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Interview mit Johannes Zistl

Flüchtlings-Heim in Westerham: Bürgermeister Zistl über Hetz-Kampagnen und Verantwortung

Flüchtlinge auf dem Weg zu einer Unterkunft (Symbolbild). Feldkirchen-Westerhams Bürgermeister Johannes Zistl (rechts) sieht durch die Aufnahme weiterer Flüchtlinge keine Überforderung der Kommune, will bei Fragen rund um die Größe und den Standort von Unterkünften aber ein Mitspracherecht.
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Flüchtlinge auf dem Weg zu einer Unterkunft (Symbolbild). Feldkirchen-Westerhams Bürgermeister Johannes Zistl (rechts) sieht durch die Aufnahme weiterer Flüchtlinge keine Überforderung der Kommune, will bei Fragen rund um die Größe und den Standort von Unterkünften aber ein Mitspracherecht.

Mit einem baurechtlichen Einwand will Feldkirchen-Westerham eine Flüchtlingsunterkunft für 160 Personen verhindern. Im OVB-Interview erklärt Bürgermeister Johannes Zistl die Gründe und spricht über Alternativen, humanitäre Verpflichtungen und Hetz-Kampagnen.

Feldkirchen-Westerham – Er sieht grundsätzlich „die Notwendigkeit der Kommune bei der Unterbringung der Hilfesuchenden mitzuhelfen“, empfindet die in Westerham geplante Anlage aber als „zu groß“: Feldkirchen-Westerhams Bürgermeister Johannes Zistl (Ortsliste Vagen) hat klar Position rund um die seitens des Landratsamts Rosenheim geplante Flüchtlingsunterkunft für 160 Personen bezogen. Im OVB-Interview verrät der 40-Jährige, wie die Kommune versuchen will, ein Mitspracherecht zu bekommen, wie er die Stimmung in der Bevölkerung wahrnimmt und was er von per E-Mail verschickten Flugblättern hält.

Der Bauausschuss hat jüngst den Bauantrag für die Flüchtlingsunterkunft in Feldkirchen-Westerham unter anderem aufgrund der Überschreitung der Baugrenzen abgelehnt. Eine Veränderungssperre soll zudem die gemeindlichen Planungen rund um das Areal manifestieren. Welche Chancen sehen Sie durch diese Maßnahmen, eine Flüchtlingsunterkunft in der geplanten Größe für 160 Personen dort zu verhindern?

Johannes Zistl: Grundsätzlich handelt es sich bei unseren Entscheidungen um die Sicherung der Nutzung, die sich die Gemeinde im Rahmen ihrer Planungshoheit für dieses Areal vorgestellt hat – nämlich Gewerbe. Der Bauantrag für das Wohnheim für Geflüchtete passt nach Art und Maß der baulichen Nutzung nicht dorthin, weshalb das gemeindliche Einvernehmen nicht erteilt werden kann. Das Vorhaben passt nicht in Art der baulichen Nutzung, nämlich Wohnbebauung ins Gewerbegebiet und passt nicht ins Maß der baulichen Nutzung wegen Überschreitung der Baugrenzen. Die Änderung des Bebauungsplans und die Veränderungssperre sind die logische Konsequenz, um die ursprünglich angedachten Verwendungszwecke zu sichern und unsere Handlungsfähigkeit zu erhalten. Die Chancen eine Unterkunft in dieser Größe an diesem Standort zu verhindern sind für mich schwer einzuschätzen, aber sicher eine Möglichkeit die wir nutzen möchten, um in der Zwischenzeit geeignetere Standorte für kleinere Einheiten zu finden.

Sie haben mehrmals betont, dass Sie eine Größenordnung von 160 Personen nicht als Schwierigkeit für die Kommune sehen, sondern die Maßnahme als einzelne Großunterkunft. Was wäre dann für Sie die Ideallösung?

Zistl: Wir sind eine der leistungsstärksten Kommunen im Landkreis und wir können und wollen einen Beitrag zum großen Ganzen leisten. Ideal wären zwei bis drei Unterkünfte an unterschiedlichen Standorten im Gemeindegebiet in der Größenordnung von circa 50 Geflüchteten je Standort. Hier sehen wir eine bessere Möglichkeit der Integration und Betreuung, höhere Akzeptanz in der Bevölkerung und eine echte Chance für die Geflüchteten, unterstützt durch unsere Helferkreise vor Ort, sich zurecht zu finden.

Haben Sie schon etwaige Areale für kleinere Einheiten im Auge?

Zistl: Ja, der Gemeinderat hat bereits im Dezember 2023 verschiedene gemeindliche Flächen identifiziert. Eine genaue Abstimmung und Entscheidung darüber gibt es aber noch nicht. Natürlich ist es aber kein einfaches Thema, da es an jedem möglichen Standort Anlieger gibt, die nicht begeistert sind. Auch darum war es wichtig, dass die Bevölkerung durch die Informationsveranstaltung und die laufenden Informationen auf unserer Website den gleichen Wissenstand hat, um aktiv an dem Thema mitarbeiten zu können. Die Helferkreise spielen ebenfalls eine wichtige Rolle!

Im Vorfeld der Infoveranstaltung hat im Internet ein Flugblatt die Runde gemacht, dass die Stimmung wohl anheizen sollte. Unter anderem waren dort Sätze wie „Glauben Sie, dass Sie, Ihre Tochter und/oder Enkelin dann noch unbelastet auf den Wegen von Feldkirchen, Westerham und Feldolling spazierengehen können?“ zu lesen. Wie bewerten Sie das Flugblatt und die Stimmungslage rund ums Thema Flüchtlingsunterkunft im Allgemeinen in Feldkirchen-Westerham?

Zistl: Die Stimmungslage würde ich insgesamt als interessiert aber entspannt beschreiben. Seit der Informationsveranstaltung am 19. April sind alle Infos und Details zur Situation im Landkreis und zum geplanten Vorhaben bekannt und die Bürgerschaft kann sich nun qualifiziert eine Meinung bilden. Auch der dringende Handlungsbedarf in unserer Kommune wurde klar zum Ausdruck gebracht und dies war das erklärte Ziel der öffentlichen Veranstaltung. Die Gemeindeverwaltung hatte deshalb im Vorfeld auf der Homepage zum Infoabend eingeladen, die Presse um Veröffentlichung gebeten und Einladungen an die direkten Anwohner versandt. Die Verteilung des Flugblattes hat letztlich dazu geführt, dass noch mehr interessierte Bürger an dem Abend dabei sein konnten, was insgesamt positiv zu werten ist. Zu den unbegründeten Behauptungen einer Einzelperson möchte ich mich nicht äußern und auch nicht zu den Methoden, absichtlich Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Spätestens seit der Infoveranstaltung konnten aber hoffentlich die meisten offenen Fragen und Vorbehalte geklärt werden.

Gibt es denn seitens der Bevölkerung Rückmeldungen an die Gemeindeverwaltung?

Zistl: Die Rückmeldungen bisher waren überwiegend positiv, vor allem über den transparenten Umgang mit dem schwierigen Thema seitens der Gemeinde. Auch dass ich mich als Bürgermeister und Otto Lederer als Landrat persönlich den Fragen gestellt haben, kam bei den Bürgerinnen und Bürgern gut an. Die Information über das Thema und die schwierige Lage zur Unterbringung von Geflüchteten im Landkreis insgesamt hat bei vielen Gemeindebürgerinnen und –bürgern dazu geführt, sich erstmals mit dem Thema auseinanderzusetzen. Überwiegend kommt deshalb die Bitte bei mir an, dass auch wir im Rahmen unserer Möglichkeiten einen Beitrag dazu leisten sollen. Besonders erfreut war ich über einen Leserbrief im Mangfall-Boten, der die positive Stimmung in der Gemeinde zum Ausdruck bringt, dieses Thema anzupacken und mich in meinem Wirken insgesamt bestätigt.

Rosenheims Landrat Otto Lederer hat bei der Infoveranstaltung seinen Wunsch nach einer prozentual vorgegebenen Verteilung auf die einzelnen Gemeinden erneuert. Wäre das für Sie auch eine gerechtere und sinnvollere Lösung?

Zistl: In anderen Bundesländern gibt es dieses Vorgehen bereits. Es wäre eine Möglichkeit, damit jede Kommune vorab weiß, was auf sie zukommen könnte und dementsprechend planen kann. Gleichzeitig müssten alle Kommunen ihren angemessenen Betrag leisten. Die Gemeinden könnten rechtzeitig geeignete Unterkünfte oder Grundstücke an den Landkreis melden, der durch das dadurch gesteigerte Angebot deutlich bessere Verteilungsmöglichkeiten der Geflüchteten hätte und nach Gemeinde, Lage, Größe, Anbindung, Infrastruktur und so weiter priorisieren und kleinere Standorte errichten könnte. Dies ist dem Landkreis bisher wegen Mangel an Angeboten nicht möglich.

Wie bewerten Sie persönlich die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der Europäischen Union?

Zistl: Als parteifreier Bürgermeister habe ich einen möglichst objektiven Blick auf die politische Situation. Als Bürgermeister, als Gemeinde und als Gemeinschaft in Feldkirchen-Westerham werden wir unseren Beitrag leisten und ich bin mir sicher wir schaffen das auch. Derzeit befinden sich weltweit aber knapp 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Klimawandel, Krieg, religiöse oder politische Verfolgung und Vieles mehr. Mir fehlt ein Stück weit das Signal von der „großen Politik“, wie man mit diesen Schicksalen langfristig umgehen will und wo diese Menschen eine neue Heimat finden sollen. Für Geflüchtete die in Europa ankommen wäre eine langfristige europäische Strategie wünschenswert, anstatt zu versuchen, die Symptome dieser Katastrophen kleinräumig und lokal zulasten der Kommunen zu lösen.

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