Sieben Tote in 40 Jahren – Mit Umfrage
„Zum Verzweifeln“: Die unendliche Geschichte der lebensgefährlichen Soyener Bahnübergänge
Sieben Bahntote verzeichnet die Gemeinde Soyen bisher – eine traurige Bilanz. Seit den 80er Jahren kämpften vier Rathauschefs für mehr Sicherheit. Karl Fischberger, Soyens Altbürgermeister, berichtet vom zähen Ringen mit den Behörden. Doch es liegt nicht nur an ihnen.
Soyen - Die unbeschrankten Bahnübergänge in Soyen sind seit vielen Jahren eine große Gefahr und ein Ärgernis in der Gemeinde. Jahrzehntelang kämpfte die Kommune um verschiedene Lösungen für acht Bahnübergänge und zwei Umlaufsperren auf elf Kilometern Gleisstrecke, die die Kommune praktisch durchschneidet. Soyens Altbürgermeister Karl Fischberger war selbst maßgeblich daran beteiligt, dass in Mühlthal eine Eisenbahnbrücke installiert wurde. Bis zur Realisierung dauerte selbst das insgesamt 13 Jahre.
1981 erstmals Unterführung im Gespräch
Doch die unendliche Geschichte rund um die Soyener Bahngleise begann schon in den 80er Jahren, damals noch unter Bürgermeister Johann Zoßeder. Im Januar 1981 kam erstmals die Frage nach einer Bahnunterführung für Fußgänger am Bahnhof in Soyen auf. In einer Live-Rundfunksendung sei der damalige Staatssekretär des Bayerischen Innenministeriums (Anmerkung der Redaktion: damals Gerold Tandler) zugeschaltet gewesen. Tandler sprach von der Möglichkeit einer Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Die Anfrage der Kommune an die Deutsche Bundesbahn wegen Mitfinanzierung wurde abgelehnt, so Fischberger.
1985 war der Streckenabschnitt zwischen Wasserburg und Mühldorf sogar mal gesperrt, zunächst wegen Schäden an der Innbrücke in Jettenbach, anschließend wegen Instandsetzungsarbeiten an der Innbrücke Königswart. Währenddessen scheiterte 1987 die erneute Forderung der Soyener Bürgerinitiative nach einer Bahnunterführung. Die hohen Kosten und auch die Überlegung, die Eisenbahnstrecke stillzulegen, veranlasste die Bahn dazu, der Kommune eine Absage zu erteilen, erklärt Altbürgermeister Fischberger. Nachdem die Sanierung in Königswart 1993 abgeschlossen worden war, nahm die Deutsche Bahn im Mai 1994 den Zugbetrieb wieder auf.
Umlaufsperre am Bahnhof in Soyen
1996 übernahm Lorenz Kebinger das Amt des Soyener Bürgermeisters. Bis zum Amtswechsel mit Karl Fischberger im Jahr 2008 setzte auch er sich für die Thematik ein. Aus Sicherheitsgründen errichtete die Bahn einen Zaun zwischen den Bahnübergängen „Bergstraße“ und „ Riedener Straße“, da immer mehr Bürger die Abkürzung über das Gleis im Bereich des Soyener Bahnhofs nutzten, was laut DB ein großes Sicherheitsrisiko darstellte. Die Kommune wurde dadurch aber in zwei Hälften geteilt, was in der Gemeinde für einigen Unmut sorgte.
Nach einer Ortsbegehung im Jahr 2005 zum Bau eines „schienengleichen Übergangs“ erklärte die Südostbayernbahn (SOB), dass ein Neubau einer Umlaufsperre am Bahnhof in Soyen möglich wäre. Dieses Vorhaben solle die Kommune mit dem Eisenbahnamt abklären. Der Gemeinderat stimmte dem Bau im September 2007 zu. Außerdem entschied das Gremium damals, dass die Umlaufsperre in Reiten beseitigt und die Bahnübergänge Seeburg, Buchsee und Grasweg umgebaut und beschrankt werden müssten. Die von der SOB beantragte ersatzlose Schließung des Bahnübergangs Grasweg wurde abgelehnt.
Bürgermeister Kebinger stellte zu der Zeit seinen eigenen Entwurf für die Umlaufsperre in Soyen vor. Nach weiteren langwierigen Diskussionen und Planungen wurde diese gebaut – und im April 2010 fertiggestellt – vier Jahre nach der Beschlussfassung, erinnert sich Fischberger. Die Beschrankung der Bahnübergänge sollte bis 2010 ebenfalls erfolgt sein, wurde aber von der SOB aus der kurzfristigen Planung wieder herausgenommen.
Tödlicher Unfall in Mühlthal
Am 26. Mai 2007 kam es zu einer weiteren Tragödie am Bahnübergang in Mühlthal. Ein Fahrer eines Milchtankwagens übersah den heranfahrenden Zug und verunglückte bei dem Unfall tödlich. Er war bis dahin der fünfte Tote, der in Soyen bei einem Unfall an den unbeschrankten Bahnübergängen gestorben war.
Danach war für die Kommune klar: Es muss endlich eine Lösung her. Sie forderte eine Brücke in Mühlthal, als Ersatz für die Bahnübergänge Mühlthal und Hörgen, berichtet Fischberger. Die Kosten dafür wurden auf rund 1,95 Millionen Euro geschätzt. Eine Stellungnahme der Regierung von Oberbayern, in der „die zwingende Notwendigkeit einer Brückenlösung“ bestätigt wurde, bekräftigte das Vorgehen der Kommune.
Die Regierung forderte eine Geschwindigkeit von 50 km/h für den Straßenverkehr über die geplante Brücke in Mühlthal, doch dagegen stemmte sich die Untere Naturschutzbehörde. Dadurch würde in das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH-Gebiet) eingegriffen werden – folglich sollte die Geschwindigkeit an dieser Stelle auf 30 km/h reduziert werden, was die Regierung jedoch ablehnte. Außerdem forderte die Naturschutzbehörde eine Verträglichkeitsstudie zum FFH-Gebiet. Untersucht wurden unter anderem das Kiebitz-Kataster, der Bestand an Totholzkäfern und Fledermäusen sowie Schlingnattern. Auch eine Begutachtung der Fische stand an, da im Nasenbach Rohre verlegt werden mussten.
Im Februar 2009 – Karl Fischberger war schon fast ein Jahr Bürgermeister – gab das Tiefbauamt des Landratsamts Rosenheim eine Stellungnahme bezüglich des Anschlusses an die Kreisstraße RO 40 ab: Eine von der Gemeinde beantragte Abbiegespur nach Mühlthal sei nicht möglich, da dort zu wenig Verkehr unterwegs sei.
Und auch die Naturschutzbehörde ließ nicht locker. Sie wollte eine weitere Studie, da eine Beeinträchtigung der Tierwelt durch die geplante Brücke „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht ausgeschlossen werden könne. Die Gemeinde veranlasste alles: Schreiben und Stellungnahmen gingen hin und her, Besprechungen, Ortstermine. Fischberger ging wieder Klinken putzen und wurde bei den zuständigen Behörden vorstellig, wie er heute noch gut weiß.
Sämtliche Studien abgelaufen
2011 reichte die Kommune eine komplett neue Vorplanung ein, die Kostenschätzung für die Brücke lag mittlerweile bei rund drei Millionen Euro. Wieder gab es Besprechungen mit der Südostbayernbahn, Sachgebietsleitern, Landschaftsarchitekten, der Naturschutzbehörde. Diese stand wiederum in Verbindung mit dem Wasserwirtschaftsamt Rosenheim und dem Eisenbahnbundesamt, um sich wegen des Rohrdurchlasses am Nasenbach zu besprechen, wie der Altbürgermeister berichtet.
Wieder gingen einige Jahre ins Land. Doch das nächste Problem stand schon ins Haus: Sämtliche Studien, die die Naturschutzbehörde eingefordert hatte, waren mittlerweile abgelaufen und mussten erneut durchgeführt werden – „es war teilweise zum Verzweifeln“, blickt Fischberger zurück.
Ein junger Zahnarzt wird 2016 vom Zug erfasst
Am 25. Februar 2016 geschah dann der nächste Unfall am Bahnübergang in Hörgen: Ein junger Zahnarzt wurde mit seinem Pkw vom Zug erfasst und starb.
Danach ging alles ganz schnell: Mit Datum 26. Februar 2016 – gleich am nächsten Tag – bekam Bürgermeister Fischberger einen Bescheid vom Eisenbahnbundesamt (EBA). Der Inhalt: Die beiden Bahnübergänge in Mühltal und Hörgen werden geschlossen und eine Überführung in Mühlthal errichtet.
Ziel erreicht – auch wenn es noch vier Jahre dauerte, bis die Brücke schließlich eingeweiht werden konnte. Doch für den jungen Zahnarzt, der sein Leben bei dem Unfall ließ, kam die Entscheidung des Eisenbahnbundesamts zu spät. Der Bau der Brücke startete im Juni 2019, am 7. November 2020 wurde sie in Betrieb genommen – dann schon unter dem jetzigen Bürgermeister Thomas Weber.
Doch damit ist in Soyen das Problem rund um die unbeschrankten Bahnübergänge nicht gelöst. Am 19. November 2022 verunglückte ein 52-jähriger Soyener am Bahnübergang in Seeburg. Beim Einfahren in den unbeschrankten Bahnübergang übersah er die aus Richtung Rosenheim nahende Regionalbahn der Südostbayernbahn. Sein Auto wurde von dem Zug erfasst und mitgeschleift. Der Fahrzeugführer wurde dabei tödlich verletzt. Er ist der siebte Tote seit 2007 – eine traurige Bilanz.
Weber hat die Problematik von seinen Vorgängern übernommen. Auch er ist dahinter, dass die Übergänge in Seeburg, Grasweg und Buchsee nicht nur mit Lichtanlagen und Andreaskreuzen ausgestattet sind, sondern beschrankt werden.
Doch auch hier gibt es Schwierigkeiten: Die Bahnübergänge in Seeburg, Buchsee und Grasweg hängen technisch zusammen, wie der Bürgermeister auf Anfrage vergangenes Jahr erklärte. Das Verfahren für eine Beschrankung in Seeburg sei fertiggestellt, doch in Buchsee und Grasweg laufe es noch. Die Arbeiten könnten nur gemeinsam in Angriff genommen werden. Und auch die Naturschutzbehörde hätte Bedenken angemeldet, weil in Grasweg Lebensräume von Kiebitzen nachgewiesen worden seien. Hier müsse die Naturschutzbehörde über die weitere Vorgehensweise entscheiden, so das Gemeindeoberhaupt.
Die Bahn fordere unter anderem in Grasweg ein größeres Sichtfenster für Fußgänger und Radfahrer, die die Schienen überqueren wollen, erklärte der Bürgermeister. Das sei hier aber nicht möglich, da eine große Hecke das Sichtfeld störe. Doch so einfach ist es nicht.
Wie Gerlinde Ecklmaier Anfang Januar auf Anfrage erklärte, stelle sich die Situation nicht so einfach dar. „Es geht nicht nur um eine Hecke“, sagte sie. Zum einen, da es sich nicht um ein „normales Strauchwerk“ handle, sondern um eine Vogelschutzhecke. Darüber hinaus sei ein großer Teil ihres Grundstücks durch die Pläne der Gemeinde betroffen. Eigentlich müsste ihre Familie die gesamte noch unbebaute Fläche des Anwesens frei halten und einer Grunddienstbarkeit zustimmen. Eine Einschränkung, auf die sich die Eigentümer nicht einlassen wollen.
Planfeststellung notwendig
Mittlerweile steht fest: Es wird ein Planfeststellungsverfahren unter Projektleitung der DB Netz notwendig, teilt Bürgermeister Thomas Weber zum aktuellen Stand mit. Das kann dauern, so die Erfahrung.
Eine festgefahrene Situation mit vielen Beteiligten: die Bahn selbst, die Gemeinde Soyen, Behörden und Anwohner. Wie sich Lage entwickeln wird, bleibt abzuwarten – und auch, ob es in Seeburg, Buchsee und Grasweg jemals beschrankte Bahnübergänge geben wird.
