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Suizid verhindern

„Zu viele Krisen auf einmal“: Prof. Dr. Menke über Depressionen - und was man dagegen tun kann

Depressionen sind behandelbar. Prof. Dr. Andreas Menke, Ärztlicher Direktor und Chefarzt im Medical Park Chiemseeblick in Bernau will mit seinem neuen Buch die Krankheit entstigmatisieren und gibt Tipps für Betroffene.
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Depressionen sind behandelbar. Prof. Dr. Andreas Menke, Ärztlicher Direktor und Chefarzt im Medical Park Chiemseeblick in Bernau, will mit seinem neuen Buch die Krankheit entstigmatisieren und gibt Tipps für Betroffene.

Prof. Dr. Andreas Menke setzt sich für die Aufklärung über Depressionen ein. Er betont die anhaltende Stigmatisierung und die Schwierigkeit, sich in Behandlung zu begeben. Sein neues Buch „Depressionen - Wissen , was hilft“ soll dabei helfen, das Bewusstsein zu schärfen.

Bernau – Konzentrationsstörungen, Schwierigkeiten beim Schlafen, Antriebslosigkeit. Eine Depression kommt meist schleichend und unerkannt. In der Gesellschaft ist die Krankheit noch oft mit einem Stigma behaftet, über das man nicht gerne redet. Prof. Dr. Andreas Menke, Ärztlicher Direktor und Chefarzt in der Klinik Medical Park Chiemseeblick, setzt sich schon seit längerem für eine bessere Akzeptanz im Bereich psychischer Gesundheit ein.
In seinem neuen Buch widmet er sich dem Thema, das Millionen Menschen betrifft. Im Interview spricht er über die Herausforderungen, mit denen Betroffene und ihre Angehörigen zu kämpfen haben, die oft versteckten Symptome und die gesellschaftlichen Vorurteile, die den Umgang mit der Krankheit erschweren. Gleichzeitig gibt Menke wertvolle Einblicke in aktuelle Therapien und erklärt, warum gerade jetzt ein Umdenken in der Gesellschaft so wichtig ist.

Herr Prof. Dr. Menke, was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über Depressionen zu schreiben?

Prof. Dr. Andreas Menke: Mir ist die Aufklärung über Depressionen und die Sensibilisierung sehr wichtig, weil ich stelle immer wieder fest, dass in der Gesellschaft viele nicht wissen, was eine Depression ist und sich das nicht vorstellen können. Dazu kommt die anhaltende Stigmatisierung. Die Stigmatisierung hat in den letzten Jahren zwar schon deutlich abgenommen, ist aber nach wie vor vorhanden. Wenn in Ihrem Freundes-, Bekannten- oder Familienkreis jemand einen Herzinfarkt hatte oder unter Diabetes leidet, wird das bereitwillig kundgetan. Aber wenn man unter einer Depression leidet oder sogar in der Klinik war, überlegt man sich das zwei-, dreimal, ob man es jemandem erzählen möchte. Und das reflektiert einfach, dass es keine Normalität dafür gibt, über psychische Erkrankungen zu sprechen. Und das macht natürlich auch die Behandlung schwierig, weil wenn ich mir zweimal überlege, ob ich jemandem davon erzähle, dann gibt es automatisch auch eine Hürde, sich in Behandlung zu begeben. Ohne wirksame Behandlung folgt das Risiko, dass sich die Erkrankung weiter verschlechtert oder auch chronifiziert oder bis zum schlimmen möglichen Ende kommt, nämlich zum Suizid. 

Kommt es denn oft zu diesem drastischen letzten Schritt?

Menke: Das ist der nächste Punkt, weshalb ich mein Buch geschrieben habe. Unsere Suizidrate ist in Deutschland ja deutlich gesunken. Zumindest die letzten 30, 40 Jahre, bis sie zuletzt aber wieder deutlich gestiegen ist, nämlich um fast 10 Prozent. Und das ist eine deutliche Zunahme. Und vor dem Hintergrund des kontinuierlichen Abfalles der letzten Jahre ist es das wirklich wert, dass man sich dem Thema nochmal widmet. In dem Fall denke ich, es kann gar nicht genug Bücher geben, weil es immer noch so viel Unwissen gibt und immer noch die Stigmatisierung und eine relevante Suizidrate von über 10.000 Menschen in Deutschland im Jahr. 

„Es sind einfach zu viele Krisen auf einmal“

Worauf führen Sie zurück, dass die Suizidrate wieder gestiegen ist? 

Menke: Ja, das ist eine gute Frage. Das kann man nicht so einfach beantworten. Wir hatten ja die Corona-Krise, die hat sicherlich die psychische Gesundheit von einigen verschlechtert und auch zum Anstieg von Depressionen geführt. Und danach gab es eben keine Erholungsphase, die wir vielleicht dringend gebraucht hätten, sondern es kam der Ukraine-Krieg, es gab die Energiekrise und wir haben den Klimawandel. Zuletzt kommen nun noch aktuell die politischen Veränderungen in unserer Regierung und der Regierung in den USA hinzu. Das sind jetzt einfach zu viele Krisen auf einmal, was viele belastet. 

Sie sprechen davon, dass wir in einem „Zeitalter grassierender Depression“ leben. Sind das dann diese gesellschaftlichen Faktoren, die Sie gerade angesprochen haben, die mit reinspielen können? 

Menke: Ja, genau. Und wir haben natürlich die üblichen Faktoren mit chronischem Stress auf der Arbeit, die chronischen Partnerschaftskonflikte oder die soziale Isolation auf der anderen Seite, die auch chronischen Stress bedeuten und dann eine Depression auslösen können. 

Was sind denn so die klassischen ersten Anzeichen, vielleicht auch für Freunde oder Angehörige, an denen man eine Depression erkennen kann?

Menke: Es fängt häufig mit Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen an. Man kann sich nicht mehr richtig konzentrieren, Dinge nicht mehr verstehen. Man kann sich nicht mehr richtig Dinge merken, man macht mehr Fehler auf der Arbeit, man hat nicht mehr so viel Antrieb, Kraft oder viel Energie. Man kann nicht mehr einschlafen, nicht mehr durchschlafen, man wacht vielleicht in der Früh auf, kann nicht mehr weiterschlafen, bis sich dann das Komplettbild entwickelt, also mit niedergedrückter Stimmung oder auch Gefühllosigkeit. Aber manche müssen auch gar nicht traurig sein, sondern manche sind eher gefühllos oder haben so einen gesteigerten Antrieb, so eine innere Unruhe, so eine Anspannung, so eine innere Getriebenheit. Dies ist eine agitierte Depression, sie wird leider häufig nicht gleich erkannt. Also auch die Betroffenen selbst erkennen es nicht als Depression und das macht die ganze Sache nochmal komplizierter. Zudem kann sich der Appetit verändern und das Schlafverhalten, es können Schuldgefühle auftreten, der Selbstwert ist niedrig. Zuletzt können auch Gedanken an den Tod und Suizidgedanken auftreten, und dann kann es zu Suizidversuchen bis hin zum Suizid kommen. 

Gute Behandlungsmöglichkeiten gegen Depression

Jetzt geben Sie in Ihrem neuen Buch einen Überblick über bewährte Therapien, als auch ein paar neue Therapieformen, die gerade entstehen. Was ist denn aus Ihrer Sicht der vielversprechendste Ansatz? 

Menke: Eine Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva. Da haben Sie die bestmögliche Wirkung. Zumindest bei einer schweren depressiven Episode sieht dies auch die Leitlinie so vor. Darüber hinaus können Sie den Therapieerfolg mit weiteren Maßnahmen verbessern. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass zum einen das Risiko sinkt, an einer Depression zu erkranken oder dass die Depression schneller behandelbar ist, durch einen gesünderen Lebensstil. Diese Bestandteile des Lebensstils sind Sport, Ernährung und soziale Kontakte. Das heißt, Sport treiben, viel Bewegung machen, mindestens 150 Minuten in der Woche. Für die Ernährung gibt es belastbare Studien, die eine Ernährung mit nicht industriell prozessiertem Essen und wenig Zucker empfehlen. Für die mediterrane Ernährung gibt es mit die meisten Daten, aber auch andere Formen sind denkbar, sofern diese Faktoren berücksichtigt werden. Aber auch Freunde treffen, soziale Interaktionen haben, Kontakte haben ist wichtig für eine gute psychische Gesundheit.

Wenn Sie gerade Antidepressiva ansprechen. Das ist ja für viele auch so ein kleines rotes Tuch. Aber das funktioniert wirklich, oder?

Menke: Genau, das ist eine ganz wichtige und wirksame Therapie. Deshalb war mir das auch wichtig, in dem Buch nochmal darzustellen, welche Möglichkeiten es gibt. Wichtig ist, dass jeder weiß, dass Antidepressiva nicht abhängig machen, mich auch nicht in der Persönlichkeit verändern. Also ganz im Gegenteil, die Antidepressiva stellen eher die ursprüngliche Persönlichkeit wieder her, die von der Depression verändert wurde. Antidepressiva haben auch nicht mehr oder weniger Nebenwirkungen als andere Medikamente. 

Aber immer in Verbindung mit Therapie? 

Menke: Theoretisch geht auch eine Medikation ohne Therapie, also ohne Psychotherapie, aber die bestmögliche Therapie ist natürlich die Kombinationsbehandlung mit Psychotherapie und Medikamenten. Aber manchmal reicht auch einfach die Psychotherapie, also man muss nicht immer ein Medikament einsetzen. Das eine geht auch ohne das andere, grundsätzlich bestimmt der Schweregrad der Erkrankung die Therapie.

Lange Wartelisten bei Psychotherapeuten

Oft ist es nicht einfach, einen Therapieplatz zu bekommen. Was würden Sie den Menschen empfehlen, die dringend einen suchen?

Menke: Es gibt da verschiedene Möglichkeiten. Zum einen kann man als Erstanlaufstelle den Hausarzt besuchen. Der kennt in der Regel auch Psychiater und Psychotherapeuten, mit denen er zusammenarbeitet. Man kann sich natürlich auch gleich an einen Psychiater oder Psychotherapeuten wenden, anrufen und versuchen, ein Probegespräch zu bekommen. Wenn das schwierig ist, da viele Therapeuten übervoll sind und lange Wartelisten haben oder niemanden mehr auf die Warteliste nehmen, gibt es die psychotherapeutischen Ausbildungsambulanzen in den großen Städten. Da kann man es auch versuchen, weil die häufig mehr Plätze zur Verfügung haben. Und wenn das alles nicht geht, kann der Hausarzt zum Beispiel auch eine DIGA verschreiben, also eine Digitale Gesundheitsanwendung. Da gibt es mittlerweile auch sehr gute Optionen, die gegen Depressionen eingesetzt werden. 

Gäbe es sonst noch Möglichkeiten?

Menke: Selbsthilfegruppen sind auch ein ganz wichtiger Punkt. Da haben Sie dann eine Community und da kriegen Sie ein ganz anderes Verständnis, als Sie von Experten erhalten. Hier können Sie Kontakte knüpfen, erfahren, dass Sie nicht der einzige sind, erfahren unter welchen Beschwerden andere leiden und wie sie damit umgehen. Das kann man nur empfehlen. Und in dem Rahmen haben wir auch unser Chiemseer Bündnis gegen Depression gegründet, um aufzuklären, über Depressionen zu sensibilisieren und zu entstigmatisieren. 

Was würden Sie sich denn generell von der Gesellschaft wünschen, dass man mit dem Thema Depressionen besser umgeht? 

Menke: Ich würde mir wünschen, dass es präsenter wird, dass es wirklich als ganz normale medizinische Erkrankung gesehen wird, die man diagnostizieren, behandeln und dann auch wieder gut sein kann. Einfach eine medizinische Erkrankung, nicht mehr und nicht weniger. Und dass man das ganz nüchtern sieht und den Betroffenen bestmögliche Hilfe anbietet. Dass man auch die Angehörigen mit ins Boot nimmt, weil da gibt es auch viele Unsicherheiten und manchmal auch Unverständnis. Man hört häufig von Betroffenen: „Mensch, reiß dich doch mal zusammen.“ Oder: „So schlimm ist es doch nicht.“ Oder: „Schau dich doch mal an, du hast doch alles, wieso bist du traurig?“ Es ist natürlich für Angehörige nicht leicht zu verstehen. Und da bräuchte es einfach mehr Aufklärung, mehr Sensibilisierung und mehr Verständnis.

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