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„Szenen keiner Ehe“: Interview mit Autorin

Bestseller-Autorin Marie Theres Relin über Victim Blaming: „Meinen Schrei hat niemand hören wollen“

Marie Theres Relin: Das gemeinsam mit Ex-Mann Franz-Xaver Kroetz geschriebene Buch „Szenen keiner Ehe“ ist mehr als ein Reisebericht. Die Wasserburger Schauspielerin und Autorin erklärt im Interview, welche Botschaften ihr wichtig sind und warum der Bestseller ihr Leben durcheinander gewirbelt hat.
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Marie Theres Relin: Das gemeinsam mit Ex-Mann Franz-Xaver Kroetz geschriebene Buch „Szenen keiner Ehe“ ist mehr als ein Reisebericht. Die Wasserburger Schauspielerin und Autorin erklärt im Interview, welche Botschaften ihr wichtig sind und wie der Bestseller ihr Leben durcheinander gewirbelt hat.

Das Buch „Szenen keiner Ehe“ von Marie Theres Relin und ihrem Ex-Mann Franz-Xaver Kroetz ist ein Mega-Erfolg. Interview mit der Schauspielerin aus Wasserburg über Beziehungen und ihr Scheitern, Missbrauch durch den Onkel und Täter-Opfer-Umkehr.

Wasserburg – Es ist ein ungewöhnliches Buch, das die Bestseller-Liste erobert hat: „Szenen keiner Ehe“, geschrieben von Marie Theres Relin und Ex-Mann Franz-Xaver Kroetz. Die Wasserburger Schauspielerin und Autorin und der Dichter und Schauspieler schreiben auf Teneriffa, wo sie elf Wochen stranden, weil sie auf die Reparatur eines Oldtimers warten, auf, was sie denken, fühlen, meinen. Eine mal knallharte, mal emotionale Abrechnung mit der Ehe und ihrem Scheitern, Familien- und Berufsleben, Mann- und Frausein, Alter und Jugendwahn. Wir haben Marie Theres Relin zum Interview getroffen. Natürlich beim Essen in der Pizzeria „Perla di Calabria“ in Wasserburg, denn auch gutes Essen spielt eine große Rolle in „Szenen keiner Ehe“.

„Szenen keiner Ehe“ ist ein Bestseller geworden. Haben Sie diesen Erfolg erwartet?

Marie Theres Relin: Erwartet haben wir gar nichts. Den Erfolg eines solch ungewöhnlichen Buches kann man nicht planen. Ich hatte die Idee, sie kam wie ein Geistesblitz über mich in der Küche auf Teneriffa: Lass uns Szenen keiner Ehe schreiben, jeder für sich, täglich, ohne den anderen zu informieren oder lesen zu lassen. Ich habe morgens geschrieben, mein Ex-Mann viel abends. Wir haben es durchgezogen, mit einer großer Portion Disziplin.

Impression der gemeinsamen Reise, bei der das Buch entstand: Franz-Xaver Kroetz und Marie Theres Relin bei einer Kaffeepause.

Was sind in Ihren Augen die Gründe für den Erfolg?

Relin: Ich habe von Anfang an dieses Buch geglaubt. Denn: Jeder kennt diese Situation in einer Partnerschaft: Man denkt viele Dinge über den anderen, die man nicht sagt. Wir haben dies ungeschönt aufgeschrieben. Wir waren uns einig: Wir akzeptieren, was der andere schreibt. Ich denke, durch diese Offenheit und Authentizität haben wir die Herzen vieler erreicht. Dies ist übrigens nicht mein erster Beststeller. „Wie Frauen ticken“ war von Mitte 2006 bis 2007 sogar 55 Wochen lang auf der Bestsellerliste. Dass ich einen solchen Erfolg noch einmal erlebe, das ist schon toll.

Marie Theres Relin und ihr Ex-Mann Franz-Xaver Kroetz.

Und es hat wirklich keiner beim anderen gespickt und versucht, doch herauszufinden, was er aufgeschrieben hat?

Relin: Nein, wirklich nicht. Wir haben unsere Texte separat fertig gemacht und – das war die größte Herausforderung – getrennt abgesendet. Ich wusste nicht, was er geschrieben hat, er nicht was ich. Erst als der Verlag dtv gesagt hat, „Hurra, wir wollen das Buch“, haben wir beschlossen: Jetzt lesen wir gegenseitig unsere Werke.

Der Dichter und die Ex: Beide sind im Buch von einer erstaunlichen, manchmal fast schmerzlichen Offenheit im Umgang miteinander. Hat Sie diese Radikalität in den Worten auch gegenüber Ihrer Person, über Ihr Alter, Ihre Figur, Ihr Schnarchen, nicht gekränkt?

Relin: Ich musste in der Tat ein paar Mal kräftig schlucken. Trotzdem nehme ich seine Bemerkungen über meine Röllchen am Bauch mit Humor. Diese Raster der Schönheitsindustrie setzen uns Frauen so fürchterlich unter Druck, das sollten wir uns nicht gefallen lassen. In Deutschland ist es besonders schlimm: Wir nennen die Falten um die Augen Krähenfüße, in Spanien heißen sie Falten des Glücks. Beim Lesen hat außerdem die Freude darüber, dass sich unsere zwei Texte nebeneinander so gut ergänzen, überwogen. Außerdem, ganz ehrlich: Bei einem Kroetz erwartet man diese Radikalität. Ich kenne ihn nicht anders, seine Fans, seine Freunde und seine beruflichen Wegbegleiter kennen ihn nicht anders. Er hat mir, nachdem er meinen Text gelesen hatte, geschrieben und mich gelobt, auch ich sei mutig gewesen und radikal ehrlich, ich hätte meinen Stil gefunden. Außerdem steht fest: Wir haben kein Tagebuch geschrieben, das ist Literatur. Gewisse Dinge werden deshalb ganz extrem überspitzt dargestellt, damit die Botschaften ankommen.

Szenen keiner Ehe: Marie Theres Relin und Franz-Xaver Kroetz am Beginn ihrer Partnerschaft und als Ex-Paar heute.

Was waren Ihre Botschaften?

Relin: Ich wollte die Geschichte einer Frau aufzeigen, die unabhängig mitten im Leben steht, mit all ihren Problemen als Solo-Selbstständige, die plötzlich nachweisen soll, dass sie die Corona-Hilfe mit Recht bekommen hat, als Künstlerin, die immer wieder verarscht wird von denjenigen, die in der Branche das Sagen haben, die sich seit 21 Jahren als Frauenrechtlerin engagiert und feststellt, dass ihre Hausfrauenrevolution wenig gebracht hat und es noch immer keine soziale Absicherung im Alter für Frauen gibt, die Kinder großziehen. Diese Frau fährt nach Teneriffa, mit ihrem Ex im Gepäck (lacht) und fällt ganz langsam wieder in die alten Strickmuster. Sie kreist wieder um den Mann, reagiert auf seine Launen, fühlt sich für sein Wohlergehen zuständig. Woher kommt das? Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne Simone de Beauvoir: „Eine Frau wird nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht“. Wieso ist das so? Wer hat Schuld? Wo kommen die Verhaltensmuster her? Auch in mein Leben sind ein paar Muster gesetzt worden. Da waren der Missbrauch durch meinen Onkel, die Dominanz meines Vaters, die Männerhörigkeit meiner Mutter.

Ist die Botschaft angekommen?

Relin: Bei vielen ja, aber ich erlebe trotzdem dieses typische Victim Blaming (Täter-Opfer-Umkehr mit Opferschelte, Anmerkung der Redaktion), was die Schilderung meiner Missbrauchserfahrung angeht. Der arme Tote, der kann sich nicht mehr wehren, sagen viele. Was ist mit den armen Opfern, die können sich ihr Leben lang nicht wehren. Übrigens ist es nicht das erste Mal, dass ich das Schweigen gebrochen habe: Schon in meinen Buch „Meine Schells“ habe ich geschrieben, dass meine Mutter männerhörig war, dass mein Onkel zu mir sagte, er wolle den Papst fragen, ob nicht ein Onkel seine Nichte heiraten dürfe. Das kommt dort dick und fett vor, alle fanden es damals total süß. Das war es nicht, es war schrecklich. Meinen Schrei, der dahinter steckte, hat niemand hören wollen. Jetzt habe ich mal deutlich aufgezeigt, wie es mir ergangen ist. Diese Deutlichkeit hat viele Leute erschreckt.

Marie Theres Relin und Franz-Xaver Kroetz 1988.

Viele Wasserburger verehren Ihre Mutter, ein Weltstar des Films, der hier lebte und dem sogar eine Straße gewidmet ist. Holt Ihr Buch Ihre Mutter nicht automatisch etwas vom Podest herunter, auf das sie viele Fans nicht nur in Wasserburg gestellt haben?

Relin: Nein, denn ich klage meine Mutter nicht an. Ich habe meine Mutter wahnsinnig geliebt. Sie war eine gute Mutter, wenn sie da war. Und sie war ihrer Zeit voraus: als Weltstar, beruflich sehr erfolgreich, als Spätgebärende mit 40, das war 1966 wirklich was Besonderes. Doch sie war trotzdem auch eine Frau ihrer Zeit. Sie war ein kleines Weibchen, sobald ein Mann im Raum war. Diese Verhaltensmuster haben den Missbrauch durch meinen Onkel erst ermöglicht. Das waren Familienstrukturen, die waren normal für mich. So bin ich aufgewachsen.

Es war unmöglich, sich Ihr anzuvertrauen?

Relin: Das Familiengerüst wäre zusammengebrochen. Egal, ob bei einem Weltstar oder bei einer Familie in einer kleinen Stadt wie Wasserburg: Auch wenn hier ein Mann seine Tochter missbraucht, ist es für sie aus in der Stadt, wenn sie was sagt, macht man ihr glauben. Dabei sollten wir alle genau hinschauen, auf die Signale achten, alle lernen, nicht wegzuschauen, sondern zu unterstützen, wenn sich jemand anvertraut statt zu sagen: Sei du bloß still.

Warum haben Sie das Buch genutzt, um den Missbrauch klar und deutlich offenzulegen?

Relin: Es gibt kein Warum. Ich wollte das in dieser Geschichte klarstellen, mehr will ich dazu nicht sagen. Auch dieses ewige Gefrage nach dem „warum erst jetzt?“ empfinde ich als Victim Blaming. Ich muss mich dafür nicht rechtfertigen. Punkt. Es war für mich der richtige Zeitpunkt und das passende Medium, um das, was ich lange verarbeiten musste, über die Hemmschwelle der Scham hinüberzutragen. Es war auch so, dass mir diese ganze abgehobene Me-Too-Thematik bei den Promis so auf die Nerven gegangen ist. Die eigentlichen Opfer von Ausbeutung und Missbrauch sitzen in den Familien. Sie kommen nie zu Wort. In jedem Klassenzimmer gibt es ein bis zwei Kinder, die sexuell missbraucht worden sind oder werden. Diesen Menschen will ich mit meiner Geschichte Gehör verschaffen. Und ich erlebe, was viele erleben, wenn sie sich äußern: Victim blaming. Ich musste den Text, bis er gedruckt wurde, ununterbrochen verteidigen. Von mir wurde verlangt, Beweise zu bringen. Mir wurde angekreidet, dass ich mich erst jetzt so deutlich äußere. Mir wurde geschrieben, ich würde meine Mutter anklagen, was ich nicht getan habe. Misstrauen und Anschuldigungen statt Betroffenheit und Bereitschaft, das Geschehene anzuerkennen.

Sie kritisieren auch den Umgang mancher Medien mit der Missbrauchsthematik, die im Buch ja nur zwei Seiten von 300 füllt.

Relin: Das Buch war noch nicht auf dem Markt, da haben einige Boulevard-Blätter es schon zerfleddert, diesen einen Text mit 4700 Zeichen herausgerissen und sich nur darauf fokussiert, den Täter beim Namen genannt, was ich nicht getan habe, mich als Opfer an den Pranger gestellt, das Geschilderte in reißerisch aufgemachten Portionen hingerotzt. Mein Buch war nicht mehr mein Buch, es wurde zum Werk ohne Titel und ohne Autor. Ich stand damals jeden Abend in Essen auf der Bühne, die Kamerateams haben vor dem Theater die arme Kassiererin belagert. Abends beruflich Komödie, tagsüber persönlich Tragödie.

Haben Sie es im Nachhinein bereut?

Relin: Nein. Ich habe vielen Menschen geholfen damit. Von der jungen Betreuerin bei einer Talkshow, die mir gesagt hat, „danke, dass Sie laut geworden sind“, bis zum Mann, der sich unser Buch signieren ließ und mir zuflüsterte, auch er wäre als Junge missbraucht worden, aber noch nicht bereit, es zu sagen. Ich bekomme viele Mails von Menschen, denen etwas Ähnliches widerfahren ist. Das ist heftig. Auch viele prominente Frauen machen den Mund auf. Das könnte eine richtige politische Bewegung werden. Mein Ziel: das Schweigen zu durchbrechen, sodass sich die Täter schämen, nicht die Betroffenen.

„Die Ex kommt. Der Ex vielleicht“

Marie Theres Relin wird am Samstag, 4. November, ab 12 Uhr bei Bücher Herzog in Wasserburg das gemeinsam mit Ex-Mann Franz Xaver Kroetz geschriebene Buch „Szenen keiner Ehe“ signieren. Ob Kroetz auch dabei sein wird, ist noch offen. Deshalb der Titel der Signierstunde: „Die Ex kommt. Der Ex vielleicht.“

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