Bekämpfung drei Jahre lang nicht möglich
Mückenplage durch warmen Frühling? – Wann im Chiemgau dagegen etwas getan werden kann
Kampf gegen die Blutsauger: Der Frühling ist warm und die ersten Insekten sind schon unterwegs. Darunter auch die eine oder andere Stechmücke. Besonders in den Überschwemmungsgebieten rund um den Chiemsee schlummern ihre Eier. Was gegen sie unternommen werden kann.
Prien – „Der Februar 2024 war in Deutschland der wärmste Februar seit Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen“, heißt es seitens des Deutschen Wetterdienstes. Die Auswirkungen auf die Insektenwelt kann man selbst testen: Abends Lüften und das Licht anlassen und kurze Zeit später wird um die Glühbirne getanzt – manche Tänzer saugen aber Blut.
Ideale Brutstätte für bluthungrige Sechsfüßer
Der Abwasser- und Umweltverband (AUV) Chiemsee geht seit über zwei Jahrzehnten gegen die Plagegeister vor: „Zum Schutz der Einheimischen und der Gäste“, heißt es auf deren Webseite. Wenn der Chiemsee über seine Ufer tritt, sind die überschwemmten Gebiete bei sommerlichen Temperaturen die ideale Brutstätte für die bluthungrigen Sechsfüßer. Der entscheidende Indikator, wann die Maschinerie der Bekämpfung anläuft, ist der Pegelstand der Alz bei Seebruck. Von hier fließt das Wasser aus dem bayerischen Meer auf Umwegen ins Schwarze Meer.
Der Pegelstand muss 116 Zentimeter betragen, damit die Überschwemmungsgebiete rund um den Chiemsee mit Wasser versorgt werden. „Wir gehen aber erst ab 120 Zentimetern gegen die Stechmücken vor“, sagt Quirin Schwaiger, Geschäftsführer des AUV-Chiemsee. Dies sei intern festgesetzt worden und nachhaltiger. Momentan (Stand 12. März) liegt der Pegelstand mit 63 Zentimetern erst bei gut der Hälfte und hatte die vergangenen Tage einen rückläufigen Trend.
„Ein normaler Regenfall ist nicht ausreichend“
In den Überschwemmungsgebieten schlummern die Eier der Stechmücken. Diese können mehrere Jahre dort überleben, und die Larven brauchen Wasser, um zu schlüpfen – viel Wasser. „Ein normaler Regenfall ist nicht ausreichend“, sagt Quirin Schwaiger, „der Boden muss komplett durchfeuchtet sein.“ Deshalb sei auch der intern festgelegte Pegelstand sinnvoll, da so Schwankungen um 116 Zentimeter ausgeglichen werden und eine Überschwemmung sichergestellt ist.
Ist der Chiemsee über seine Ufer getreten, werden zuerst von den Bauhöfen und später von einem privaten Anbieter Schöpfproben entnommen, um die Anzahl von Mückenlarven festzustellen. Erst wenn eine vorgegebene Anzahl an Mückenlarven festgestellt worden ist, kann laut Schwaiger mit der Bekämpfung begonnen werden. Dazu wird das kristalline Eiweiß des Bakteriums Bti (Bacillus thuringiensis israelensis) ausgebracht. Der Eiweißkristall wird von den Mückenlarven gefressen und führt zu deren Tod. Allerdings wird der Wirkstoff nur im anfänglichen Larvenstadium aufgenommen, deshalb müsse man nach dem Erreichen des Pegelstandes zügig handeln, so Schwaiger.
Keine Bekämpfung 2023
Letztes Jahr „war tatsächlich eine seltsame Konstellation“, sagt der Geschäftsführer des AUV-Chiemsee. Durch den starken Regen im Mai waren die Überschwemmungsgebiete schon so ausreichend durchnässt, dass die Mückenlarven schlüpfen konnten. Der notwendige Alz-Pegel wurde allerdings erst später erreicht, wodurch die Larven schon zu weit entwickelt waren, um den Bti-Wirkstoff noch aufnehmen zu können. 2023 wurden die Stechmücken deshalb nicht bekämpft.
Der Einsatz des Wirkstoffes unterliegt laut AUV den strengen Auflagen der Naturschutzbehörden der Regierung von Oberbayern und der Landratsämter Rosenheim und Traunstein. Neben dem Erreichen des notwendigen Pegelstandes der Alz und der Anzahl an Mückenlarven ist unter anderem eine Bekämpfung nur zweimal jährlich möglich. „In den Naturschutzgebieten dürfen wir zwischen dem 15. März und dem 15. Juli nur einmal bekämpfen“, so Schwaiger. Zudem ist seit dem 1. März Vogelbrutzeit und deshalb eine Ausbringung noch nicht vorgesehen.
Einsatz erst ab Mitte des Jahres
Generell werde der Wirkstoff erst ab Mitte des Jahres eingesetzt: „In der Praxis, beziehungsweise nach unserer internen Auffassung, fand vor Pfingsten keine Bekämpfung statt“, so Schwaiger: „Dies lag zum einen an den relativ niedrigen Temperaturen, zum anderen an den geringen Wasserständen und letztlich auch am Touristenstrom, der in der Regel erst um die Pfingstzeit sprunghaft ansteigt.“ Ausgebracht werden die Eiweißkristalle seit 2008 mittels Helikopter und großflächig in den Überschwemmungsgebieten verteilt, wobei „Sperrzonen“ ausgenommen werden.
Bekämpft werde damit allerdings nur die „Überschwemmungsmücke“, die nach Schwaiger nur eine von vielen Mückenarten ist. Der Wirkstoff „geht speziell nur auf deren Larvenart“, sagt Schwaiger und beruft sich dabei auf die Erkenntnisse der Naturschutzbehörden, die eine Verwendung unter Auflagen zulassen. Trotzdem werde der Einsatz von Bti nicht bei allen positiv gewertet.
Wirkstoff schädlich für die Nahrungskette
„Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass Bti innerhalb der Ordnung der Zweiflügler eine Breitbandwirkung besitzt“, heißt es in einer Stellungnahme des Bund Naturschutz der Kreisgruppe Traunstein. Neben dem tödlichen Effekt auf alle Stechmückenarten rufe der Wirkstoff eine letale Wirkung auf nicht stechende Zuckmückenarten hervor. Die Zuckmücke komme in allen Feuchtgebieten in oft sehr großer Zahl vor und sei aufgrund ihres hohen Eiweißgehalts ein wertvoller Bestandteil der Nahrungskette. Der Bund Naturschutz bezieht sich dabei unter anderem auf eine Studie der Universität Koblenz-Landau, die über einen Beobachtungszeitraum von 51 Monaten am Oberrhein die Auswirkungen des Biozids Bti beobachtete.
„Wir versuchen, den Eingriff in die Natur möglichst gering zu halten“, sagt Quirin Schwaiger. Grund der Stechmückenbekämpfung „ist die Belastung von Tourismus und der Bevölkerung“, so Schwaiger, „dem gegenüber steht der Naturschutz. Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir uns bewegen.“ Ob dieses Jahr gegen die Überschwemmungsmücke vorgegangen werden darf, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. In den letzten drei Jahren wurden die Auflagen dazu nicht erfüllt.
