Gemeindereferent muss sich vor Gericht verantworten
Erneut Missbrauchs-Skandal in Rosenheim: Zum Sex gezwungen? Schwere Vorwürfe gegen Seelsorger (37)
Die schlechten Nachrichten rund um die katholische Kirche in Rosenheim reißen nicht ab. Wenige Wochen nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals um den Rosenheimer Krankenhausseelsorger Greihansel (†88) muss sich nun ein früherer Rosenheimer Gemeindereferent (37) wegen Sexualstraftaten vor Gericht verantworten.
Rosenheim - Erneut ein Missbrauchsskandal um einen katholischen Seelsorger in der Region Rosenheim: Der Mann soll sich zwischen 2016 und 2019 des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen, Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung schuldig gemacht haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Traunstein. Ab Mittwoch (19. April) muss sich der frühere Rosenheimer Seelsorger vor dem Landgericht in Traunstein wegen der mutmaßlichen Misshandlung einer jungen Frau verantworten.
Der Prozess beginnt nur einen Monat, nachdem bestürzende Einzelheiten über einen älteren Missbrauchsskandal ans Licht gekommen waren: Der vor 60 Jahren wegen Missbrauchs in München vorbestrafte Rudolf Greihansel hatte sich offenbar auch als Krankenhausseelsorger in Rosenheim Übergriffe zuschulden kommen lassen.
Die neuen Vorwürfe, die Mitte April bekannt wurden, betreffen einen heute 37-Jährigen. Er arbeitete von 2011 bis 2016 als Gemeindereferent in Rosenheim, und zwar in der Kinder- und Jugendseelsorge. Ein beliebter, musikalischer Seelsorger war er dem Vernehmen nach, einer der mit jungen Leuten umgehen konnte, der alle in seinen Bann zog und sie ermutigte, ihre Talente zu zeigen und zu entwickeln. Das sagen jedenfalls Rosenheimer gegenüber dem OVB über den jugendlich wirkenden Mann.
Der Gemeindereferent soll seine Vertrauensstellung ausgenutzt haben
So könnte es ihm auch leichtgefallen sein, sich seinem späteren mutmaßlichen Opfer zu nähern. Dabei handelt es sich um ein Mädchen, das seit seinem zwölften Lebensjahr unter Depressionen litt, wie es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Traunstein heißt. Der Gemeindereferent habe seine Hilfe angeboten - und die damals etwa 15-Jährige nahm das Angebot im Schuljahr 2015/2016 mit dem Einverständnis ihrer Eltern an.
Der Seelsorger soll, so lautet der Vorwurf des Staatsanwalts, seine Vertrauensstellung wie auch seinen Einfluss auf die Jugendliche zielgerichtet genutzt haben. Man traf sich jede Woche, bei Spaziergängen oder auch mal im Bandraum im Jugendtreff der Pfarrei St. Nikolaus. Im Jahr 2016 habe der Mann die junge Frau dann mehrmals zum Sex bewegt, so die Überzeugung des Staatsanwalts. Dies soll auch bei einer Ferienfreizeit in Regensburg und einem Ausflug nach Bamberg geschehen sein, die beide der Angeschuldigte geleitet hatte.
Kaum war sie 18, soll er sie zum Sex gezwungen haben
Danach aber offenbarte sich die junge Frau ihren Eltern. Die untersagten dem heute 37-Jährigen jeden Kontakt mit ihrer Tochter. 2018 - rund zwei Jahre nach seinem Abschied aus Rosenheim Ende Juli 2016 - nahm er erneut Kontakt zu der jungen Frau auf. Das Wissen um die Beeinflussbarkeit seines Opfers soll ihn nicht gehemmt haben. Im Gegenteil, offenbar nützte er die Wehrlosigkeit der labilen Frau aus, so die Staatsanwaltschaft. Mindestens zweimal soll er die 18-Jährige in einem Hotel in München zum Sex gezwungen haben - laut Anklageschrift, indem er sie demütigte, sie fesselte und bedrohte. Selbst als die Frau weinte, habe der Mann weitergemacht. Vorwürfe, die es nun ab 19. April vor dem Landgericht Traunstein zu klären gilt. Es sind fünf Verhandlungstage angesetzt.
Die Betroffene wandte sich mit den Vorwürfen an die Erzdiözese München-Freising
Aus der Stadtkirche Rosenheim heißt es gegenüber dem OVB, dass vom Treiben des Gemeindereferenten nichts bekannt gewesen sei. Pastoralreferentin Hannelore Maurer sagte, sie sei bestürzt. Pfarrer Andreas Maria Zach war trotz mehrerer Rückfragen des OVB nicht zu erreichen.
Der 37-Jährige hatte nach seinem Weggang aus Rosenheim, wo er im Juli 2016 noch feierlich verabschiedet worden war, in einem kleinen Ort in der Oberpfalz als Gemeindereferent gearbeitet. Das Erzbischöfliche Ordinariat München-Freising sagte auf OVB-Anfrage, dass es erst im Nachhinein von den Vorwürfen erfahren habe, und zwar im Juni 2020. „Die mutmaßlich Betroffene hatte sich kurz zuvor an eine der unabhängigen Ansprechpersonen der Erzdiözese München und Freising gewandt“, sagte ein Sprecher des Bistums München-Freising. Das für den Gemeindereferenten mittlerweile zuständige Bistum Eichstätt war gestern bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Im Falle von Pfarrer Greihansel hatte es Jahrzehnte benötigt, bis Einzelheiten ans Licht kamen. Greihansel war in den 60er Jahren in München wegen fortgesetzten Missbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Danach wurde er nach Rosenheim versetzt, wo er 1968 Seelsorger des neuen städtischen Klinikums wurde. Weitere Missetaten kamen erst nach seinem Tod im Jahre 2018 heraus: Laut Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl machte sich der Pfarrer Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahr erneuter Übergriffe schuldig. Sie blieben ungesühnt.