Kinderbetreuung in der Krise?
Kein Hort mehr in Wasserburg: „Wir dürfen keine weitere Einrichtung verlieren“
Wasserburg hat den einzigen Hort für Schulkinder an eine Nachbargemeinde verloren. Auch die Lage im Krippenbereich ist angespannt. Wasserburgs Referentin für Schulen und Kitas, Bettina Knopp, ist in Sorge. Denn das sind nicht die einzigen Probleme. Wo es hakt und was die Gründe dafür sind.
Wasserburg – Die Stadt Wasserburg ist eigentlich mit Recht stolz auf ihre Vorreiterrolle bei der Kinderbetreuung. Der Altstadtkindergarten ist schon über 150 Jahre alt und eine der ersten Einrichtungen dieser Art in der Region. Heute gibt es in der Stadt rund 400 Kindergarten- und 70 Krippenplätze – in drei städtischen, zwei kirchlichen, zwei privaten Kitas sowie in der Großtagespflege. Weitere Einrichtungen folgen: unter anderem die Kita mit einer Krippen- und zwei Kindergartengruppen am Burgstall (Träger: Advent-Wohlfahrtswerk) und die Großtagespflege des BRK in der ehemaligen Polizei im Salzstadel.
Viele Betreuungsformen – kurz erklärt
Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales und das Bundesfamilienministerium erklären auf ihren Internetseiten die Unterschiede.
Kita: Kindertageseinrichtung für 3 Altersstufen: Kinder von 0 bis 3 Jahren, Kinder von 3 Jahren bis zum Schulstart, Grundschulkinder
Krippe: für Kinder von 0 bis 3 Jahren
Kindergarten: für Kinder von 3 Jahren bis zum Schulstart
Großtagespflege: typisch sind flexibel buchbare Betreuungszeiten
Hort: für Schulkinder von sechs bis 14 Jahren, typisch: Öffnungszeiten bis gegen 17 Uhr, pädagogisches Fachpersonal, oft auch Ferienbetreuung
Mittagsbetreuung: für Schulkinder, im Anschluss an den Unterricht, bis etwa 14 Uhr oder als verlängertes Angebot bis 15.30 Uhr, dann in Verbindung mit Hausaufgabenbetreuung, anzubieten mindestens an vier Schultagen pro Unterrichtswoche, Träger oft Vereine
Offene Ganztagsschule: Teilnahme am Nachmittagsprogramm ist freiwillig.
Gebundene Ganztagsschule: Teilnahme am Nachmittagsprogramm ist über die ganze Schulwoche hinweg verpflichtend.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder: kommt deutschlandweit ab 2026.
Trotzdem: Der Bericht der Referentin für Schulen und Kindergärten, Bettina Knopp (‚Grüne), seit 2020 im Amt, zeigte im Stadtrat auf, dass es Probleme gibt. Nach wie vor stehen Namen von Kindern auf der Warteliste. Wie viele, das kann Ordnungsamtsleiterin Claudia Einberger, zuständig für die Platzvergabe, noch nicht beziffern. Denn obwohl die Anmeldezeit schon seit Längerem beendet ist, melden Eltern noch Kinder nach: weil sie zugezogen sind oder jetzt doch einen Bedarf feststellen.
Eltern fahren in die Nachbarorte
Im Kindergartenbereich ist die Lage entspannt, bestätigt Einberger, bei der Krippenbetreuung eher angespannt, das sagt auch Bettina Knopp. „Nach wie vor fahren Eltern in Nachbarorte, weil sie in Wasserburg keinen Betreuungsplatz bekommen“, warnt sie. Das habe Folgen, denn ein Elternteil müsse dann daheim bleiben und könne nicht arbeiten gehen. „Das wirkt sich auf den Stadthaushalt aus“, schlug Knopp den Bogen zu den in diesem Fall fehlenden Einkommensteuereinnahmen. Der Bedarf an Krippenplätzen werde sich außerdem nicht mehr umkehren. Dass viele Kinder bereits ab einem Jahr eine Einrichtung besuchen werden, ist heute auch in ländlichen Regionen eine Realität, denn nach 14 Monaten gibt es kein Elterngeld mehr, Mütter und Väter müssen oder wollen zurück ins Berufsleben.
Doch auch bei der Betreuung von Schulkindern ist die Situation nicht optimal, deutete Knopp an. Der einzige Hort, betrieben von der Stiftung Attl, hat die Stadt 2022 verlassen, weil damals die Nachfrage sank, wie Michael Wagner, Pressesprecher der Stiftung, auf Anfrage begründet. In Wasserburg war die schuleigene Nachmittagsbetreuung so ausgebaut worden, dass der Klientenkreis immer kleiner geworden sei.
Problem sind die Ferienzeiten
Es gibt in der Tat einen guten Ersatz: die hochgelobte Hausaufgaben- und Mittagsbetreuung vom Förderverein der Grundschule Am Gries, die kürzlich im Gebäude am Kaspar-Aiblinger-Platz eröffnet wurde, wo zuvor der Hort der Stiftung Attl beheimatet war. Die Räume im ehemaligen Eichamt hat die Stadt für 72.000 Euro saniert und ausgestattet, die Öffnungszeiten gelten als komfortabel (Während der Schulzeit montags bis donnerstags bis 16 Uhr). Und trotzdem: Ein Hort ist in der Regel bis mindestens 17 Uhr geöffnet, die Einrichtung der Stiftung Attl, die in Wasserburg aufgelöst wurde, hatte außerdem einen integrativen Ansatz, also auch extra ausgewiesene Plätze und Personal für Kinder mit hohem Förderbedarf. Außerdem gab es Angebote für die Ferienzeit. Eltern von Schulkindern müssen schließlich 13 Wochen Ferien abdecken, weiß Bettina Knopp aus eigener Erfahrung.
Eine Nachfolgeeinrichtung des Horts der Stiftung Attl eröffnet nun nach den Sommerferien in Rott an der neuen Schule, außerdem gibt es einen Integrationshort in Pfaffing. Warum klappt es bei den kleinen Nachbarn, aber nicht in der weitaus größeren Kommune Wasserburg? „Sowohl in Pfaffing als auch in Rott wird Kinderbetreuung groß unterstützt“, betont auf Nachfrage die Stiftung Attl. Die Gemeinden Pfaffing und Rott hätten ein von der Kommune gesteuertes Konzept der Ganztagesbetreuung.
Beide Kommunen haben als Schulaufwandsträger beschlossen, den Integrationshort als Ganztagsangebot anzubieten, so die Pressestelle der Stiftung. Somit sei der Bedarf in diesen Gemeinden für die Integrationshorte über das Jahr 2026 hinaus gegeben. „Es gibt kostendeckende Vereinbarungen zum Defizitausgleich.“ Diese Defizitübernahme gelte in Rott und Pfaffing für alle Kinder, die Stadt Wasserburg habe sich beim Integrationshort, der hier 2022 aufgelöst wurde, finanziell nur für die Wasserburger Kinder beteiligt.
Die Grundzüge der Integrationshorte in Rott und Pfaffing
Die Integrationshorte der Stiftung Attl sind laut Stiftungsangaben von Montag bis Donnerstag von 11 bis 17 Uhr und Freitag von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Im Jahr gibt es 220 Öffnungstage sowie 30 Schließtage, die sich auf die Ferien verteilen und mit den Kindertageseinrichtungen des Ortes abgesprochen werden. Daraus ergebe sich an den Öffnungstagen in den Ferien eine Betreuung von Montag bis Freitag von 7.30 bis 16 Uhr. Die Zahl der Integrationskinder beträgt maximal ein Drittel der Belegung. Die Anzahl der Gruppen richtet sich nach der Nachfrage.
In Rott startet die Stiftung mit zwei Gruppen. Für eine dritte Gruppe wäre noch Raum. Das Angebot umfasse auch ein Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung. In Pfaffing gebe es ebenfalls zwei Gruppen. Die Anzahl der Kinder mit besonderem Förderbedarf richte sich aufgrund der besonderen Finanzierungsstruktur nach der Anzahl der sogenannten Regelkinder und sei nicht starr. Man kann von etwa 25 Plätzen pro Gruppe ausgehen, wobei ein Kind mit besonderem Förderbedarf rechnerisch drei Plätze belegt. Aktuelle planen die Stiftung in Rott mit zwei Gruppen.
Wasserburg fördert Investitionen, nicht den Betrieb
Knopp zieht nach langen Gesprächen mit Betreibern und Personalleitungen unterschiedlicher Einrichtungen die Quintessenz, dass sich viele freie Träger mehr Unterstützung, mehr Kontakt und einen besseren Austausch mit der Stadt Wasserburg wünschen würden. Als gutes Vorbild nannte sie die „Zauberwaldzwerge“ in Babensham: „Dort läuft vieles anders, der Austausch zwischen Kitaträgern und Verwaltung ist intensiver“, findet sie. Es geht aber auch um Grundsätzliches: In Wasserburg werden Betreuungseinrichtungen wie Krippe und Kindergarten in der Regel mit Investitionskostenzuschüssen gefördert.
Aktuelle Beispiele: die Kita der Adventgemeinde (Zuschuss in Höhe von 2,5 Millionen Euro), die Ganztagespflege im Salzstadel (Zuschuss von 135.000 Euro) und der Montessori-Kindergarten (Förderung von etwa einer Million Euro, plus 56.000 Euro für Ausstattung und Ausrüstung). Was die Stadt, anders als viele Nachbarkommunen, nicht tut: die jährlich nicht zu vermeidenden Defizite beim Betrieb mit auszugleichen. Es gibt also Geld für Neu- und Umbauten, Sanierungen, Ausrüstungsgegenstände, aber nicht extra für den täglichen Betrieb. Bürgermeister Michael Kölbl pocht angesichts immer wieder mal eingehender Zuschussanträge zum Defizitausgleich auf Gleichbehandlung aller Einrichtungen.
Kita-Ausbau vorantreiben
Muss die Stadt also umdenken? Das ist eine politische Grundsatzfrage. Fest steht laut Knopp auf jeden Fall: Wasserburg dürfe keine weitere Einrichtung verlieren. Der Ausbau der Kinderbetreuung bis ins Schulalter hinein müsse vorangetrieben werden. Auch alternative Modelle wie die Großtagespflege, Betreuung durch Tagesmütter oder Krabbelgruppen und offene Kita-Treffs sollten in den Fokus rücken. In Wasserburg gebe es zwar gute Ansätze wie die neue Kita am Burgstall, in die auch Co-Working-Spaces für Eltern integriert werden, doch die Stadt könne sich durchaus etwas abschauen bei den Nachbarn. Denn die Situation sei auch personell aufgrund des Fachkräftemangels angespannt, so Knopp. Immer noch sei die Fluktuation hoch. Das wiederum sieht der Bürgermeister anders: Aktuell sei die personelle Situation so stabil wie selten zuvor, betont er.
Trotzdem bleibt Knopp dabei: Sie habe sich bei ihrem Amtsantritt vor allem um die Qualität der Kitas kümmern wollen: um die Inklusion, um die Qualifizierung von Personal, beispielsweise in der Mittagsbetreuung. Doch von diesen Zielen sei sie weit entfernt: „Wir arbeiten immer noch an der Quantität statt an der Qualität“, bedauert sie.
Das sei zwar auch eine Folge der Pandemie und der erschwerten Rahmenbedingungen in dieser Zeit, als es vor allem um Lüftungsproblematiken und Notbetreuung gegangen sei. Trotzdem: Das nächste große Thema stehe schon an: der Rechtsanspruch von Eltern von Grundschulkindern auf Ganztagesbetreuung ab 2026. Die ersten Grundsatzentscheidungen sind gefallen: Der Wertstoffhof soll an die Priener Straße ziehen, dann kann die Grundschule am Gries erweitern.