Helfer im Einsatz
Ibsaa‘s (18) unglaubliches „Erlebnis“: Vom Hochwasser-Einsatz zum Abitur in Rosenheim
Manche helfen schon seit Jahren, sind als Veteranen das Rückgrat bei Einsätzen. Doch Feuerwehr, Bergwacht oder Rettungsdienste sind auch auf Nachwuchs angewiesen. Auf Leute wie Ibsaa Kelbessa: Wie der junge Rosenheimer eine Woche mit Hochwasser und Hochschulreife erlebte.
Rosenheim – Wer denkt schon an Naturkatastrophen, wenn er kurz vorm Abitur steht? Ibsaa Kelbessa (18) erzählt, wie er sich an jenem Tag auf den Weg machte, zum gemeinsamen Lernen mit einem Freund. Es regnete wie aus Kübeln, „so ein Wetter aber auch“, habe er sich gedacht, typisch, wenn man gerade draußen ist, spielt einem das Wetter solche Streiche. „Ich kam durchnässt an“, sagt Kelbessa und lacht. Man setzte sich trotzdem zusammen, Lernstoff verschlingen und Abfragen, so viel Zeit war schließlich nicht mehr bis zur Prüfung am Sebastian-Finsterwalder-Gymnasium. Dann meldete sich der Piepser. „Ungewohnt“, sagte sich Kelbessa. „Ein Probealarm ist das jedenfalls nicht.“
Grundausbildung für den Ernstfall
Erst im Jahr zuvor war Ibsaa Kelbessa zum Technischen Hilfswerk (THW) in Rosenheim gestoßen. Er machte seine Grundausbildung, übte an den Geräten, bis die Handgriffe saßen, und übte dann weiter. Es heißt tatsächlich Grundausbildung, wie bei der Bundeswehr. Und wie beim Bund gibt es so etwas wie einen Ernstfall. So etwas wie den Montag, 3. Juni, in der Region Rosenheim. Der Regen fiel weiter, während Ibsaa und sein Kumpel lernten. Bäche schwollen an, in Kuhlen und auf Wiesen sammelte sich das Wasser, Straßen wurden zu Bächen, Keller liefen voll. Um 17.41 Uhr rief Landrat Otto Lederer den Katastrophenfall für den Landkreis Rosenheim aus.
Ibsaa bedeutet in der Sprache der Oromoo in Äthiopien „Licht“. Ibsaa Kelbessa ist schmal gebaut, ein lebhafter Typ mit dunklem Lockenkopf. Kennt sich gut aus in den Nachrichten, wirkt ziemlich reif, etwa, wenn er darüber spricht, warum Wirtschaft eigentlich ein wirklich wichtiges Fach ist. Er ist aber auch einer, der viel lacht, der gern mal joggt und klettert, viel mit Freunden unternimmt. In der Stadtkappelle und in der Schule spielt er Trompete, er singt im Chor. Er engagiert sich eben gern. Und in dieser Situation zögerte er erst recht nicht. Wer denkt ans Abitur, wenn eine Naturkatastrophe vor der Tür steht?
Tugend auch für THWler: Warten können
„Ein bisserl vorgelernt hatte ich ja auch schon“, sagt er. Er fuhr zum THW, nicht weit weg vom Flötzinger Bräustüberl, dann ging es weiter zur Bundespolizei, wo die Fahrzeuge stehen. Kelbessas erster richtiger Einsatz begann, wie so viele Einsätze beginnen: mit Warten. „Klar, es muss ja auch erstmal geklärt werden, wo man helfen kann“, sagt er. In Notlagen muss man mit Kräften haushalten, Aktivismus schadet da nur. Manchmal sind an einem Ort schon Helfer genug, anderswo könnte man im Weg stehen, und nicht überall bringt Pumpen etwas gegen die Fluten. Was, wenn man aus einem Keller Wasser pumpt, das dann gleich nebenan in Nachbars Keller läuft? Also gehen Feuerwehr und Polizei meist voran. Nach 30, 40 Minuten klärte sich die Lage. Die Leute vom THW stiegen in ihre Fahrzeuge, zwei Lastwagen, einen T6-Transporter. Ziel: Neubeuern.
Als nächstes ein soziales Jahr
Dramatische Stunden waren das in jener Nacht. „Irgendwann verliert man das Zeitgefühl“, sagt Ibsaa Kelbassa. Mittlerweile liegt das Abi hinter ihm, in Englisch und Deutsch, Wirtschaft und Physik ist er geprüft worden. Ibsaa schnitt gut ab. Sehr gut sogar: 1,2 ist sein Schnitt. Jetzt will er erstmal ausruhen oder verreisen. Im September geht es weiter, dann macht er sein soziales Jahr. In Frankreich, irgendwo zwischen Lyon und Dijon, will er an einer Grundschule und einem Kindergarten arbeiten. Das soziale Jahr deswegen, weil er gerne hilft. In Frankreich, weil „ich auch mal raus will“.
Die Erinnerung an Kameradschaft und Dankbarkeit
Das heißt auch: ein Jahr Pause vom THW, und das so kurz nach seinem Debüt. Frankreich also. Er wird später wiederkommen, zurückkehren ins Technische Hilfswerk. Denn das Pumpen, die Nässe, der Schlamm und die Müdigkeit, das Aufräumen und Säubern der Ausrüstung nach dem Einsatz bis zwei, halb drei Uhr in der Nacht: Die Erinnerung an all das beginnt schon zu schwinden. Es ist jedenfalls nicht das Wichtigste.
Etwas anderes wird bleiben: die Erinnerung daran, wie die Ausrüstung funktionierte, „wie die Handgriffe einfach saßen“, an die Kameradschaft und an die Dankbarkeit der Menschen, denen sie Keller und Gärten leerpumpten. Die Anwohner schmierten ihnen Brote, brachten Getränke. Eine ältere Frau schenkte den Leuten vom THW Socken, die sie dankbar annahmen. Hatten doch alle irgendwie nasse Füße, nach all den Stunden im Regen und im schlammigen Wasser. „Es war“, sagt Ibsaa Kelbessa und lächelt versonnen, „wirklich ein Erlebnis.“