„Können uns das nicht mehr leisten“
Warum die Zukunft der Jennerbahn nicht mehr im alpinen Skifahren liegt
Von „Alles so wie immer” bis hin zu „Es gibt kein Skifahren mehr” und „Die Jennerbahn schließt”: Die Gerüchteküche brodelte, als die Berchtesgadener Bergbahn AG Veränderungen für die Wintersaison 23/24 ankündigte. Doch „wie schlimm” wird es wirklich? Thomas Mühlthaler und Isabel Stöckl klären auf.
Schönau am Königssee - Als im April die Jennerbahn den eingeschränkten Skibetrieb verkündete, war die Angst um die Zukunft des Betriebes am Schönauer Hausbergs groß. Es folgte ein regelrechter Aufschrei unter Hotelbetreibern und Politikern. Die Entscheidung der Gemeinde, 300.000 Euro zu investieren, sorgte ebenfalls für Diskussionen und Reaktionen. Deutlich fiel zum Beispiel die Kritik vom Bund Naturschutz am finanziellen Engagement aus. Im Interview sprechen Geschäftsführer Thomas Mühlthaler und Isabel Stöckl (PR und Öffentlichkeitsarbeit) über die Hintergründe zur Entscheidung, das Angebot an der Jennerbahn zu verändern. Denn: Skifahren wird auch weiterhin möglich sein, nur eben anders.
„Am Jenner wird auch noch in 50 Jahren Ski gefahren, davon bin ich überzeugt“, betont Mühlthaler. Vielmehr wird es im Jubiläumsjahr, das am 19. Dezember mit einem Gala-Abend gefeiert wird, ein Schritt in Richtung naturnahes Skifahren: Zwischen der Berg- und der Mittelstation werden die Pisten nicht mehr präpariert und beschneit. Dieser Bereich wird zum reinen Freeride-Gebiet, wenn auch mit einer groben Streckenführung und abhängig von der Schneelage. Ganz anders die Pisten zwischen Mittel- und Talstation: Hier können sich Skifahrer wie in der Vergangenheit auf präparierten und beschneiten Flächen austoben.
„70 Prozent unserer Gäste sind Fußgänger“
Isbabel Stäckl erklärt: „Das alpine Skifahren hat sich verändert. Die Menschen sind die breiten, flachen Pisten mit vielen Pistenkilometern gewohnt, die es in den großen Skigebieten gibt. Der Jenner ist ein anspruchsvoller, enger und steiler Berg. Mit den heutigen Carving-Skiern, die viel Schwung benötigen, wird es hier schwierig.“ Hinzu kommt eine deutlich veränderte Nachfrage: Meistens sind es die Einheimischen, die auf den Jenner zum Skifahren wollen, und weniger die Touristen. „70 Prozent unserer Gäste sind Fußgänger, die einfach hoch auf den Berg wollen, um die Aussicht zu genießen und etwas zu essen“, so Stöckl. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach dem alpinen Skifahren, während Rodeln oder Schneeschuhwanderungen immer beliebter werden. „Wir haben das Gefühl bekommen, dass wir uns breiter aufstellen müssen und nicht mehr so sehr auf das alpine Skifahren fokussieren dürfen.“
- Neue Tickets
- Änderungen gibt es auch bei den Tickets: Mit der neuen Tageskarte für 25 Euro gibt es Schneespaß beim Skifahren und beim Rodeln zwischen Tal- und Mittelstation. Darunter fällt das Kinderland mit Anfängerschlepplift an der Talstation, die einfache Übungspiste an der Mittelstation sowie die drei Kilometer lange Abfahrt von der Mittelstation bis ins Tal. Im 25-Euro Ticket ist die ganztägige Nutzung der Natur-Rodelbahn „Jennerhex“ mit Sessellift an der Mittelstation sowie die unbegrenzte Seilbahnfahrt zwischen Tal- und Mittelstation inkludiert. Familien, Kinder und Jugendliche erhalten ermäßigte Preise.
- Der obere Bereich zwischen Mittel- und Bergstation ist Tourengehern und Freeridern bei ausreichender Schneelage vorbehalten, hier werden keine Pisten beschneit oder präpariert. Eine Skiroute wird gekennzeichnet, die Nutzung des gesamten Geländes vom Berg bis ins Tal ist mit dem Wintersportticket für 42 Euro möglich. Nur 38 Euro kostet das Ticket im Webshop sowie für Einheimische und Inhaber einer Gästekarte. Die Öffnungszeiten der präparierten Pisten und der Skiroute im freien Gelände werden auf www.jennerbahn.de bekannt gegeben. Dort finden sich auch weitere Preisdetails.
Wie sehr der Faktor Wirtschaftlichkeit eine Rolle spielt, verdeutlicht Geschäftsführer Mühlthaler anhand von mehreren Beispielen. Etwas plakativ, aber durchaus die Probleme verdeutlichend, wirkte das Frühjahr 2023. „Wir wollten letztes Jahr eigentlich bis Ostermontag einen Skibetrieb anbieten. Wir hatten dann Mitte März beste Bedingungen, so gut wie den ganzen Winter nicht. Und am 25. März, Samstag, schönstes Wetter, hatten wir circa 1000 Tourengeher und nur fünf Alpinskifahrer. Und am Sonntag, für den es zuerst eine schlechte Vorhersage gab und das Wetter dann doch noch schön wurde, war es ähnlich: 500 Tourengeher und eine einzige Skifahrerin. Da muss man auch ehrlich sagen: Aus, Schluss, dann habe ich geschlossen. Das geht so nicht“, verdeutlicht der Chef der Jennerbahn.
Kostenexplosionen machen auch vor der Jennerbahn keinen Halt
Einen größeren Schwung an Alpinskifahrern verzeichne man vom 26. Dezember bis 3. Januar und dann nochmal für drei, vier Wochen im Februar. „Das war‘s. Und für das kann man diesen Aufwand mit nichts mehr rechtfertigen.“ Denn, wie in so vielen anderen Branchen, machen die allgemein gestiegenen Kosten auch vor der Jennerbahn nicht Halt. Beispielhaft erklärt Mühlthaler: „Vor fünf Jahren hat eine Pistenraupe etwa 400.000 Euro gekostet. Heuer kosten die 650.000 Euro, im nächsten Jahr 750.000 Euro. Die Stromkosten haben sich verdreifacht, Diesel kostet doppelt so viel, die Personalkosten sind gestiegen. Wenn ich das alles an die Kunden weitergebe, müsste ich 150 Euro für das Skiticket berechnen.“ Das werde niemand bezahlen, zumal die Nachfrage seit Jahren sinke.
Wie der Geschäftsführer schildert, liegen in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres (Beginn 1. November) der Umsatz bei 1,5 Millionen Euro und die Kosten bei 4,5 Millionen Euro. „Wir starten also am 1. Mai mit einem Minus von drei Millionen Euro. Das zeigt eigentlich ganz deutlich, wie lukrativ das Skifahren ist. Wir können uns das nicht mehr leisten.“ Alpine Skipisten herzustellen sei einfach zu teuer geworden, auch mit Blick auf die maschinelle Produktion von Schnee, die Präparierungskosten und die Liftanlagen. „Da muss man ganz ehrlich sagen: Das hat keine Zukunft.“
Geht um langfristiges Überleben und eine Perspektive
Deshalb will sich das Unternehmen verstärkt auf andere Angebote und Zielgruppen konzentrieren - weshalb zwischen Berg- und Mittelstation weniger Aufwand betrieben wird. Es geht schlicht und ergreifend um das langfristige Überleben und eine Perspektive. „Das Angebot zum alpinen Skifahren gibt es immer noch, wenn auch anders“, so Isabel Stöckl. Es werden Familien verstärkt im Fokus stehen: Im Kinderland können die Kleinsten ihre ersten Erfahrungen sammeln. „Das bieten wir schon lange an, und es wichtig zu wissen, dass man hier weiterhin Skifahren lernen kann. Durch die Rodelbahn haben wir auch mehr Zuspruch von Familien bekommen“, erläutert die PR-Leiterin. Unter den Tourengehern, die auch aus Österreich kämen, sei der Jenner eh schon bekannt. Außerdem sollen Wanderer und Schneeschuhgeher künftig stärker angesprochen werden.
Ein 700 Meter langer 360-Grad-Rundwanderweg an der Bergplattform, die Präparierung der Strecke von der Bergstation bis zur Mitterkaser-Station für Schneeschuhgeher und Wanderer, neue Events: Die Berchtesgadener Bergbahn AG will den Jenner für Nicht-Skifahrer attraktiver machen. „Wir wussten, dass es zunächst einen Aufschrei geben wird, auch wenn manches falsch verstanden wurde. Wir wollen im Winter mehr Gäste mit unserer Bahn transportieren und mehr Menschen mit unseren Angeboten ansprechen. Ich glaube, dass der Winter am Jenner eine tolle Zukunft hat, aber eben abseits des Skifahrens“, ist sich Geschäftsführer Mühlthaler sicher, dem dieser Schritt auch selbst ein kleines bisschen weh tut.
„Winter wird in fünf Jahren erfolgreicher sein“
„Das Skifahren ist in der Berchtesgadener DNA. Viele verbinden den Jenner damit, mit schönen Erinnerungen und Erlebnissen aus der Kindheit. Aber wenn immer weniger Skifahrer kommen, können wir nicht einfach blind weitermachen und alles so belassen wie in den vergangenen 20 Jahren.“ Er hat vor der kommenden Wintersaison, die ein Probelauf ist und „nicht in Stein gemeißelt“ ist, keine Angst. Mühlthaler: „Ich weiß, dass der Winter in fünf Jahren erfolgreicher wird. Wir senken die Kosten und dürfen mehr Gäste begrüßen - nur eben abseits des Skifahrens.“