Landwirt, Unternehmer und Schülerin stellen Fragen
Blockabfertigung und Bürokratie-Wahnsinn: EU-Kommission beantwortet Fragen aus der Region
Es geht um Frieden, die Blockabfertigung und gleiche Richtlinien für alle. Wenn es um die Europäische Union geht, gibt es viele Themen, die die Menschen aus der Region beschäftigen. Zu sechs Fragen äußerte sich nun exklusiv beim OVB Wolfgang Bücherl von der EU-Kommission.
Rosenheim/Samerberg/Prien – Am kommenden Sonntag, 9. Juni, ist es soweit: Die Europawahl steht an. Dann dürfen die Bürger entscheiden, wer ins Europaparlament einzieht. Besonders wichtig ist den Wählern das Thema Friedenssicherung, wie eine Umfrage der ARD zeigt. Welche EU-Entscheidungen für Bürger wichtig sind, hängt allerdings auch von der Region ab. Daher hat das OVB drei Personen aus der Region die Möglichkeit gegeben, ihre Europa-Fragen an Wolfgang Bücherl, den Leiter der Regionalvertretung für Baden-Württemberg & Bayern bei der EU-Kommission, zu stellen.
Landwirt Peter Weyerer
Was muss in Zukunft passieren, dass in Europa für alle landwirtschaftlichen Betriebe gleiche Richtlinien bezüglich Tierhaltung, Bürokratie und so weiter gelten?
Bücherl: In der Landwirtschaftspolitik gelten Regeln für alle EU-Mitgliedstaaten. Es gibt Verordnungen, die unmittelbar für alle in Kraft treten. Und es gibt die Richtlinien oder die sogenannten Strategiepläne, die nur einen Rahmen setzen. So haben Mitgliedstaaten und in Deutschland auch die Länder eigene Spielräume. Dies ist von den meisten Mitgliedsstaaten so gewollt. Die Antwort ist also: Es bräuchte einen politischen Willen, mehr zentral aus Brüssel zu regeln.
Vergangenen Winter haben fast alle aktiven Landwirte, die auch von der Landwirtschaft leben, ihren Unmut auf den Straßen gezeigt. Warum kam aus Brüssel nicht mehr Unterstützung für die Landwirtschaft? Wir reden immerhin von Lebensmitteln, die die Versorgung der Bevölkerung sichern sollen.
Bücherl: Kaum ein Sektor wird so von der EU unterstützt wie die Landwirtschaft: Ein Drittel des EU-Haushaltes fließt in die Landwirtschaft, jeder Landwirt profitiert davon, vor allem durch Direktzahlungen. Das ist gut so, wir wollen, dass Europas Bauern uns mit Nahrungsmitteln versorgen und angemessene Einkommen haben. Dass an die Vergabe europäischer Steuergelder auch Anforderungen geknüpft sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Wir justieren die Anforderungen immer wieder, kürzlich haben wir bei einigen Umweltregeln Betrieben, auch den kleineren, mehr Flexibilität eingeräumt. Übrigens hatte die Kommission schon im September, also vor den Protesten der Bauern, einen Dialog mit der Landwirtschaft angeregt, den wir im Januar begonnen haben – im Interesse der Bauern, der Verbraucher und der Natur.
Spediteur Georg Dettendorfer
Die EU wird von vielen Unternehmen nur noch als Ursprungsort umständlicher Vorschriften, Berichtspflichten und Vorgaben angesehen. Wer ist für diese Bürokratieflut verantwortlich, und wie kann sie gestoppt werden, insbesondere für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen?
Bücherl: Wir profitieren in Europa vom gemeinsamen Markt, und da gelten gemeinsame Regeln. Jede EU-Regel ersetzt zunächst einmal 27 nationale Regeln. Dabei sind die Anforderungen vielfältig: Klima- und Umweltschutz, Wettbewerbsfähigkeit, Sozialstandards, Innovationsförderung, Grundrechte und so weiter. Es gibt selten einfache Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Und dann setzen die Mitgliedsstaaten zuweilen noch einen drauf. Aber wir sehen auch: In den letzten Jahren sind Belastungen hinzugekommen. Da suchen wir nach Lösungen und reduzieren Berichtspflichten von Unternehmen um 25 Prozent.
In der EU gilt das Prinzip des freien Warenverkehrs. Dazu braucht es auch eine Koordination der entsprechenden Infrastruktur, speziell im Güterverkehr über die Alpen. Die derzeitigen Zustände mit Blockabfertigungen in Tirol und Großbaustellen auf allen Trassen sind auf Dauer nicht tragbar. Wie sehen das Konzept und der Zeitplan der EU aus, die entsprechenden Kapazitäten auszubauen, auf der Straße und auf der Schiene?
Bücherl: Wir haben europaweit die wichtigsten Verkehrsachsen identifiziert. Eine davon führt von Skandinavien nach Italien – mitten durch Ihre Region. Hier wollen wir vor allem mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Dabei ist der Brenner-Basistunnel inklusive der Anbindung im Norden und Süden so wichtig. Die Situation in Tirol ist schwierig, denn Bevölkerung und Umwelt zahlen einen hohen Preis für den vielen Verkehr. Trotzdem gilt europäisches Recht und wir beobachten die Situation in allen betroffenen Mitgliedsstaaten genau.
Schülerin Sophia Fritz
Die EU wird oft als „Friedensprojekt“ bezeichnet, was darauf hinweist, dass sie ein wachsendes und noch nicht abgeschlossenes Vorhaben ist. Eines ihrer Ziele ist die Integration potenzieller Mitgliedsstaaten und die Verbreitung europäischer Werte, wie zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit. Wie könnte ein zukünftiges, vollendetes Europa aussehen? Wie könnte die EU sich dann definieren, und welche geografischen Grenzen wären ihr gesetzt?
Bücherl: Die EU ist ein Friedensprojekt, weil zwischen ihren Mitgliedsstaaten seit fast 80 Jahren kein Krieg geführt wird – anders als davor. Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen! Jeder europäische Staat, der sich zu unseren Werten bekennt, kann Mitglied der EU werden. Es gibt klare Anforderungen an Standards für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung. Aber wahr ist auch: Unser gemeinsames Verständnis dieser Werte entwickelt sich weiter und manchmal auch auseinander. Wir haben das am Beispiel Rechtsstaatlichkeit in den letzten Jahren schmerzhaft feststellen müssen. Und letztlich liegt es in der Hand der Bürgerinnen und Bürger, wie die EU der Zukunft aussehen soll – darüber entscheiden sie unter anderem bei der Europawahl am 9. Juni.
Was Europa bedeutet, wird von vielen Menschen unterschiedlich gesehen. Kontinentales Europa, die EU, der ESC und die Champions League – sie alle umfassen verschiedene Länder. Was bedeutet Europa für Sie persönlich? Sind es die gemeinsamen Werte, die gefühlte Nähe oder die geografische Zugehörigkeit?
Bücherl: Ich habe als Jugendlicher ein geteiltes Deutschland und ein geteiltes Europa erlebt, und dann als junger Mann den Aufbruch, der zur großen EU-Erweiterung geführt hat, deren 20. Jahrestag wir am 1. Mai gefeiert haben. Europa bedeutet für mich vor allem Freiheit, Entwicklung und Solidarität. Gemeinsam schaffen wir mehr als allein – angesichts immer mehr Herausforderungen, denen wir allein nicht gewachsen sind.


