Künstler oder Werbefigur?
„Mini-Picasso“ Laurent und andere „Mini-Influencer“: Wie sehr dürfen Eltern ihre Kinder vermarkten?
Immer mehr Eltern zeigen ihre Kinder bei Instagram und Co. oder treiben dort sogar ihre Karriere voran. So auch „Mini-Picasso“ Laurent Schwarz (3) aus Neubeuern, dem durch Instagram der Durchbruch als Kunst-Star gelang. Ein Expertin für Kinderrechte schlägt Alarm.
Neubeuern/Rosenheim – Sie sind witzig, charmant, süß – und machen ihre Eltern unglaublich stolz: Kinder. Am liebsten möchten sie mit der ganzen Welt teilen, wie sehr sie der Nachwuchs begeistert. Viele veröffentlichen daher Bilder und Videos von ihren Kindern in den Sozialen Medien. Und manchmal ist es weit mehr als nur ein Foto vom Familienausflug. Kinder-Influencer testen Produkte, nehmen die Follower mit in ihren Alltag oder zeigen, was sie können. Vorangetrieben von den Eltern. So auch „Mini-Picasso“ Laurent Schwarz aus Neubeuern, der mit drei Jahren dank Instagram den Durchbruch als Künstler geschafft hat.
Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre
Doch die Zurschaustellung des eigenen Kindes in den Sozialen Medien kann auch negative Folgen haben – insbesondere bei der Entwicklung des Kindes. Barbara Heuel ist Pädagogin, Medientrainerin und Geschäftsleiterin vom Kinderschutzbund Rosenheim. Sie weiß, welchen Gefahren Kinder und Jugendliche im Internet und in den Sozialen Medien ausgesetzt sind, sofern sie nicht dabei begleitet werden oder falls sie von ihren Eltern vermarktet werden. Denn oftmals ist den Eltern nicht bewusst, dass sie dabei die Rechte ihrer Kinder verletzen, darunter das Recht auf unbeschwerte Freizeit und Spiel – ohne Kamera im Hintergrund –, auf Privatsphäre sowie die Berücksichtigung ihrer Meinung.
Was ist der Kinderschutzbund?
Der Kinderschutzbund setzt sich für die Rechte aller Kinder und Jugendlichen ein. Dazu gehören die Förderung von geistiger, körperlicher, seelischer und sozialer Entwicklung innerhalb einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Dabei sollen Kinder an allen Entscheidungen, Planungen und Maßnahmen, die sie betreffen, beteiligt werden. Den Orts- und Kreisverband Rosenheim gibt es seit 1982. Dieser zählt 45 hauptamtliche sowie 200 ehrenamtliche Mitarbeiter.
„Nicht alles an den Sozialen Medien ist schlecht. Sie haben ihre Berechtigung“, stellt Heuel klar. Schließlich seien nicht nur Kinder und Jugendliche von den Möglichkeiten des Internets fasziniert. Allerdings fehle ihnen aufgrund ihres Entwicklungsstandes häufig das Wissen, wie sie sich vor unangenehmen oder gar gefährlichen Erfahrungen schützen können. Laut der KIM-Studie (Kindheit, Internet, Medien) 2022, die das Medienverhalten von Kindern zwischen sechs und 13 Jahren untersucht, sind fünf Prozent der Kinder auf Inhalte gestoßen, für die sie zu jung waren. Darunter pornographische Inhalte und Gewaltszenen, erklärt die Pädagogin.
Verschobene Realität durch unvollständige Bilder
Insbesondere die Sozialen Medien, die täglich von vielen Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen genutzt werden, sind nicht ungefährlich. Menschen nehmen ihre Zuschauer mit durch den Alltag: Zu sehen sind aber meist nur kurze Ausschnitte, die ein falsches Bild der Realität transportieren können. „Für Kinder und Jugendliche besteht kein Unterschied zwischen der digitalen und der analogen Welt.“ Darum nehmen viele von ihnen alles, was sie über Soziale Medien erfahren, als Realität wahr, unabhängig davon, ob die Inhalte wahr sind oder eben nicht. Mögliche Folgen: Die Verbreitung von Fake-News, Hassrede oder ein verschobenes Bild der Selbstwahrnehmung. „Steigendes aggressives Verhalten, problematische sexuelle Verhaltensweisen, ungesunde Essgewohnheiten, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und eine Verzerrung von Werten und Einstellungen sind die Auswirkungen schädlicher Online-Inhalte auf Kinder und Jugendliche, wie eine EU-weite Studie im Jahr 2023 herausfand“, so Heuel.
Aber auch Eltern sollten vorsichtig sein beim Posten von Videos ihrer Sprösslinge. Denn das Internet vergisst nicht. Wie Heuel erklärt, wird Kindern ab etwa 13 Jahren die Fähigkeit zugesprochen, selbst über eine Veröffentlichung entscheiden zu können. Denn wie Erwachsene haben auch Kinder ein Recht am eigenen Bild und auf Privatsphäre. Sie können verlangen, dass Fotos gelöscht werden, die ihnen peinlich sind oder ihre Intimsphäre verletzen. „Zum Beispiel in der Badewanne oder wenn ihnen ein Missgeschick passiert.“
Wenn Kinder zu Influencern werden
Aber manchmal bleibt es nicht nur bei einem Schnappschuss aus dem Alltag. Videos können unerwartet viral gehen, eine Fangemeinde wachsen und ehe man sich versieht, klopfen Werbepartner an. Das Kind wird zum „Kidfluencer“. Und nicht selten verdient ein Kind das Einkommen für die ganze Familie. Welche Folgen kann ein so frühes Leben in der Öffentlichkeit auf die Entwicklung der Kinder haben beziehungsweise auf ihr späteres Leben haben?
Wann wird von Kinderarbeit gesprochen?
Kinderarbeit ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Es gibt aber Ausnahmen: zum Beispiel für Theater- oder Musikaufführungen, in Werbespots oder Filmen. Das Deutsche Kinderhilfswerk spricht von Kinderarbeit, wenn es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt, das heißt sobald Geld mit den Fotos oder Filmen der Kinder verdient oder ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. Für schauspielende Kinder beispielsweise gelten strenge Richtlinien: Das Jugendamt und die Schule müssen zustimmen, ein ärztliches Gutachten wird eingeholt und die Aufnahmezeit ist auf 30 Tage pro Jahr begrenzt. Diese Bestimmungen sind Eltern oft nicht bewusst, die ihre eigenen Kinder im Alltag, beim Spielzeug testen oder beim Anpreisen von Kosmetika und Pflegeprodukten filmen und als Influencer vermarkten. Die zuständigen Stellen sind laut Barbara Heuel vom Kinderschutzbund Rosenheim aufgrund der hohen Anzahl häufig gar nicht in der Lage, den Überblick zu behalten.
Werden Kinder ständig fotografiert oder gefilmt, kann sich das negativ auf die Beziehung der Kinder zu den Eltern oder generell zu anderen Menschen auswirken. „Die Kommunikation läuft dann mehr indirekt und konzentriert sich statt auf das gemeinsame Leben vielleicht zu sehr auf das Produzieren geeigneter Inhalte“, sagt die Medienpädagogin. Werde das Kind im privaten Bereich gefilmt, habe es keinen Rückzugsort mehr.
Verantwortung liegt bei den Eltern
Bei kleineren Kindern, die selbst noch nicht entscheiden können, sind die Eltern noch stärker in der Verantwortung. Der Staat greift nur bei einer Kindeswohlgefährdung ein. „Das heißt, Eltern haben viel Spielraum in der Erziehung.“ Beim Umgang mit den Sozialen Medien, kann ein Blick durch die Augen des Kindes helfen. Sind Eltern sich unsicher, wie sie mit der (Online-)Darstellung ihres Kindes umgehen sollen, können sie sich an das Jugendamt oder eine der vielen Beratungsstellen wie den Kinderschutzbund wenden, rät Heuel.
Wird das Selbstwertgefühl von Kindern zu stark von der öffentlichen Meinung beeinflusst oder von Kommentaren und Likes abhängig, bestehe die Gefahr, dass sich Kinder zu sehr darüber definieren. „Dadurch gerät es unter Druck, sich öffentlichkeitswirksam zu verhalten und kann, wie eine Studie zeigt, leichter anfällig für Suchtmittel werden.“ Andererseits stärke es eventuell das Selbstwertgefühl, wenn Kinder sich als aktive Gestalter von Inhalten erleben, ihre Neugier, Experimentierfreude und digitale Teilhabe ausleben können. „Letzten Endes lässt sich pauschal keine Aussage treffen, denn jede Familie, jedes Kind ist verschieden und es kommt immer auf die jeweiligen Umstände an“, meint Barbara Heuel.