, fürs Skifahren benutze ich ein Mono-Board, Schwimmen kann ich mit dem Oberkörper“, zählt er auf.
Bis heute ist seine Behinderung „keine große Sache“ für ihn. „Ich werde oft gefragt, ob ich mir wünsche, der Unfall wäre nie passiert. Aber das kann ich nur verneinen. Ich habe die ganze Welt bereist, habe eine Familie gegründet, in Albaching ein Haus gebaut, einen neuen Beruf erlernt. Ich lebe und liebe mein Leben genau so, wie es ist“, betont er.
Handicap kein Thema
Seine Frau Sabrina lernte Ben Döring 2007 kennen. Sie wusste erst einmal gar nichts von seiner Behinderung. „Ich bin auf ihn zugekommen, er stand da und hat auf mich gewartet. Erst als wir miteinander losgelaufen sind, habe ich bemerkt, dass er ein bisschen hinkt. Und später hat er dann den Rollstuhl herausgeholt“, weiß Sabrina Döring noch gut. Für die 41-Jährige war das Handicap ihres Mannes aber nie Thema, im Gegenteil: „Ich habe ihn gesehen und wusste: Den heirate ich mal“, sagt sie lächelnd.
Später folgte der nächste Schicksalsschlag für die Familie. Sabrina Döring erhielt im Oktober 2014 die Hiobsbotschaft: Sie hat Leukämie. Sie bekämpfte den Blutkrebs mit Bestrahlung und Chemotherapie erfolgreich, erkrankte aber im Herbst 2022 erneut daran. Im Klinikum Rechts der Isar in München wurde die 41-Jährige behandelt – und durch eine Stammzellenspende gerettet. Für die Dörings ein „unglaubliches Glück“. „Wir haben schon viel erlebt. Aber für uns ist klar: Wir machen immer das Beste aus der Situation“, so das Ehepaar einhellig. Für die Zukunft wünschen sich die beiden „mal ein ruhiges Jahr“.



