Gegen trübsinnige Gedanken
Was tun bei Winter-Blues und Frühjahrs-Depression? Experten-Tipps für die seelische Gesundheit
Im langen Winter kommen viele Menschen ins Grübeln. Die grauen, kalten Tage machen ihnen zu schaffen und können sogar Depressionen hervorrufen. Prof. Dr. Andreas Menke, ärztlicher Direktor und Chefarzt des Medical Park Chiemseeblick, gibt Tipps, was sich dagegen tun lässt.
Bernau-Felden – Draußen ist es trüb und grau, die Temperaturen liegen unter dem Nullpunkt. Vielen macht dieses Wetter und der Mangel an Sonnenschein seelisch schwer zu schaffen. Daraus können mitunter depressive Erkrankungen entstehen. Mit ein paar Tipps kann dem aber entgegengewirkt werden. Prof. Dr. Andreas Menke ist der ärztliche Direktor und Chefarzt des Medical Park Chiemseeblick und weiß um Vorsorge und Behandlung von Depressionen.
Herr Professor Menke, Winterblues, Winterdepressionen, Frühjahrsdepressionen, die aktuelle Zeit nimmt viele Menschen seelisch stark in Anspruch. Worauf würden Sie das zurückführen?
Prof. Dr. Andreas Menke: Wir sehen immer wieder Menschen, denen es im Herbst, Winter deutlich schlechter geht. Es wird dunkler, es wird kälter und dann entwickeln sich diese depressiven Beschwerden. Wir sagen dazu saisonal affektive Erkrankung. Die ist vom Schweregrad etwas weniger ausgeprägt als so eine klassische Depression. Von der Symptomatik her ist sie auch ein bisschen anders.
Wo ist der Unterschied zwischen diesen beiden Depressionsarten?
Prof. Menke: Während Sie beim Klassiker der melancholischen Depression zum Beispiel die Patienten haben, die nicht mehr schlafen, nicht mehr essen und Gewicht verlieren, haben Sie dann eher die Symptomatik, dass die Patienten mehr Hunger haben, mehr essen, auch Gewicht zunehmen, dass die auch mehr schlafen und die ganze Zeit müde sind.
Was kann man denn dagegen tun?
Prof. Menke: Tatsächlich könnte man diesen Winterblues eigentlich ganz gut aus dem Weg gehen, wenn man jetzt sich ein Ferienhaus auf Mallorca kauft. Meistens wird das aber nicht von den Kassen erstattet. Aber es gibt gute andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine Tageslichtlampe, von der man sich dann morgens eine halbe Stunde hinsetzt.
Kann es so einfach sein?
Prof. Menke: Ja, das ist eine wichtige Behandlungsmöglichkeit. Wenn ich jetzt schon weiß, dass ich jeden Herbst da wieder reinrutsche, wäre das vielleicht eine Idee, das präventiv auch schon zu machen. Also, dass ich mich jeden Morgen vor so eine helle Lampe eine halbe Stunde hinsetze, bevor ich dann meinen Tag starte.
Also sind diese ganzen saisonalen Depressionen wirklich darauf zurückzuführen, dass einfach die Sonne nicht so scheint?
Prof. Menke: Genau, das ist ein Lichtdefizit. Das ist ja das Saisonale an der Erkrankung. Aber natürlich habe ich auch andere Depressionsformen, die im Herbst, Winter auftreten können. Es ist nicht immer eine saisonale Störung, wenn es im Herbst, Winter auftritt.
Was wären denn Beispiele für andere Depressionen?
Prof. Menke: Depression ist nicht gleich Depression. Natürlich gibt es Unterschiede im Schweregrad. Es gibt leicht, mittel, mäßig und schwer. Aber es gibt auch Unterschiede im Subtyp. Die meisten werden denken, na ja, wenn ich depressiv bin, dann weine ich die ganze Zeit, dann sitze ich zu Hause, schaue die Wand an und habe keinen Antrieb mehr und es ist nichts mehr los. Kann nicht schlafen, kann nicht essen. Das ist so meistens beim Klassiker, der melancholischen Depression. Es gibt dann aber noch andere Subtypen. Zum Beispiel eine agitierte Depression. Das sind diejenigen, die eher sehr unruhig sind, sehr angespannt sind, sehr hektisch getrieben sind. Manche jammern da auch ein bisschen mehr. Deshalb sagen manche despektierlich Jammerdepressionen dazu, was aber kein schöner Ausdruck ist.
Aber es gibt noch weitere Arten der Depression?
Prof. Menke: Dann gibt es eine atypische Depression. Das ist so ähnlich wie die saisonale affektive Störung. Das sind die Patienten, die dann auch zu viel essen, zu viel schlafen und dann auch Gewicht zunehmen. Es gibt die psychotische Depression. Psychotisch heißt in dem Sinne, dass neben der klassisch depressiven Symptomatik auch zum Beispiel Wahninhalte auftreten. Ein Wahn ist eine unrealistische Vorstellung von etwas, das ich nicht korrigieren kann. Zum Beispiel, wenn Sie jetzt denken, morgen reicht das Geld nicht mehr, das wird alles nicht mehr klappen und ich werde verarmen und ich kann mir nichts mehr zu essen kaufen und dabei sieht Ihr Kontostand super aus und selbst wenn man Ihnen den Kontostand vorlegt, glauben Sie es nicht, dann wäre das so ein Verarmungswahn. Oder ein Schuldwahn, dass Sie glauben, Sie haben irgendwas falsch gemacht und jetzt haben Sie sich versündigt und jetzt wird irgendwas Schlimmes passieren und Sie sind schuld. Das sind so klassische Inhalte von einem depressiven Wahn.
Was kann man denn generell tun, wenn man das merkt, man kommt irgendwie in depressive Gedanken? Kann man das aus eigenem Antrieb heraus überhaupt lösen oder ist da wirklich eine Therapie notwendig?
Prof. Menke: Es kommt natürlich auf den Schweregrad an. Wenn das erst milder anfängt, kann man natürlich ganz viel machen. Zum Beispiel mit Achtsamkeitsverfahren, Entspannungsverfahren können Sie natürlich akuten Stress reduzieren. Sie können Sport machen. Damit bewegen Sie auch eine ganze Menge. Also, nicht nur sich selbst, sondern auch tatsächlich im Rahmen des Krankheitsgeschehens. Sie könnten eine gesunde Ernährung machen und sich zum Beispiel mediterran ernähren.
Ist mediterranes Essen also gut für Körper und Geist?
Prof. Menke: Da gibt es sehr schöne Studien. Da haben Sie beispielsweise depressive Patienten, die bekommen ein Antidepressivum. Und dann werden die aufgeteilt in eine Gruppe mit mediterraner Ernährung und Omega-3-Fettsäuren. Und eine andere Gruppe, die dann nur eine soziale Unterstützung erhält. Die Patienten mit der mediterranen Ernährung und den Omega-3-Fettsäuren werden schneller wieder gesund. So ähnlich gibt es das auch mit dem Sport. Da haben Sie wieder depressive Patienten plus Antidepressivum. Die teilen Sie auf in zwei Gruppen, also randomisiert kontrolliert. Und dann erhält die eine Gruppe Sport und die andere auch nur soziale Unterstützung. Die Studienteilnehmer mit Sport werden schneller wieder gesund als die ohne Sport. Also das sind sehr, sehr gute Datenlagen für diese Interventionen. Und wenn man dann sieht, na ja, damit komme ich jetzt aber doch nicht weiter, dann braucht man unbedingt Unterstützung. Zum Beispiel Psychotherapie und oder auch ein Antidepressivum.
An wen würde ich mich da wenden? An den Hausarzt erstmal?
Prof. Menke: Genau, Hausärzte sind schon mal die erste Anlaufstelle. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zum Beispiel wäre eine andere gute Anlaufstelle. Psychiaterinnen und Psychiater sind auch eine sehr, sehr gute Anlaufstelle. Gerade, wenn es darum geht, eine antidepressive Medikation zu starten. Wichtig zu wissen ist, dass ein Antidepressivum mich nicht abhängig macht. Es gibt auch keine Toleranzentwicklung, sodass ich immer mehr nehmen müsste. Ein Antidepressivum hat auch nicht mehr oder weniger Nebenwirkungen als andere Medikamente. Es verändert mich auch nicht in der Persönlichkeit. Das sind so die Sachen, die man unbedingt wissen muss für eine antidepressive Medikation.
Wenn jetzt hier ein neuer Patient zu Ihnen ins Haus kommt, wie sieht denn da die typische Behandlung aus? Oder wie wird eingestuft, wie stark die Depression des Patienten ist?
Prof. Menke: Er wird aufgenommen von der Psychologin, Psychologen, von Oberärztin, Oberarzt, auch gegebenenfalls vom Chefarzt, je nachdem. Wir untersuchen den Patienten oder die Patientin und stellen die Diagnose. Anhand der Diagnose machen wir dann eine Therapieempfehlung. Das beinhaltet die psychotherapeutische Empfehlung, ob wir ein Medikament geben würden oder nicht.
Wie geht es dann weiter?
Prof. Menke: Es gibt natürlich weitere Bausteine im Behandlungsplan, wie zum Beispiel die schon erwähnten Entspannungs- und Achtsamkeitsverfahren. Wir machen Kreativtherapien mit ihm, also Tanz, Musik oder Kunst. Da können Sie so richtig emotionsbasiert arbeiten, während die Psychotherapie ja schon so ein bisschen distanziert ist und so eine Art Interviewsituation darstellt. Aber bei den Kreativverfahren, Tanz, Musik und Kunst wird direkt mit den Gefühlen gearbeitet. Wir haben Sportgruppen, wir haben auch eine Lego-Gruppe. Das ist ein achtsames Bauen, mit Entspannungs- und auch sozialen Interaktionselementen. Ab dem Frühjahr haben wir auch wieder Waldbaden und therapeutisches Segeln.
Was würden Sie denn Leuten empfehlen, um gar nicht erst in eine Depression zu fallen?
Prof. Menke: Ein gesundes Leben, gut schlafen, also ausreichend schlafen. Das ist nämlich schon mal so ein Knackpunkt, dass viele zu wenig schlafen. Also ausreichend schlafen, sich gesund ernähren, ausreichend Sport machen, sich mit netten Leuten umgeben, schauen, dass man einen guten Job hat. Wir alle haben akute Stressoren. Das ist ganz normal und das ist auch gar nicht schlimm. Akuten Stress, den können wir gut überstehen. Wichtig ist nur chronisch toxische Stressoren zu vermeiden. Die sind ja klassischerweise in der Beziehung oder auf der Arbeit. Das heißt, wenn ich da etwas habe, dann muss ich einen Weg finden, damit umzugehen, dass es mir nichts schadet, weil die eigene Einstellung ist extrem wichtig, auch für die psychische Resilienz.
Das Thema Depressionen ist ja an sich noch mit so einer Art Stigma in der Bevölkerung behaftet. Psychische Erkrankungen sind immer so ein Tabuthema. Was kann man denn generell tun, um das wirklich als die Krankheit in der Bevölkerung ankommen zu lassen, die sie ist?
Prof. Menke: Da kann man eigentlich nur Aufklärungsarbeit machen. Wir haben genau zu diesem Zweck hier das Chiemseer Bündnis gegen Depressionen gegründet. Wir möchten aufklären, sensibilisieren und auch entstigmatisieren. Wir möchten die Bevölkerung informieren, dass das eine ganz normale medizinische Erkrankung ist. Die kann ich diagnostizieren, behandeln und dann ist es auch wieder gut. Da kommt auch der Heilungsaspekt zum Tragen. Viele denken ja, sowas kann man nicht heilen, sowas hat man und dann geht es nicht wieder weg. Aber das stimmt gar nicht. Das ist so, man darf den Heilungsbegriff jetzt nicht nur den Chirurgen überlassen, die sagen, ja der Patient ist geheilt, wenn er nicht mehr blutet, sondern das ist auch in unserem Fach möglich. Es gibt natürlich auch chronifizierte Verläufe, aber auch die sind behandelbar.