KI im Nationalpark Berchtesgaden
Wie Vogelstimmen auf die Klimaentwicklung schließen lassen
Im Nationalpark Berchtesgaden wird seit 2021 Klimafolgenforschung betrieben. In einem Interview erzählt Doktorand und Forschungsmitarbeiter Tobias Richter, wie anhand von Vogelgesängen Künstliche Intelligenz und Ornithologen im Zusammenspiel den Klimafolgen auf den Grund gehen.
Berchtesgaden – Klimafolgenforschung mit zukunftsweisender Technologie im Nationalpark Berchtesgaden: Mit Hilfe von Audiorekordern haben Forscher tausende Stunden Vogelgesang aufgenommen - auf Almen, im Wald, und auf natürlichem Offenland. Analysiert werden die Ergebnisse von Ornithologen, vor allem aber von Künstlicher Intelligenz. Tobias Richter, wissenschaftlicher Mitarbeiter, kennt die Gesänge von Schneesperling und Co.
Die Klimafolgenforschung wird im Nationalpark Berchtesgaden seit 2021 betrieben. Ein Fokus liegt dabei auf der Vogelwelt. Warum?
Tobias Richter: Bei der Klimafolgenforschung erfassen wir die Artenvielfalt und ökosystemare Prozesse sehr umfangreich, um ganzheitliche Aussagen über die Ökosysteme treffen zu können. Dazu erheben wir Daten zu Bakterien, Pilzen, Pflanzen, Arthropoden und Wirbeltieren. Auch Vögel fallen darunter. Hinzu kommen Umweltparameter wie Lebensraumstruktur und -zusammensetzung, Temperatur, Lichtregime und die Bodenchemie.
Mithilfe von Audiorekordern werden tausende Stunden Vogelgesang aufgezeichnet
Früher gingen Forscher ins Feld, heute arbeiten Sie über Audiorekorder. Welche Vorteile bieten Audiorekorder gegenüber der traditionellen Methode der Vogelkartierung?
Richter: Heutzutage gehen die Forschenden noch genauso ins Feld. Wir arbeiten mit rund 20 Rekorden. Das bedeutet, wir müssen die Rekorder von Fläche zu Fläche bringen. Die Vorteile liegen darin, dass Audiorekorder jederzeit installiert werden können. Aufgenommen wird genau dann, wenn die Vögel am aktivsten singen. Im Vergleich zur klassischen Kartierung können mit diesem Ansatz wesentlich mehr Flächen zeitgleich erfasst werden. Falls nötig, über einen langen Zeitraum hinweg. Und das Ganze, ohne die Vögel zu stören. Auf lange Sicht ist dies viel kosteneffektiver, besonders in so anspruchsvollem Gelände wie hier im Nationalpark Berchtesgaden. Ein Vorteil ist, dass die Aufnahmen gespeichert und Vogelrufe dadurch besser verifiziert werden können. Mit weiterentwickelter Technologie kann man diese immer wieder neu auswerten. Darüber hinaus können auch andere Tiere, wie etwa Heuschrecken, aufgenommen werden. Mit speziellen Audiorekordern sind auch Fledermäuse möglich.
Wie wurden die Untersuchungsflächen von Ihnen bestimmt?
Richter: Mit unserem Studiendesign decken wir die terrestrischen Hauptlebensräume des Nationalparks ab: Wald, natürliches Offenland und Almen. Im Wald und in natürlichem Offenland unterscheiden wir zudem noch zwischen verschiedenen Entwicklungs- beziehungsweise Altersstadien. Diese unterscheiden sich in ihrer Struktur und der Artenzusammensetzung. Um den Einfluss der Lebensräume auf die Artenvielfalt unter verschiedenen klimatischen Bedingungen zu untersuchen, haben wir die Flächen gleichmäßig über den Höhengradienten verteilt. Für die Vorauswahl der Waldflächen konnten wir auf Daten der letzten Waldinventur zurückgreifen. Für die Flächen im Offenland auf Satellitenbilder. Und die Almen wurden nach Höhenlage und in Absprache mit den Almbauern ausgewählt. Anschließend wurden alle Flächen im Feld auf ihre Eignung hin überprüft.
Ein Zusammenspiel von Künstlicher Intelligenz und Ornithologen
Sie haben tausende Stunden Vogelkonzerte aufgezeichnet. Anstatt auf Menschen setzen Sie bei der Auswertung mittlerweile auf KI. Welche Erkenntnisse erwarten Sie sich von der neuen Technologie im weiteren Verlauf?
Richter: Wir setzen nicht nur auf KI. Ein Teil der Aufnahmen wurde auch von Ornithologen angehört und die Arten bestimmt. KI und klassische Expertenbestimmung laufen also parallel und ergänzen sich gegenseitig. Die Aufnahmen werden zunächst in Spektrogramme umgewandelt, also Bilder, die den zeitlichen Verlauf des Frequenzspektrums zeigen. Die KI wird dann mit Spektrogrammen von Aufnahmen trainiert, denen zuvor die entsprechende Vogelart zugeordnet wurde. Künstliche Intelligenz lernt also, welches Spektrogramm zu welcher Art gehört. Anschließend können wir der KI andere Aufnahmen geben und die KI versucht anhand der erlernten Muster jedem Ruf eine Art zuzuordnen. Der Vorteil ist, dass sehr große Datenmengen relativ kostengünstig standardisiert und bei Verbesserung der KI immer wieder neu ausgewertet werden können.
Was ist dabei rausgekommen?
Richter: Wir konnten mittels Künstlicher Intelligenz etwa den Schneesperling dokumentieren, der in den wenigen Aufnahmen, die von Ornithologen angehört wurden, aufgrund seiner Seltenheit nicht vorkam. Während die Ornithologen rund 150 Stunden Material auswerteten, waren es bei der KI 22.000 Stunden. Wir konnten zudem andere seltene Arten noch öfter nachweisen, wie etwa Zitronenzeisig, Steinschmätzer oder Haselhuhn. Wir erfahren nicht nur mehr über das Vorkommen seltener Arten, sondern bekommen durch den größeren Datensatz einen sehr viel umfangreicheren Einblick in die Vogelwelt. Experten verifizieren derzeit die Ergebnisse der Künstlichen Intelligenz. Dadurch erhalten wir zum einen eine Rückmeldung über die Qualität der Bestimmungen, was uns bei der Beurteilung der Ergebnisse hilft. Zum anderen wird dadurch die KI weiter trainiert und kann immer bessere Ergebnisse liefern.
Seltene und besondere Arten konnten entdeckt werden
Eine große Bedeutung wird den Generalisten wie Buchfink, Tannenmeise und Rotkehlchen zuteil. Wie wichtig sind diese grundsätzlich für das Ökosystem des Nationalparks Berchtesgaden?
Richter: Generell haben Generalisten eine große Bedeutung für Ökosysteme. In der Regel kommen diese in hoher Anzahl vor. Dementsprechend haben sie einen großen Anteil an ökosystemaren Prozessen, wie zum Beispiel Nahrungskreisläufen und Samenausbreitung. Es ist davon auszugehen, dass dies im Nationalpark genauso ist.
Gibt es weitere seltene Arten, auf die Sie gestoßen sind oder mit denen Sie so nicht gerechnet hatten?
Richter: Wir konnten nahezu alle im Gebiet nachgewiesenen und zu erwartenden Arten dokumentieren. Darunter waren auch seltene oder besondere Arten wie die Raufußhühner, Dreizehen- und Weißrückenspecht, Sperlings- und Raufußkauz oder auch Zwergschnäpper, Waldlaubsänger, Mauerläufer und den Steinadler. Bislang haben wir noch keine Arten gefunden, mit denen wir nicht gerechnet hatten.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Lässt sich mit den vorhandenen Ergebnissen bereits ein Rückschluss auf das sich wandelnde Klima ziehen? Wie sehen die nächsten Schritte in Ihrer Forschung aus?
Richter: Aktuell können wir dazu noch nichts sagen. Ich befasse mich im Rahmen meiner Doktorarbeit mit verschiedenen Fragestellungen. Überwiegend befassen sich diese damit, wie sich der Einfluss von Lebensräumen auf die Artenvielfalt auswirkt und wie sich dieser im Kontext klimatischer Unterschiede entlang des Höhengradienten verändert.
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