Welche „Dynamik“ die Initiativen beobachten
Nach Protesten im ganzen Land: Steht auch das Mangfalltal gegen Rechts auf?
Am Wochenende (20./21. Januar) gingen tausende Menschen gegen rechtes Gedankengut auf die Straße. Mancherorts ist von einem regelrechten „Erwachen“ die Rede. Macht sich das auch im Mangfalltal bemerkbar?
Bad Aibling – Bayernweit sind am vergangenen Wochenende tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Auch in Rosenheim beteiligten sich hunderte Menschen an der Kundgebung im Salingarten. Durch die bundesweit starke Beteiligung an den Demonstrationen sprachen Experten gar von einer bemerkenswerten Dynamik. Doch macht sich diese auch im Mangfalltal bemerkbar?
Zwar fanden im Mangfalltal selbst in den vergangenen Tagen keine Veranstaltungen dieser Art statt. Doch auch hier komme langsam etwas in Bewegung, sagt Claudia Hinterecker. Die Bad Aiblinger Schauspielerin, die mit dem Verein „Raum & Zeit“ und anderen Organisationen im vergangenen Jahr federführend das „Wir sind lauter“-Festival veranstaltet hatte, sagt zu den jüngsten Entwicklungen: „Ich habe grundsätzlich schon das Gefühl, dass sich jetzt etwas tut.“
„Wir haben alle eine Verpflichtung“
Überlegungen, in etwa Bad Aibling eine entsprechende Veranstaltung oder Demonstration auf die Beine zu stellen, gebe es bereits. „Wir alle haben jetzt einfach die Verpflichtung, auf die Straße zu gehen“, sagt Hinterecker, die selbst bei der Großdemonstration gegen Rechts in München dabei war. Alle Menschen in ihrem Freundeskreis verfolgten hierbei ähnliche Ziele. Die Schauspielerin gibt jedoch zu bedenken: „Natürlich lebt aber jeder in seiner Blase und dass es viele andere Menschen gibt, die anders eingestellt sind, ist auch klar.“
Und auch wenn sich die Menschen in Bad Aibling, Kolbermoor und der ganzen Umgebung noch stärker mobilisieren könnten, stellt Hinterecker fest: „Gerade die Leute, die sonst vielleicht lieber auf der Couch geblieben sind, auch wenn ihnen die Demokratie immer am Herzen lag, gehen jetzt auch auf Demos.“
Durukan erkennt einen Aha-Effekt
Eine ähnliche Beobachtung macht Irene Durukan, Vorsitzende des Vereins „Mut & Courage“. Die Beteiligung an den Demonstrationen mache „ganz viel Hoffnung; was wir am Wochenende erlebt haben, war unglaublich“. Durukan spricht von einem regelrechten Erwachen bei zahlreichen Menschen. Die Enthüllungen von „Correctiv“ hätten für einen Aha-Effekt gesorgt.
Dennoch macht die Vorsitzende deutlich: „Die Beteiligung könnte hier natürlich noch viel größer sein.“ Ihren Einschätzungen zufolge gebe es noch immer eine eher „schweigende Mehrheit“. Auch deshalb müsste dringend ein Ruck durch die Gesellschaft gehen. Hierfür wünscht sich Durukan auch eine klarere Haltung seitens der jeweiligen Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Dass gewisse Zeichen aber schon jetzt gesetzt werden, stimmt Durukan hoffnungsvoll. Hierfür nennt sie beispielsweise die Max-Mannheimer-Kulturtage, die Ende Januar in Bad Aibling stattfinden.
Wunsch nach mehr Mobilisierung in der Region
Deren Veranstalter, Schauspieler und Regisseur Michael Stacheder, beteiligt sich ohnehin aktiv an Demonstrationen und war auch bei der Rosenheimer Kundgebung am Wochenende als Redner anwesend. „Ich komme schon ins Grübeln“, sagt Stacheder angesprochen auf die Mobilisierung in der Region gegen rechtes Gedankengut. Unabhängig vom „starken Moment“ im Rosenheimer Salingarten müsste es, im Vergleich zu anderen Gegenden, hier im Landkreis viel mehr Proteste geben.
„Ich bin aber trotzdem froh, dass endlich etwas in Gang gesetzt wurde“, sagt Stacheder. Denn: Auch wenn es nicht direkt vergleichbar sei, griffen derzeit Mechanismen, die erschreckende Ähnlichkeiten mit der Zeit des Nationalsozialismus aufweisen. „Deshalb brauchen wir jetzt alle einen langen Atem.“ Ein paar Demonstrationen alleine reichten hierbei nicht aus. „Wir stehen im Jahr 2024 an einer Kreuzung, an der sich entscheidet, wo es nun hingeht“, betont der Regisseur.
Deshalb müsse der jetzt angestoßene Diskurs in alle Parlamente getragen werden. Auch hier müsse in den Rathäusern etwas passieren. „Ich sage immer: schreibt eure Bürgermeister, eure Stadträte an.“ Alle, auch die Medien, seien nun gefragt. Denn die „Ausrede“, neutral bleiben zu wollen, gelte beim Thema Rechtsextremismus einfach nicht mehr, so Stacheder. Die Dynamik, dass plötzlich viele Menschen auf die Straße gehen, begründet er auch mit der Angst vieler Menschen, die erst jetzt aufgerüttelt wurden, die womöglich erst jetzt erkennen, was auf dem Spiel stehe.
Die Haltung „Nie wieder“ ist bei vielen Deutschen tief verankert
Eine besondere Dynamik in der demonstrierenden Gesellschaft hat der Bad Feilnbacher Dr. Axel Koch beobachtet. Der Psychologe, unter anderem Professor an der Hochschule in Ismaning, beschäftigt sich in Coachings mit den Verhaltensweisen von Menschen. „Aus psychologischer Sicht kann man sich das so erklären, dass bei vielen Menschen jetzt ein gewisser Kernwert berührt wurde“, sagt Koch.
Menschen hätten bestimmte Werte. Historisch betrachtet sei bei vielen Deutschen die Haltung „das darf nie wieder passieren“ tief verankert. „Offensichtlich ist es gelungen, gerade über die sozialen Netzwerke, in den vergangenen Tagen viele Menschen zu erreichen, deren Kernwerte zu berühren“, erklärt der Psychologe. Hier sei von einer „sozialpsychologischen Massendynamik“ die Rede. Hinzu komme, dass in den Augen vieler nun ein Punkt erreicht sei, an dem eine spürbare Bedrohungslage, etwa durch das enorme Erstarken rechtsextremer Strömungen, immer mehr zunehme.