Kommune geht beim Klimaschutz in die Offensive
Photovoltaik auf alle Dächer? Warum nicht alles geht - welche Orte in Wasserburg tabu sind
Die Stadt Wasserburg will mit gutem Beispiel vorangehen und alle geeigneten kommunalen Dächer mit Photovoltaik (PV) aufrüsten. Doch so einfach ist es nicht. Wie die Wende geschafft werden kann und warum eine Berufsgruppe ein Tabu einfordert.
Wasserburg - Die Stadt Wasserburg und die von ihr betreute Heiliggeist-Spitalstiftung beziehen bereits seit elf Jahren für ihre Gebäude ausschließlich Ökostrom. Es gibt sechs Photovoltaikanlagen auf kommunalen Dächern, die für den Eigenbedarf produzieren oder ins Netz einspeisen. Im Haushalt 2023 sind Investitionen für weitere Anlagen vorgesehen. Trotzdem: Es reicht nicht, um die Energiewende und das Ziel der CO2-Neutralität zu stemmen. Der Klimaschutzdialog Wasserburg, ein Gremium aus Fachleuten und am Thema interessierten Vertretern der Bürgerschaft, hat deshalb beantragt, das weitere Vorgehen für den Photovoltaikausbau auf den Liegenschaften der Stadt festzulegen - verbindlich. Im Stadtrat stellten Klimaschutzmanager Albert Bernstetter und der Chef des Liegenschaftsamtes, Robert Mayerhofer, die gemeinsam entwickelte Strategie vor.
Stadtwerke als Stromerzeuger und Stromvertriebler
Bei der Photovoltaik muss nach ihren Angaben unterschieden werden - zwischen der Produktion von Strom für den Eigenverbrauch kommunaler Gebäude wie Stadtbibliothek oder Stadtarchiv und der Stromerzeugung für das Netz. In Wasserburg sind die Stadtwerke, eine kommunale Tochter, als Stromerzeuger und im Stromvertrieb tätig.
PV-Anlagen im Bestand
Die Stadt Wasserburg hat zwei Photovoltaikanlagen im Bestand: auf der Mittelschule am Klosterweg und auf der Kläranlage in der Odelshamer Au, außerdem hat die Kommune eine Dachfläche auf dem Parkhaus in der Überfuhrstraße verpachtet. Die Stadtwerke betreiben am Klosterweg 9 bis 19 eine Anlage, außerdem am Busbahnhof. In Summe sind dies laut Berechnungen der Liegenschaftsverwaltung rund 200.000 kWh pro Jahr, das entspricht 125 Tonnen CO2, die eingespart werden.
PV-Anlagen in Planung
2023 investiert die Stadt in weitere PV-Anlagen: an der Pumpstation in der Megglestraße, am Schöpfwerk, am Kindergarten Reitmehring. Die Stadtwerke errichten Anlagen auf dem Museumsdepot Am Herder und auf dem Badria. Weitere 180.000 kWh pro Jahr werden in Zukunft produziert, das entspricht laut Liegenschaftsamt 112 Tonnen CO2, die eingespart werden.
Weitere PV-Anlagen auf dem Familienbad: Das macht Sinn, denn das Badria ist der größte Strom-Abnehmer unter den kommunalen Einrichtungen: Es verbraucht pro Jahr 1.700.000 kWh. Danach folgt die Kläranlage mit 590.000 kWh, berichteten Mayerhofer und Bernstetter im Stadtrat.
Über das Solarkataster haben Klimaschutzmanager und Liegenschaftschef die Eignung verschiedener kommunaler Dächer für die Photovoltaik überprüfen lassen - nach zwei Kriterien: für den Eigenverbrauch und für die Verpachtung. Hier gibt es, wie die Auflistungen zeigte, durchaus Potenzial. Das soll auch konsequent genutzt werden - besonders auf Dachflächen von kommunalen Gebäuden, die für öffentliche Zwecke selbst genutzt werden. Hier soll Eigenstrom erzeugt werden, beschloss der Stadtrat. Das Potenzial sei groß, die Wirtschaftlichkeit in der Regel gegeben.
Mieterstrommodelle noch nicht geeignet
Was sich derzeit jedoch - noch - nicht für eine Anwendung eignet, sind laut Mayerhofer Mieterstrommodelle. Für sie müsste die Stadt als Energieversorgungsunternehmen auftreten, es gelten außerdem komplexe Abrechnungsverfahren. Mieter können zur Abnahme nicht verpflichtet werden.
Appell: kein Aktionismus
Es kann jedoch sein, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Mieterstrommodelle auf Dauer ändern, hieß es. Mayerhofer warnte grundsätzlich davor, bei allem berechtigtem Bemühen um mehr PV-Anlagen in Aktionismus zu verfallen oder sich zu verzetteln. Stattdessen sollte die Stadt pragmatisch vorgehen, also die möglichen Maßnahmen priorisieren: zuerst dort Anlagen installieren, wo hohe Eigenverbräuche festzustellen sind, oder dort, wo es am einfachsten ist. Bei Neubauten und Dachsanierungen wiederum sei Photovoltaik immer zu berücksichtigen. Es gebe jedoch auch rechtliche Vorgaben zu bedenken - vor allem in Wasserburg machen die Richtlinien des Denkmalschutzes oft einen Strich durch die Rechnung. Doch nicht mehr lange: Das Bayerische Denkmalschutzgesetz wird - auf Initiative der Stadt Wasserburg - derzeit geändert, die Gestaltungssatzung der Kommune ebenfalls. Ein Problem bleibt jedoch, bedauern Mayerhofer und Bernstetter: Derzeit gibt es einen großen Mangel an Materialien für die PV, deshalb lange Lieferfristen, und zu wenig Planer und Handwerker.
Der Stadtrat beschloss einstimmig, dass die Stadtwerke weiter Strom erzeugen und vertreiben, die Kommune weiterhin Anlagen installieren lässt, vorrangig zur Deckung des Eigenverbrauchs und für die Stromproduktion. Die Nutzung von Dächern soll Vorrang haben vor Freiflächen, hieß es im Beschlussvorschlag.
Landwirt Josef Baumann in Sorgen um bäuerlichen Nutzgrund
Das war der Punkt, der eine Diskussion lostrat. Landwirt Josef Baumann (Freie Wähler Reitmehring/Wasserbug) forderte per Antrag, dass die Stadt in ihrem Beschluss festhält, sie verzichte grundsätzlich darauf, Pachtverträge für kommunalen landwirtschaftlichen Grund zu kündigen, um hier Freiflächen-PV zu ermöglichen. Er sehe die Gefahr, dass zugunsten der Energieerzeugung die Lebensmittelproduktion zurücktrete., so Baumann. Landwirte produzieren zwar auch für die Energie - etwa für Biogas. Doch sie würden die Fruchtfolgen beachten, viel tun für Landschaftsbild und Naturschutz. Baumann ging mit Freiflächen-Photovoltaikanlagen hart ins Gericht: Sie würden die Landschaft zupflastern, ein monotones Bild erzeugen und seien nicht gut für Insekten und andere Tiere sowie Pflanzenvielfalt und Ökosystem. Heike Maas, Fraktionsvorsitzende von CSU/Wasserburger Block, forderte ebenfalls, auf Freiflächen zurückzugreifen, müsse das allerletzte Mittel sein.
Dach- vor landwirtschaftlichen Nutzflächen
Kämmerer Konrad Doser erinnerte an die Notwendigkeit, Kompensationsflächen auszuweisen, wenn ein Neubau keine PV auf dem Dach oder an der Fassade ermögliche. Dann müsse an anderer Stelle eine Lösung her. Bürgermeister Michael Kölbl (SPD) erklärte, stehe eine kommunale landwirtschaftliche Fläche zur Diskussion für PV, sei immer ein Maßnahmenbeschluss notwendig, der Stadtrat habe das letzte Wort. Umweltreferent Lorenz Huber (Bürgerforum) schlug vor, das Wort „vorerst“ in Bezug auf den Verzicht der Kündigung von landwirtschaftlichen Pachtverträgen zu streichen, es öffne halt eine Hintertür. Huber sah im ausufernden Installation von Freiflächen-PV außerdem eine Art Flächenfraß. „Wir dürfen nicht alles auf dem Altar der Wärmepumpe opfern“, appellierte er angesichts der Tatsache, dass diese besonders viel Strom benötigt. Der Stadtrat legte schriftlich fest, dass die Kommune und ihre Stiftung auf die Kündigung von landwirtschaftlichen Pachtflächen zugunsten großer PV-Anlagen im Freien verzichte. Sollten dennoch Flächen zur Kompensation des Eigenverbrauchs benötigt werden, seien Areale anderer Art gegenüber bäuerlichem Nutzgrund zu bevorzugen. Vorrangig seien immer Dachflächen zu belegen.
Appell: „Fangen wir doch einfach mal an!“
Bettina Knopp (Grüne) zeigte sich genervt vom Hin und Her nach Baumanns Antrag, der mit 15 Nein- und fünf Ja-Stimmen keine Mehrheit fand: Sie verstehe die Diskussion nicht, zu sehr gehe es ins „Klein-Klein“, „wir sollten das große Ganze nicht aus den Augen verlieren. Fangen wir doch einfach endlich mal an!“, lautete ihr Appell. Einstimmig befürwortete der Stadtrat schließlich den neun Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog. Er endet mit einem Schlussappell, nicht nur den Strom in den Fokus der Anstrengungen zur Klimaneutralität zu stellen, sondern auch die Wärmeversorgung. Hier sei ebenfalls noch viel zu tun. Wie wirkungsvoll auch in diesem Bereich Projekte seien, zeige die Umstellung der beiden größten Bildungseinrichtungen (Mittelschule und Grundschule Reitmehring samt Kindergarten) weg von Öl und Gas hin zu Pellets und Biogas. Ein Wärmebedarf von rund 700.000 kWh pro Jahr könne gedeckt werden. Wenn auch noch die Hackschnitzelheizung an der Salzburger Straße 19, 17 und 15 realisiert worden seien, würden weiteren 250.000 kWh pro Jahr regenerativ erzeugt.
Der Grundsatzbeschluss im Wortlaut
1. Die Sparte Stromerzeugung und Stromvertrieb ist und bleibt bei den Stadtwerken Wasserburg am Inn angesiedelt.
2. Die Stadt Wasserburg am Inn und die Heiliggeist-Spitalstiftung Wasserburg am Inn legen derzeit keine eigenen Mieterstrommodelle auf. Erst wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen deutlich verbessern, ist hierüber erneut zu beraten.
3. Die Stadt Wasserburg am Inn errichtet auf öffentlich genutzten Objekten weiterhin Photovoltaikanlagen zur Eigenstromerzeugung. Eine Priorisierung ist notwendig. Die Priorisierung der Projekte und Art der Umsetzung soll rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen vorgelegt werden. Die konkreten Entscheidungen fallen im jeweiligen Maßnahmenbeschluss. Voraussetzung ist eine umfassende Planung. Finanzierung und Wirtschaftlichkeit müssen nachgewiesen werden.
4. Die Stadt Wasserburg am Inn und die Heiliggeist-Spitalstiftung Wasserburg am Inn stellen den Stadtwerken weiterhin Dachflächen für die Errichtung von Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung zur Verfügung.
5. Gegebenenfalls stellen die Stadt Wasserburg am Inn und die Heiliggeist-Spitalstiftung Wasserburg am Inn Dachflächen nachrangig auch Dritten für die Errichtung von Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung zur Verfügung.
6. Bei der Errichtung von Photovoltaikanlagen sind die rechtlichen Vorgaben, insbesondere zum Denkmalschutz zu beachten. Ein sorgfältiger Umgang mit dem historischen Erbe ist notwendig.
7. Die Stadt Wasserburg am Inn und die Heiliggeist-Spitalstiftung Wasserburg am Inn verzichten auf die Kündigung von landwirtschaftlichen Pachtverträgen zur Errichtung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen. Soweit dennoch Flächen zur Kompensation des Eigenverbrauchs benötigt werden, werden zuerst sonstige Freiflächen vor landwirtschaftlichen Flächen verwertet. Vorrangig sind jedoch in jedem Fall Dachflächen zu belegen.
8. Die Bemühungen, Strom einzusparen, werden insbesondere bei den öffentlichen Objekten weiter vorangetrieben.
9. Wie im Rahmen der Planungshoheit bei der Aufstellung bzw. Änderung von Bebauungsplänen mit dem Thema Festsetzung von Energieerzeugungsanlagen umgegangen werden soll, wurde vom Bauausschuss beraten. Eine abschließende Entscheidung über die vorgeschlagene Strategie trifft der Stadtrat.