Parteigründung in der Region Rosenheim
„Mich macht die Situation im Land wütend“: Was treibt die Wagenknecht-Fans in Rosenheim an?
Protestbewegung, Kader-Partei einer Ex-Kommunistin, Systemsprenger? Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stellt die Politik vor Rätsel. In der Region Rosenheim hat sich jetzt ein BSW-Freundeskreis gebildet. Wer sind die Leute dahinter? Warum BSW-Mitglied werden nicht leicht ist.
Landkreis Rosenheim – „Mich macht die Situation im Land wütend.“ Rolf Staudt antwortet kurz und bündig, wenn man ihn fragt, warum er das macht. Warum er sich für eine Partei engagiert, die in manchen Bereichen noch gar keine richtige Partei ist. Zumindest noch nicht in ganz Deutschland. BSW heißt die Gruppierung, Bündnis Sahra Wagenknecht.
Gegründet wurde das BSW im Februar 2024. Noch ist sie nicht in jedem Bundesland mit einem Landesverband vertreten. Auch nicht in Bayern. Aber: Die neue Partei räumte bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ab. Und davor auch schon bei der Europawahl. Sogar in der Region Rosenheim: Vier Prozent holte das BSW im Herzen von Oberbayern. Viel für einen Debütanten. Sehr, sehr viel für die Gruppe einer früheren Kommunistin.
Unfaire Umverteilung: Was Staudt so wütend macht
Rolf Staudt war Lehrer. Er sagt, dass er früher bei der Linken gewesen sei. Er sei gegangen, weil die Linke keine Friedenspartei mehr sei. Sicher, Putin sei „ein Kriegsverbrecher“. Aber dauernd hohe Militärausgaben? Wolle er nicht, sagt Staudt. Das sei eine unfaire Umverteilung, weg von so vielen Menschen, die er manchmal wahrnehme.
Er erzählt von einer Frau aus Prien, die ihr Leben lang gearbeitet hat, von ihrer Rente kaum leben kann, die nun die Wohnung verliert und keine neue findet. Dass es so weit gekommen sei, dass die Schere so weit aufgehe, „macht mich so wütend.“ Also wechselte er zum BSW. Und ist als Mitbegründer nun der Vorsitzende des Freundeskreises für den Landkreis Rosenheim.
BSW: Welche Rechte haben Fan-Clubs?
Er war dabei, als es vor der Europawahl darum ging, Wahlplakate zu kleben. Nun ist er dabei beim Aufbau des BSW in Bayern. 18 Mitglieder zähle der Freundeskreis, sagt Staudt. Für Freitag, 20. September, lädt der Freundeskreis zur ersten öffentlichen Veranstaltung mit Vortrag und Diskussion an. Beginn ist um 19 Uhr im Café-Restaurant Alpenblick in Prien.
Wie das genau aussieht mit der Teilhabe an der Partei, darüber herrscht Rätselraten. Wagenknecht führt den Laden mit straffer Hand, bestimmt, wer reinkommt und wer nicht. Wie eine Kader-Partei, sagen Kritiker. Weil das BSW nicht von Extremisten unterwandert werden soll, sagen Bewunderer. Staudt ist einer der Handverlesenen. Er ist nach eigener Auskunft Mitglied, eines von vielleicht 100 in ganz Bayern. Der Rest des Rosenheimer Freundeskreises darf sich als Anwärter betrachten. Oder als Mitglied in einem Fanclub. Es könne ein Ortsverband daraus werden, wenn sich der Landesverband erstmal konstituiert habe, sagt Staudt. Oder ein Kreisverband.
Frust als Ansporn zum Engagement
Freundeskreis-Mitbegründer Helmuth Henseler (74) kann mit dieser Art von Improvisation gut leben. Wie auch Staudt gebraucht er gerne das Wort „sukzessive“, wenn es um den Fortgang der neuen Partei geht. Schritt für Schritt, „sukzessive“, würden aus den Leuten vom Freundeskreis die neuen Mitglieder des BSW werden. Henseler bezeichnet sich als „linksliberal“, die FDP zusammen mit der SPD, „das wäre früher meine Koalition gewesen“. Ein bürgerlicher Mensch sei er, politisch immer, nie zuvor Mitglieder einer Partei.
Auch er bezeichnet die Außenpolitik als Auslöser für den Sinneswandel im Alter von 74. „Ich bin gegen Waffenlieferungen für Israel“, sagt er. Nicht aus antisemitischen oder -zionistischen Gründen, sondern weil der bisherige Kurs Israel schade. Vor allem aber, „weil es eine einseitige Positionierung zugunsten Israels ist“.
Im Hintergrund war da aber noch etwas anderes: Frust. Er habe sich für Asylbewerber engagiert, sagt Henseler. „Wir haben fast die ganze Arbeit gemacht, die eigentlich staatliche Stellen hätten tun können“, sagt er. Das sei nicht nur nicht auf Wohlwollen gestoßen. „Im Gegenteil, man hat uns Steine in den Weg gelegt“. Lang genug sei er frustriert herumgelaufen. Bis zum BSW. „Und dann kommt so eine Gelegenheit, und man kann wieder aktiv eingreifen.“
Polit-Experte: Entwicklung wie in anderen Ländern
Der Politologe Florian Wenzel aus Halfing ordnet das BSW in den europäischen Trend ein, „mit personalisierten Listen in Wahlen hohe Ergebnisse einzufahren“. In Frankreich habe 2017 Emmanuael Macron mit der Bewegung „En Marche“ die Präsidentschaftswahlen gewonnen in Österreich die „Liste Sebastian Kurz“ 2017 über Prozent erreicht.
Stets hätten sich die Protagonisten darauf konzentriert, sich vom angeblichen Parteiengeklüngel und damit auch „langwierigen und von Kompromissen geprägten Parteiprogrammen“ abzusetzen und sich als Anführer einer „dynamischen, vermeintlich vom einfachen Volk getragenen Bewegung zu inszenieren“. Diese Fixierung auf den direkten Bezug auf einen Menschen sei durch den Begriff „Freundeskreis“ perfekt aufgegriffen. „Man will eben nicht sich in Hierarchie, Machtkämpfe oder auch desillusionierende Komplexitäten einer Organisation begeben“, sagt Wenzel. Im neuen europäischen Parteien-Trend mit dem Versprechen von Abkürzungen, aber auch mit dem Hang zu definieren, was das Volk sei, für das man zu sprechen vorgebe, wittert er Populismus.
Putin-Versteher und Nato-Gegner?
Viele Kritiker halten das BSW auch für die Bewegung der Putin-Versteher. Der erste Referent des BSW-Freundeskreises am Freitag in Prien wird den Verdacht befeuern. Es handelt sich um Florian Pfaff, Ex-Major der Bundeswehr, der vom Offizier zum Militärkritiker wurde.
Nachdem Putin den Krieg gegen die Ukraine entfesselt hatte, bezeichnete er bei einem Ostermarsch die Nato als „Verbrecherbündnis“– und fing sich harsche Kritik ein. Auch bei einigen Freundeskreis-Mitgliedern treffe diese Ansicht auf Widerspruch, sagt Staudt: „Wir müssen darüber debattieren.“ Jedenfalls wolle man sich nicht nur genehme Leute einladen.