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Freispruch nach „Badewannenmord“

Unschuldig im Knast? Rosenheimer Staranwalt über Justizirrtümer: „Da brauchst du den Brüllerbeweis“

Justitia kann irren. Und das weiß Rosenheims Staranwalt Harald Baumgärtl nur zu gut.
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Justitia (Symbolbild) hat verbundene Augen – und manchmal ist sie wirklich blind. Dann geschehen Irrtümer, wie Rechtsanwalt Harald Baumgärtl nur zu gut weiß.

Justizirrtümer gibt es – das zeigen der Fall Genditzki und der angebliche „Badewannen-Mord“ nur zu deutlich. Was da so alles passieren kann – und was sich ändern müsste, verrät Staranwalt Harald Baumgärtl aus Rosenheim.

Rosenheim – Fehler vor Gericht? Passieren. Und zwar nicht nur vereinzelt, weiß der Rosenheimer Star-Anwalt Harald Baumgärtl (63). Wenn auch selten so schockierend wie beim vermeintlichen „Badewannen-Mörder“ Manfred Genditzki, der erst kürzlich freigesprochen wurde – nach über 13 Jahren im Gefängnis.

Vor einer Neuverhandlung stehen hohe Hürden, weiß Harald Baumgärtl: „Es ist richtig schwer, überhaupt eine Wiederaufnahme zu erreichen.“ Dabei sind Fehler vor Gericht keine Seltenheit. Fehler wie im Fall Genditzki. Der saß wegen eines vermeintlichen Mordes, der wohl doch nur ein Unfall war. Der Verdacht, dass da jemand zu Unrecht verurteilt worden war, bestand von Anfang an. Die Zweifel wurden nicht weniger, als Genditzki hinter Gittern saß. Aber ein Verdacht hilft eben nicht. „Da brauchst du schon einen Brüllerbeweis“, sagt der Rechtsanwalt, der oft bei den komplizierten Fällen dabei ist – er vertritt auch den Beschuldigten im Mordfall Hanna.

Ein neues Verfahren: So holten Wissenschaftler Genditzki aus der Bredouille

Einen „Brüllerbeweis“ lieferte im Fall Genditzki ein neues Verfahren – Biomechanik als Beweismethode. Diese Rekonstruktionsmethode ließ einen Unfall als plausibel erscheinen. Es war, nach Fehlleistungen der Ermittler, die Arbeit von Wissenschaftlern, die den eingesperrten Hausmeister aus dem Gefängnis holte.

Eine Sternstunde für den Stuttgarter Biomechanik-Wissenschaftler Prof. Syn Schmitt. „Wir bilden den Menschen am Computer ab und versuchen dann, Bewegungsabläufe zu generieren“, sagt Schmitt. Für die Justiz bedeutet das neue Verfahren möglicherweise einen Fortschritt, der sich entfernt mit der Einführung der DNA-Analyse vergleichen lässt.

Nach über 4700 Tagen kam Genditzki also frei. Fast ein Wunder, denn – neue Beweismittel nach Abschluss der Beweisaufnahme zu finden, ist für einen Anwalt wie ein Sechser im Lotto. „Der Klassiker wäre ein Entlastungszeuge, der den Mord gesehen hat und sagen kann: Der Angeklagte war es nicht.“

Ihm sei das noch nicht passiert, sagt Baumgärtl. Sein Fazit daher: „Ziemlich unbefriedigend, die Regeln für eine Wiederaufnahme.“ Es müssten, so findet er, auch bereits vorgelegte Beweise nochmals geprüft werden können. Um im Zweifel eben für den Angeklagten sprechen zu können. „Das sollte sich der Gesetzgeber noch überlegen.“

Niederlage und Triumph: Bei einem Justizirrtum ist alles drin

Justizirrtümer? Da nennt Baumgärtl schnell zwei Beispiele. Einmal konnte er für seinen Mandanten nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Ein anderes Mal konnte er den Spieß umdrehen.

Da wäre der Eishallen-Fall. Es ging um die juristische Aufarbeitung der Bad Reichenhaller Eishallen-Katastrophe vom Januar 2006. Es seien die Falschen auf der Anklagebank gesessen. Das sagte später ein Angehöriger, der Frau und Tochter verloren hatte. Baumgärtl weiß es. Denn angeklagt war ein Ingenieur, dessen statische Berechnungen die Katastrophe mit ausgelöst haben sollen.

Ohne Anwalt? Sag lieber nichts

„Dem hat man die Abschrift eines statischen Gutachtens vorgelegt“, sagt Baumgärtl. Und nach flüchtiger Prüfung habe sein Mandant achselzuckend festgestellt, dass die Berechnungen von ihm stammten. Ein Fehler, der nicht mehr gutzumachen war. „Da können Sie jeden fragen“, sagt der Anwalt. „Das beste ist zu schweigen, dann können wir erst mal die Akten holen, und dann schauen wir, was und ob wir was sagen.“

„Wenn er geschwiegen hätte, hätten die nie eine Verbindung herstellen können“, ist sich Baumgärtl sicher. Denn diese Verbindung gab es ja auch nicht: Von den tonnenschweren Ventilatoren, die Jahre später auf das Dach der Eishalle gesetzt werden sollten, konnte der Ingenieur nichts ahnen. Er wurde trotzdem zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, musste das Verfahren berappen. „Ein Kostenbumerang“, sagt Baumgärtl.

Sex-Klamotte: Wie Baumgärtl den Spieß umdrehen konnte

In einem anderen Fall konnte Baumgärtl seinen Mandanten retten. Und für etwas ausgleichende Gerechtigkeit sorgen. Eine Sex-Klamotte, die fast zur Tragödie geworden wäre. Er: Ein Augsburger, der sich im Internet nach einer Partnerin umsah. Sie: Eine Rosenheimerin, liiert mit einem gut 30 Jahre älteren Mann, einem Ausflug nicht abgeneigt.

Die beiden trafen sich, man hatte Spaß. Ein paar Tage später tauchte er bei ihr auf dem Balkon auf. Und sah sich anschließend mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert. Die Zeugin sei hinreichend glaubwürdig gewesen, der Staatsanwalt habe schon gedrängt, es gut sein zu lassen. Baumgärtl tat es nicht. Zum Glück für seinen Mandanten.

Denn da waren ja noch die Mobiltelefone. Die Frau konnte oder wollte den Chatverlauf nicht zeigen. Den habe ihr Anbeter gelöscht, behauptete sie.

„Du, der alte Depp schläft schon“

Nicht gelöscht hatte ihn aber ihr Gspusi auf seinem eigenen Handy. Und da stand zu lesen – die Einladung der Frau: „Du, der alte Depp schläft schon, komm auf die Terrasse.“ Da schwenkte der Staatsanwalt schnell um, der Justizirrtum war vermieden.

Fall gelöst, Mandant gerettet, falsche Anklägerin selbst vor Gericht. Wegen ihrer Falschaussage. Die ihren Liebhaber schlimm in Probleme hätte bringen können. „Wenn du da keinen weisen Staatsanwalt hast, dann bist du alles los: Job, Geld, Reputation.“ Justizirrtümern kann der Anwalt jedenfalls nichts Spaßiges abgewinnen – jeder sei einer zu viel.

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