Portrait der Woche
Wie Pfarrer Bibinger in Wasserburg „neues Vertrauen nach all den Skandalen“ aufbauen will
Neues Vertrauen aufbauen: Das möchte Wasserburgs Stadtpfarrer Bruno Bibinger. Warum er sich trotz der Kirchenkrise als Folge von Missbrauchsskandalen und Austrittswellen nicht entmutigen lässt, was ihn antreibt und was ihn schmerzt.
Wasserburg – Dem Österreicher, der mit seiner chinesischen Begleiterin die Jakobskirche besucht, reicht der Pfarrer einen kleinen Holzhammer. Er sollte doch bitte damit auf die Glocke schlagen, die am Altar steht und bald auf den Glockenstuhl hochgezogen wird. So geschieht es auch, ein angenehmer Ton, nicht zu hoch, nicht zu tief, erfüllt das Gotteshaus. Eine kurze Szene, die deutlich macht, dass Bruno Bibinger ein herzlicher Geistlicher ist, der gern auch mal spontan die Nähe zu den Menschen sucht.
Zum Gespräch mit der Zeitung hat er ins Pfarrbüro geladen, er hat sich viel Zeit dafür genommen und macht einen in sich ruhenden, erholten Eindruck. Kein Wunder, eben noch war er für ein paar Tage in der Nähe von Linz einquartiert, im Benediktinerkloster Seitenstetten. Die Exerzitien dort, die abseits des alltäglichen Lebens zu einer Begegnung mit Gott führen sollen, haben ihm gutgetan. „Es ist ein kleines Kloster, schön ruhig, wo man nachdenken, am Leben der Mönche teilnehmen kann“, erzählt er. Und natürlich viel beten. Das habe ihm Kräfte für die Alltagsarbeit zurückgegeben. „Das brauch‘ ich auch“, fügt er hinzu.
„Noch immer kenne ich kaum Leute“
Seit knapp drei Jahren ist er als Nachfolger von Paul Schinagl Stadtpfarrer von Wasserburg, zuvor hat er in Tuntenhausen gepredigt. So richtig angekommen in seiner neuen Umgebung ist er aber noch nicht. Was an Corona liege: „Die Zeit hängt mir nach, macht mir noch zu schaffen“, räumt er ein. Es sei am Anfang fast unmöglich gewesen, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. „In Wasserburg gab es kein normales Leben, erst 2022 hab ich Feste, größere Veranstaltungen und Gottesdienste wieder erleben können.“ Die Nachwirkungen der Pandemie spürt er bis heute: „Noch immer kenne ich kaum Leute hier. Es gibt nur wenige, die mich, wenn ich durch die Straßen in der Altstadt gehe, anschauen oder grüßen. Das tut mir weh.“
Doch die pastorale Erfüllung woanders zu suchen, nein, das kommt für Bibinger nicht infrage. „Ich habe große Aufgaben hier, die mich noch über Jahre binden“, gibt er zu verstehen. Vor allem die Renovierung der Jakobskirche liegt ihm am Herzen, erst in einem Jahr sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Ein Projekt, das er im Auftrag der Erzdiözese München und Freising mit Herz und Seele begleitet. Viel zu tun, vor allem im seelsorgerischen Bereich, hat er sowieso in seiner Funktion als Stadtpfarrer für St. Jakob und St. Konrad. Zuletzt übernahm er die Aufgabe, Patienten in Gabersee zu betreuen. „Da setze ich mich auch einfach mal in die Kirche, um sie zu treffen.“
Heuer 37 Austritte
Die Zahl der Gläubigen in seinem aktuellen Zuständigkeitsbereich gibt Bibinger mit 4500 an. „Uns geht‘s noch relativ gut, wir haben im Jahr rund 65 Taufen, im Schnitt an jedem Wochenende eine.“ So reagiert er auf die Frage nach dem Mitgliederverlust der Kirchen. Im Herbst übernimmt Bibinger zusätzlich den Pfarrverband in Rott, so lange bis dort ein neuer Pfarrer die Geschäfte führt. Und wie hoch ist die Zahl der Austritte? In diesem Jahr habe man bis jetzt 37 gezählt, sagt Pfarrer Bibinger, nach seiner Einschätzung eine überschaubare Zahl, trotzdem schmerze ihn jeder Austritt. Diverse Rückholversuche habe er gestartet, aber die hätten sich als vergebliche Liebesmüh erwiesen. „Es ist ein Schritt, den ich zu akzeptieren habe“, konstatiert Bibinger.
Dass die katholische Kirche in einer tiefen Krise steckt, will er nicht verhehlen. Vor allem Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen haben für Entsetzen gesorgt. Unlängst äußerte sich ein Opfer aus Maitenbeth gegenüber unserer Zeitung über erlittene Qualen. „Ich verspüre Scham über das, was geschehen ist, und auch Hilfslosigkeit“, so Bibinger. „Wie kann man das heilen, was schon seit 50 Jahren verwundet ist? Will der Betroffene mit uns überhaupt noch ins Gespräch kommen?“ Er habe keine Erfahrungen, deshalb sei er in dieser Frage sehr vorsichtig. Bibinger sagt, er wolle sich auf seinen eigenen Verantwortungsbereich konzentrieren. „Ich bin hier, damit ich die Gemeinde neu aufbaue und neues Vertrauen nach all den Skandalen schaffe.“
Wie aus dem Banker ein Pfarrer wurde
Aufgewachsen ist Bruno Bibinger in Schliersee, sein verstorbener Vater war Bauingenieur, die Mutter arbeitet noch heute in der Immobilienbranche. Den See hat Bibinger als gar nicht so idyllisch in Erinnerung. „Das Strandbad war im Sommer immer überfüllt, für uns Kinder gab es wenig Platz.“ Das Abitur legte er in Bad Tölz ab, danach absolvierte er zwischen 2001 und 2003 eine Banklehre in Miesbach, was ihm Lebenserfahrung bescherte: „Da hab ich auch viele menschliche Eigenarten kennengelernt.“
In der Bank hielt es ihn nicht allzu lange: Sein Traum ist es gewesen, Theologie zu studieren – und der ging 2006 in Erfüllung. Das Priesterseminar in München nahm ihn auf, daneben schrieb er sich an der vom Jesuitenorden getragenen Hochschule für Philosophie ein. Das Studium schloss er 2011 ab, und er arbeitete anschließend in einem Altenheim in Unterhaching, um Erfahrungen in einem sozialen Bereich zu sammeln. Seine erste Stelle als Seelsorger übernahm er in Bergkirchen bei Dachau, dann wechselte er als Kaplan nach Neumarkt St. Veit, schließlich nach Tuntenhausen.
Wasserburg ist für ihn die Station, in der er langfristig tätig sein will. Die mentalen und emotionalen Voraussetzungen scheinen günstig: „Ich bin glücklich hier“, sagt er.
Steckbrief
Name: Bruno Bibinger
Geburtsjahr: 1982
Geburtsort: Rosenheim
Wohnort: Wasserburg
Ausbildung: Banklehre in Miesbach, Priesterseminar in München
Kurz & bündig
Wann sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?
Bruno Bibinger: In Tuntenhausen war ich mit Baumaßnahmen betreut, hatte damit aber wenig Erfahrung.
Was für ein Buch lesen Sie gerade?
Bibinger: Eine Biografie über Karl Borromäus (1538 – 1584). Er war Kardinal und Erzbischof von Mailand.
Worauf sind Sie stolz?
Bibinger: Dass mir der Herrgott manche Talente mitgegeben hat, und dass er mir immer wieder viel verzeiht.
Was würden Sie gerne noch einmal tun?
Bibinger: Mal wieder ins Ausland gehen, woanders leben und studieren. Vielleicht im Rahmen eines Pfarrertauschs.
Was haben Sie noch vor?
Bibinger: Vieles. Ich will in Wasserburg für die Menschen da sein und ein positives Bild der Kirche vermitteln.