Für Volksbegehren auf Bundesebene
Reißnagel für den großen Hintern: So will die ÖDP in Rosenheim punkten
Die ÖDP gehört zu den Kleinen, feiert aber große Erfolge bei Volksbegehren. Warum sie sich trotzdem auch beim Bundestagswahlkampf reinhaut, warum Ökologie auch Wirtschaft ist und was die Bibel mit Politik zu tun hat, erklärt Spitzenkandidat Günther Brendle-Behnisch im OVB-Gespräch.
Rosenheim – Er ist der Spitzenkandidat einer kleinen Partei, hat aber Großes vor. ÖDP-Bundesvorsitzender Günther Brendle-Behnisch will bei den Bundestagswahlen nicht nur Stimmen-Prozente, sondern auch Aufmerksamkeit für seine Partei. Jetzt hat er Rosenheim besucht, für einen Vortrag und eine Kundgebung an der Nikolaikirche. Auch beim OVB schaute Brendle-Behnisch vorbei, für ein Exklusivgespräch darüber, was Ökologie mit Wirtschaft zu tun hat, und warum Volksbegehren bei aller Arbeit auch Spaß machen.
Wie gefällt es Ihnen in Rosenheim?
Günther Brendle-Behnisch: Recht gut, die Kundgebung lief bestens. Auch bei meinem Vortrag und der anschließenden Diskussion fand ich die Atmosphäre schön. Es waren nicht so viele Leute, es war familiär. Und es ging ans Eingemachte. Um Wirtschaftspolitik.
Wirtschaftspolitik? Wie geht das mit Umwelt zusammen?
Brendle-Behnisch: Wirtschaftspolitik heißt bei uns immer auch ökologische und soziale Politik. Ich vertrete die Modern Monetary Theory. Das ist eine Finanztheorie, die in der Praxis immer wieder ihren Niederschlag findet.
Sagen Sie doch mal kurz, was das ist.
Brendle-Behnisch: Sie kennen Mario Draghis Ausspruch während der griechischen Schuldenkrise? Whatever it takes - Was auch immer nötig ist!
Ja.
Brendle-Behnisch: Damit hat er Griechenland und die Währungsunion gerettet. Das konnte er nur aufgrund der Modern Monetary Theory. Das heißt unter anderem, dass ein Staat mit Währungshoheit nicht pleitegehen kann, wenn er sich nicht in Fremdwährung überschuldet. Mario Draghi hat die Verramschung der Staatsanleihen von Griechenland gestoppt, indem er gesagt hat, ich kaufe das notfalls alles auf, zu jedem Preis. Damit hat er die Finanzmärkte beruhigt.
Ich hätte dennoch erwartet, dass Sie über Bienen oder Artenvielfalt sprechen.
Brendle-Behnisch: Ja, so habe ich meinen Vortrag angefangen.
Mit Bienen oder mit Draghi?
Brendle-Behnisch: Mit Bienen, mit Artenvielfalt. Genauso wie Sie es gesagt haben. Und dann habe ich die Zuhörer gefragt, was Ökologie mit Wirtschaft zu tun hat.
Man hat in der Politik sonst den Eindruck, dass das zwei konträre Pole sind.
Brendle-Behnisch: Genau. Sie können sich das gängige Schema vielleicht als drei einander überlappende Kreise vorstellen. Ökologie, Soziales und Wirtschaft. Dort, wo die drei Kreise überlappen, muss der eine Bereich auf den anderen Rücksicht nehmen. Dieses Schema ist aber falsch. Ökologie ist diese Welt, ist der Planet. Und wir alle sind Teil davon. Das heißt, wir sind ein Kreis in diesem Kreis, nicht daneben, ebenso ist die Wirtschaft Teil von uns. Außer uns wirtschaftet kein Wesen auf der Welt. Also ist sie ein Kreis in unserem Kreis. Wenn wir mit unserem Planeten schlecht umgehen, wird sich das rächen. Die Munich Re hat bereits vor längerer Zeit gesagt, dass Nichtreagieren auf Krisen uns viel teurer kommt als ein Umbau.
Wie viele Wähler haben Sie denn bei der Münchener Rück?
Brendle-Behnisch: Keine Ahnung. Die haben das zu einer Zeit festgestellt, da war ich noch gar nicht bei der ÖDP. Also, die Ökologie muss ich an erste Stelle setzen, weil die uns im Endeffekt das Genick brechen wird, wenn der Klimawandel voll zuschlägt. Und dann wird die Geschichte für uns teuer. Und wer weiß, wie viele das nicht überleben. Wir haben noch ein zweites Problem: den Artenschwund. Der ist massiv. Noch ist nicht klar, welche Katastrophe die folgenschwerere sein wird.
Aber derzeit haben wir Wirtschaftskrise. Und das spüren die Menschen am Geldbeutel. Es gibt wenig, wo sie empfindlicher sein könnte. Wie wollen Sie gegen das Drängen der Wirtschaft bestehen?
Brendle-Behnisch: Schauen sie mal auf die mittelständischen Unternehmen. Die sind sehr flexibel, viele steuern schon um. Wir haben etliche Unternehmen, die bereits diesen Umbau geschafft haben oder dabei sind. Und es sind nicht nur die Kleinen. 2023 war im Europaparlament eine Tagung „Beyond Growth“. Da war Mathias Miedreich, CEO von Umicore, das ist eine der ganz großen Mining-Gesellschaften. Er hat gesagt, dass wir umsteuern müssen. Und dass Umicore bereits Recycling in sein Programm genommen hat. Er sagt, dass eine Kreislaufwirtschaft machbar ist. Und dass das eine Win-Win-Situation für die Wirtschaft ist! Also, wenn die nicht Bescheid wissen, dann weiß ich nicht, wen man noch fragen kann.
Weil Sie gerade von Mining sprachen: Auch in der Region Rosenheim soll gebuddelt werden. Für den Brenner-Nordzulauf. Brauchen wir den?
Brendle-Behnisch: Der Brenner-Basistunnel kommt. Dass der Warenverkehr in den nächsten Jahren abnehmen wird, glaube ich nicht. Das heißt, wir brauchen den Zulauf. Die Frage ist, mit wie vielen Eingriffen in die Umwelt wir ihn realisieren. Ich rede jetzt ein bisschen wie der Blinde von der Farbe, weil ich mich erst informieren musste. Aber wenn ich sehe, es gäbe auch die Möglichkeit, den Trassenverlauf zu ertüchtigen und auszubauen, ohne dass man enorm in die Umwelt eingreift, dann ist für mich völlig klar: Wir müssen die Bestandsstrecke ertüchtigen.
Wo haben sie sich informiert?
Brendle-Behnisch: Bei den Bürgerinitiativen vom Brenner-Dialog. Auch das, was die ÖDP im Landkreis Rosenheim macht, beobachte ich. Aber ich habe natürlich keinen kompletten Überblick. Deswegen ist das, was ich jetzt sage, einfach meine Sichtweise, meine Folgerung aus dem, was ich gelesen habe und was mir zugetragen worden ist.
Energiewende, Verkehrswende, Klimaschutz: Alles Themen, die langen Atem benötigen. Wie viel Nachhaltigkeit geht in einer Demokratie, die sich alle vier Jahre ein neues Parlament gönnt?
Brendle-Behnisch: Das ist eines der großen Probleme. Ich verwende gerne den Begriff „Enkeltauglichkeit“. Das heißt, dass die Konzepte, die ich entwickle, eben nicht nur bis zur nächsten Wahl taugen, sondern auch für die nächste und übernächste Generation. Wenn Politiker nur in ihrer eigenen Wahlperiode denken, dann wird die Angelegenheit kurzatmig. Wenn ich nur in diese Richtung denke, dann kann ich keine Vision entwickeln.
Wie bekommen Sie Politiker zu langfristigem Denken?
Brendle-Behnisch: Durch Überzeugungsarbeit. Unser Problem ist einerseits, dass wir weder im Landtag noch im Bundestag vertreten sind. Aber – wir sind ganz gute Ideengeber für die Großen. Die lassen sich nicht anmerken, wo sie es herhaben, aber sie reagieren doch auf uns.
Reicht das als Motivation, sich einem Bundestagswahlkampf zu stellen, obwohl Sie realistisch gesehen kaum eine Chance haben?
Brendle-Behnisch: Das ist eine Motivation. Voraussetzung, um überhaupt durchzudringen, ist die öffentliche Wahrnehmung. Die bekommen wir im Bundestagswahlkampf. Ein weiterer Grund: Wir treten an, weil wir eine politische Partei sind. Nach dem Parteiengesetz ist das eine Verpflichtung. Wenn wir eine Partei sind, dann müssen wir unser Angebot in die Waagschale werfen, und das ist unabhängig von unseren Chancen. Das ist eines der wenigen Dinge, die für mich alternativlos sind. Die ÖDP würde, wenn wir nicht antreten, auch eine ordentliche programmatische Lücke hinterlassen.
Erfolgreicher sind Sie mit etwas anderem: Volksbegehren. Was macht mehr Spaß, Volksbegehren oder Bundestagswahl?
Brendle-Behnisch: In unseren Kreisen sagt man ja oft, davor hat der Söder Angst. Deswegen ändert er lieber gerne mal das Gesetz. Etwa, als der Trinkwasserschutz aufgelockert werden sollte. Wir haben sofort ein Volksbegehren angekündigt. Und schon ist das Ding zurückgenommen worden. Das zeigt den Einfluss, den wir haben. Von der Seite her macht natürlich Volksbegehren ziemlich viel Spaß.
Und von der anderen Seite her?
Brendle-Behnisch: Es ist ein Riesenaufwand. Beim Volksbegehren liegt die Latte sehr hoch. Aber Sie kennen das alte Plakat, mit dem Reißnagel, dem bayerischen Löwen und dem Slogan: Auch ein kleiner Reißnagel kann einen großen Hintern bewegen. Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen können. Und da reagiert der große Löwe manchmal ziemlich empfindlich. Wie damals auch am Marienberg nördlich von Rosenheim, als dort ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte: Der Standort wurde nach unserem Bürgerbegehren endgültig gestrichen. Basisdemokratie ist ein wichtiger Punkt bei uns.
Was grenzt sich die ÖDP von der „Basis“ ab?
Brendle-Behnisch: Ganz zu Beginn hat mich der Begriff „Basis“ interessiert, der war mir zunächst tatsächlich sympathisch. Doch als ich sah, was sich da alles sammelt, hörte das auf. Nach rechts außen gibt es für uns keinen gangbaren Weg.
Sie sind Pfarrer. Wenn Sie Politikern eine kurze Predigt in einem einzigen Satz halten müssten, was würden Sie sagen?
Brendle-Behnisch: Ich würde eine Anleihe bei Jeremia nehmen: Suchet der Stadt Bestes! Stadt, das heißt auf Griechisch Polis. Davon leitet sich das Wort „Politiker“ ab. Damit ist der Satz erklärt.