Besuch aus dem Landtag
„Verrat an unserer bayerischen Natur“: Warum der Nationalpark Berchtesgaden als Vorbild dienen soll
Klimawandel, Tourismus, Waldentwicklung, ÖPNV: Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Katharina Schulze, machte sich im Nationalpark Berchtesgaden ein Bild von diesen Themen. Schnell wurde klar: Den Wald sich selbst zu überlassen und möglichst wenig als Mensch einzugreifen, kann wahre Wunder bewirken. Ein unkonventioneller Ansatz in der heutigen Zeit, der nicht immer auf Verständnis stößt.
Berchtesgaden - Die Grünen-Fraktionsvorsitzende hatte Glück: Nicht nur das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, nachdem es in den Tagen zuvor eher grau und trist war. Am blauen Himmel kreiste ein Steinadler, den sie mit dem Fernglas beobachten konnte. Eine Begegnung, die in der kleinen Wandertruppe durchaus für Euphorie und Begeisterung sorgte.
„Über Emotionen können wir die Natur am besten verdeutlichen. Wir können viel über den Nationalpark und Naturschutz sprechen, aber diese Begegnungen erreichen die Herzen der Menschen“, schwärmte Nationalparkleiter Roland Baier.
Die Rolle des ÖPNV
Noch bevor die zweistündige Tour startete, ging es bereits um Emotionen - eher im negativen Sinne. Bartl Wimmer, einer der Ur-Grünen im Landkreis und Mitglied des Marktgemeinderates Berchtesgaden, verdeutlichte anhand eines einfachen Beispiels die Folgen des Tourismus im Nationalpark: „In der Sommersaison sind die Hintersee-Parkplätze schon gegen 9 Uhr voll belegt, weshalb die Einheimischen meistens mit dem Fahrrad hierher fahren.“
Als Schulze entgegnete, dass dies umso mehr zeige, wie wichtig ein gut ausgebauter ÖPNV sei, antwortete Wimmer: „Das Problem bei uns ist nicht die Taktverdichtung, sondern, dass wir mehr Busse und Fahrer brauchen.“ Mit dem geplanten On-Demand-Verkehr im gesamten Landkreis und dem Verkehrsverbund mit Traunstein werde im Berchtesgadener Land schon einiges für den ÖPNV getan. Wimmer machte auch auf das verbesserte Angebot beim Watzmann-Express und der Ringlinie Schönau aufmerksam.
Die Natur sich selbst überlassen
Bei der Wanderung stellte Nationalparkleiter Baier an verschiedenen Standorten immer wieder dar, weshalb es besser sei, die Natur Natur sein zu lassen. „Der Wald hat seine eigene, natürliche Dynamik. Indem wir die Prozesse schützen, sorgen wir für mehr Artenvielfalt.“ Manchmal sei es besser, als Mensch nicht einzugreifen und nicht aufzuräumen. Anhand neuester Forschungsergebnisse stellte er dar, dass die natürliche Waldverjüngung mehr oder weniger genauso schnell - oder eher langsam, da in diesem Zusammenhang von einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren auszugehen ist - vorangehe wie bei Eingriffen durch den Menschen.
Beispielhaft verdeutlichte Baier diesen Vorgang an zwei Waldflächen, die jeweils durch große Stürme (1990 durch Wiebke und 2007 durch Kyrill) beschädigt wurden. Hier wurde wissenschaftlich untersucht, was passiert, wenn keine menschlichen Eingriffe erfolgen. Das Ergebnis: Waldverjüngung und Biodiversität, entstanden durch Totholz, das einfach liegen gelassen wurde. Der Bodenhumus wurde dadurch geschützt, beim Abtragen des Totholzes wäre er zerstört worden. „Nichts tun und nicht sofort in Panik verfallen ist manchmal also die bessere Lösung“, bemerkt Schulze.
Tote Flächen? Von wegen!
Und zur CO₂-Speicherung meinte Baier, dass durch die neuen Jungbäume Kohlenstoffdioxid in etwa genauso schnell aufgenommen werde, wie durch die Zersetzung des Totholzes freigesetzt werde. Ökologisch betrachtet sei es sinnvoller, nichts zu machen. Auch das Borkenkäfer-Holz wirke sich positiv auf die Strukturvielfalt aus. „Natürlich müssen wir befallene Bäume entnehmen, aber das Totholz bleibt liegen. Das ist natürlich nicht überall anwendbar, weil wir hier im Nationalpark andere Bedingungen haben. Aber wir stellen schon fest, dass durch diese Taktik die Walddynamik steigt.“
Heute gibt bei uns die Natur die Entwicklung vor.
Auch im Nationalpark griffen früher die Menschen ein, um die Prozesse in der Natur zu manipulieren. „Heute gibt bei uns die Natur die Entwicklung vor“, betonte Baier. Deshalb sollen auch nur punktuell Bäume gepflanzt werden, zum Beispiel Tannen. Durch wissenschaftliche Simulationen werde erkennbar, dass sich die Baumartenzusammenfassung positiv weiterentwickle. „Aber da reden wir von langwierigen Prozessen, bis sich das zeigt, von 1000 bis 15.000 Jahren.“ Baier äußerte die Hoffnung, bis zum 50-jährigen Bestehen des Nationalparks im Jahr 2028 den Wald so weit vorzubereiten, „dass wir ihn sich selbst überlassen können“.
Warum es ohne die Jagd nicht funktioniert
Um dieses Ziel zu erreichen, wird eine besondere Wildbestandsregulierung vorgenommen. Auf 75 Prozent der Fläche findet gar keine Jagd statt, wie ein Förster des Nationalparks erläuterte. Ursprünglich wurde auf 60 Prozent der Fläche gejagt, zwischenzeitlich sank der Wert auf 35 Prozent und nun sind es nur noch 25 Prozent. Mittlerweile wird nur noch punktuell geschossen, an sogenannten Verbiss-Schwerpunkten, bei denen Jungpflanzen keine Chance hätten.
Die Jagd werden sowohl zeitlich als auch räumlich an das Wild angepasst. „Wir bemerken schon, dass wir damit Erfolge haben und die Tiere sich genau merken, wo sie sich nicht aufhalten sollen“, sagte der Mitarbeiter. Komplett ohne Jagd werde es nicht funktionieren, da die natürlichen Feinde wie Luchs, Wolf und Bär fehlen und dadurch der Wildbestand reguliert werden müsse.
Grüne wollen weiteren Nationalpark
Für Schulze, die sich zusammen mit ihrer Landtagsfraktion für einen dritten bayerischen Nationalpark im Steigerwald einsetzt, bot die Wanderung eine tolle Möglichkeit, die wichtige Arbeit vor Ort kennenzulernen. „Der Nationalpark Berchtesgaden ist ein Juwel unserer schönen bayerischen Heimat. Wie Natur- und Artenschutz, Umweltbildung, nachhaltiger Tourismus und Regionalität hier gelebt werden, ist beeindruckend.“
Bayern brauche mehr solche Hotspots der Artenvielfalt. Schulze: „Die CSU-geführten Staatsregierungen haben sich nach der Ausweisung der zwei Nationalparks jahrzehntelang zurückgelehnt. Dieses ‚Weiter so‘ ist ein Verrat an unserer Bayerischen Natur und an dem Erbe unserer Kinder. Deswegen erneuere ich meine Forderung: Bayern braucht endlich seinen dritten Nationalpark!“
Dieser Nationalpark führe uns jeden Tag vor Augen, dass Natur und Menschen gleichermaßen von einem Schutzgebiet profitieren. „Aber die Klimakrise verschafft sich auch hier Zutritt. Nur mit genügend Personal und Geld lässt sich dagegenhalten. Es war sehr interessant zu sehen, wie Forschung und Praxis beim Thema Waldumbau hier Hand in Hand gehen.“ Bei der Wanderung konnte sie sich aus erster Hand darüber informieren. „Jedes Forschungsprojekt vor Ort trägt dazu bei, dass wir mehr über den Waldumbau lernen können und damit den Wald fit für die Zukunft machen können.“

