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Handyfasten ausprobiert

„Krass“: Stuhlkreis statt TikTok – Wasserburger Mittelschüler und Lehrer im Digital-Detox

Wasserburger Mittelschüler nehmen am Medien-Fasten teil. Die zwei planenden Lehrerinnen Irene Kränzlein (Zweite von links) und Anna Ippendorf (ganz rechts) sowie drei Schüler (von links: Rijad Muratovic, Marie Buchner, Anna Stetter) berichten.
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Wasserburger Mittelschüler nehmen am Medien-Fasten teil. Die zwei planenden Lehrerinnen Irene Kränzlein (Zweite von links) und Anna Ippendorf (ganz rechts) sowie drei Schüler (von links: Rijad Muratovic, Marie Buchner, Anna Stetter) berichten.

Eine Woche komplett ohne Handy, Tablet, Computer und Co. – Eine echte Herausforderung für die junge Generation. Doch Schüler und Lehrer der Mittelschule Wasserburg versuchen es. Im Zuge des Fastens unterziehen sie sich einem „Digital Detox“. Wie es ihnen damit geht.

Wasserburg – Scrollen, Tippen und Swipen: Die durchschnittliche Medienzeit deutscher Jugendlicher pro Tag beträgt laut einer neuen Digitalstudie über drei Stunden. Das ist aber nicht das Extrem, weiß Irene Kränzlein (44). Einzelne Schüler der Mittelschule Wasserburg verbringen noch weitaus länger vor den viereckigen Kästen, „manche sogar acht Stunden am Tag“. Die Zusatzlehrkraft der Mittelschule und ihre Kollegin Anna Ippendorf (41), Klassenleiterin einer zehnten Klasse, rufen daher das Projekt Medien-Fasten ins Leben.

Start der „Hardcore-Woche“

Im „Arbeitskreis Schule“ war klar, dass das Thema Medien und der richtige Umgang damit in diesem Jahr eine große Rolle spielen müssen, berichten die Lehrerinnen. Die Fastentage, die Zeit, in der man sich auf das Wesentliche besinne, sei der perfekte Rahmen für das Vorhaben. „Seit mehreren Wochen reduzieren die Schüler stetig ihren Medienkonsum“, erklärt Ippendorf „jetzt startet die Hardcore-Woche“.

In dieser Zeit ist es das Ziel, dass die Schüler, aber auch Lehrer, ihre Handys, Computer-Ladekabel, Tablets oder andere potenzielle Sucht-Geräte abgeben. Eine Woche komplett ohne Medien. Auch der Unterricht läuft „wie in der Steinzeit“ ab, berichtet Kränzlein. Stuhlkreis statt Beamer und Müllsammeln statt TikTok scrollen stehen auf dem Programm.

Handyfreier Urlaub war Startschuss der Idee

Die Idee kam beiden Lehrerinnen in den Ferien. Kränzlein hatte im Urlaub selbst erlebt, was es heißt, zwangsweise ohne Smartphone auskommen zu müssen. „Zuerst war ich geschockt. Doch im Laufe der Reise fühlte sich das ‚Digital Detox‘ wie eine Befreiung an“.

Auch Ippendorf legt im Urlaub mit ihrer Familie das Handy meist zur Seite und nutze es „ausschließlich zur Navigation“. Die beiden sind sich einig, dass auch ihre Schüler die Erfahrung der digitalen Entgiftung erleben sollten. Ganz nach dem Motto „Hab’ ich mein Handy in der Hand, oder mein Handy mich?“

Die Idee des Medien-Fastens wurde von den Lehrerinnen Irene Kränzlein (Zweite von links) und Anna Ippendorf (ganz rechts) ins Leben gerufen. Drei Schüler (von links: Rijad Muratovic, Marie Buchner, Anna Stetter) berichten über Erfahrungen.

Erst Schock, dann Dauergesprächsthema

„Im ersten Moment war den Schülern der Schock ins Gesicht geschrieben“, berichten die Lehrerinnen über die Verkündung ihrer Idee bei einer Versammlung der gesamten Schule. Doch nachdem die Jugendlichen den Vorschlag etwas sacken lassen hatten, sei das Vorhaben immer besser angekommen und seitdem auch Dauergesprächsthema auf dem Pausenhof. „Die Schüler waren selbst geschockt über ihre Bildschirmzeiten“, ein erster Schritt in Richtung Bewusstsein schaffen.

Auch der erste Gedanke der Schülerin Marie Buchner (13) war: „Niemals“, erzählt sie. Die beiden Lehrerinnen seien deshalb aber nicht von ihrer Idee abgekommen und waren, so Marie, sehr motivierend. Anna Stetter (13), ebenfalls Teilnehmerin, stimmt ihrer Mitschülerin zu. Die Lehrerinnen hatten auch ein Video von einer Schulversammlung gezeigt, auf dem man sehen konnte, wie viele Mitschüler während und nach der Veranstaltung am Handy hingen. „Schockierend“, sind sich die beiden Mädchen einig.

„Krass, wie ‚hooked‘ man ist“

Das zunächst scheinbar größte Problem: die Snapchat-Flammen. Wer nicht täglich einen Schnappschuss mit seinen Freunden teilt, verliert dieses fiktive „Freundschafts-Symbol“. „Krass, wie ‚hooked‘ man ist“, findet Ippendorf.

Schüler Rijad Muratovic (15) hat auf sein Handy schon freiwillig knapp eine Woche vor dem Start der „Hardcore-Woche“ verzichtet. Er ergänzt, dass einige seiner Freunde ihre Geräte nicht abgeben wollen, weil sie Geld für Videospiele bezahlt haben, welche sie nun auch spielen wollen. „Viele von ihnen haben eine Bildschirmzeit von über sechs Stunden“, sagt er.

„Viele können ohne Handy einfach nicht“

Für Rijad selbst ist das Fasten kein großes Problem. „Ich bin viel draußen, dann gehen die Medien nicht ab“, berichtet der 15-Jährige. Auch den beiden Mädchen fällt auf, wie viel wertvolle Zeit das Handy „schluckt“. Die drei stellen fest, dass der Tag ohne Medien viel länger ist und mehr Zeit für Familie, Freunde und Natur bietet. Nicht alle Mitschüler machen diese Erfahrung. „Viele können ohne Handy einfach nicht und hängen direkt nach Unterrichtsende an den Geräten“, erzählt Marie, woraufhin Anna und Rijad ihr zustimmen.

Ein Hindernis, das sich für die Schüler ergibt: die Kommunikation, vor allem am Wochenende, wenn sie sich in der Schule nicht sehen, erklären sie. „Alle Informationen zum Fußball-Training werden in die WhatsApp-Gruppe geschrieben“, ergänzt Rijad. So sei es auch bei vielen anderen Sportgruppen, berichten Anna und Marie. Jedoch ist sich der 15-Jährige sicher, „Wichtiges bekommt man schon irgendwie über Freunde mit.“

Coole Preise für die beste Klasse

Mittlerweile freuen sich die Organisatorinnen aber allgemein über eine rege Beteiligung und schätzen „das gegenseitige Feiern der Schüler“. Gemeinsam Plakate gestalten und offen über alles, was die Schüler beschäftigt, sprechen, gehört jetzt zur Tagesordnung. Ganz stolz berichten diese von ihren Erfolgen. Manchen fällt auf, dass sie weniger Kopfschmerzen haben, andere treffen sich nun regelmäßig im Wald, um eine Hütte zu bauen.

Im Rahmen der Fasten-Aktion gestalteten die Wasserburger Mittelschüler Plakate über die Medien-Nutzung und die damit einhergehende geraubte Lebenszeit.

Weitere Motivation: Ein Preis für die Klasse an der Mittelschule Wasserburg, die ihre Bildschirmzeit am meisten reduziert. „Ganz ohne sportlichen Ansporn wird der Kampfgeist in dem Alter nur schwer geweckt“, weiß Ippendorf aus Erfahrung. Um einen „coolen“ Preis zu garantieren, haben die Lehrerinnen einige Sponsoren an Bord geholt, welche das Projekt unterstützen. Außerdem freuen sich die Schüler darüber, dass viele Lehrer am Fasten teilnehmen, berichten sie. „Das und die Sachpreise motivieren uns“, ergänzt Rijad.

Müllsammeln statt Zocken

Um die neugewonnene Zeit der Schüler sinnvoll zu füllen, bietet die Schule in der medienfreien Woche ein Nachmittagsprogramm an. Mehr Sportmöglichkeiten, aber auch gemeinnützige Aktionen, wie Müllsammeln, stehen auf dem Plan. „Der christliche Gedanke des Fastens soll nicht verloren gehen“, erklärt Kränzlein. Rijad, Anna und Marie freuen sich über das Alternativprogramm. „So können wir uns leichter mit unseren Freunden treffen, auch ohne Kommunikationsmittel, wie Handys“.

Die Lehrerinnen stellen fest, dass die Kreativität der Schüler in den vergangenen Jahren sichtlich verloren gegangen ist. Im digitalen Zeitalter stelle sich mehr denn je die Frage, „was tue ich mit mir und meiner Freizeit?“, wenn die Dauerbeschallung einmal wegfalle. Darum bietet die Schule auch in den Unterrichtspausen ein Spielangebot an. „In der kleinen Pause hatten wir heute richtig Spaß“, sind sich die Lehrerinnen einig, die Schüler kämen auch von selbst wieder auf mehr Ideen.

„Sicherheitsgarant“ oder „Feind der Jugend“?

Das Abgeben der Medien bei den Lehrern sei natürlich keine Pflicht für die Schüler, die Bildschirmzeit zu dokumentieren und der Versuch, diese zu reduzieren ,hingegen schon. Ein wöchentliches Schreiben hält auch die Eltern auf dem Laufenden. Ippendorf berichtet, dass deren Meinungen zum Projekt auseinandergehen.

Während die einen die Idee super finden und sogar selbst daran teilnehmen, wie zum Beispiel Maries und Annas Eltern, sehen andere die Abgabe der Handys kritisch. „Sie empfinden die Mobiltelefone als Sicherheitsgaranten und wollen ihr Kind jederzeit anrufen können“, erklärt Ippendorf. Die Lehrerin hat dafür aber kein Verständnis, sie findet, dass den Schülern durch die ständige Erreichbarkeit eher die Selbstständigkeit genommen wird.

„Wir sind sehr zufrieden“

Ansonsten ist das Projekt bis jetzt ein voller Erfolg. „Wir sind nicht naiv, wir wissen, dass die Medienproblematik durch diese einmalige Aktion nicht gelöst wird“, stellt Ippendorf fest. Trotzdem seien die Lehrerinnen begeistert, wie viele Schüler zusammenkommen und sich auch gegenseitig unterstützen würden. „Wir sind sehr zufrieden“.

Anna, Marie und Rijad wollen auch weiterhin ihre Medienzeit reduzieren. Ihre Ideen für den Sommer: mehr lesen, Freunde treffen und Zeit in der Natur verbringen.

In Bad Aibling gibt es schon ein komplett handyfreies Gymnasium, vielleicht wird die Wasserburger Mittelschule die nächste „Medien-freie-Zone“. Ippendorf und Kränzlein sagen, sie seien nicht abgeneigt, denn „Studien zeigen, wie sehr die Konzentration der Schüler steigen würde“.

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