In Bad Reichenhall bleibt die Straßenbeleuchtung aus
Nachts im Dunkeln nach Hause: Ersparnis auf Kosten der Sicherheit?
Seit der Stadtrat im September 2022 die Halbnachtabschaltung der Straßenbeleuchtung beschlossen hat, ist es in Bad Reichenhall zwischen ein und fünf Uhr größtenteils stockfinster. Dadurch konnte viel Geld eingespart werden. Doch manch einer bangt da um die eigene Sicherheit – so wie eine Leserin, die sich nach Dienstschluss nicht mehr alleine nach Hause traut.
Bad Reichenhall – Anna Deißenbeck arbeitet schon seit Jahren im Café Amadeo. Wenn sie Dienstschluss hat, ist es bereits nach ein Uhr nachts. Das Problem: In der Kurstadt werden von ein bis fünf Uhr fast alle Lampen abgedreht. Nur in der Innenstadt und an der Hauptverkehrsachse bis zur Münchener Allee bleibt die Straßenbeleuchtung angeschaltet. Wenn die junge Frau nach Hause geht, ist es somit stockfinster. „Ich sehe meine Hand nicht vor Augen. Das ist so gruselig und unheimlich“, sagt sie.
Seit der Stadtrat im September 2022 beschlossen hat, dass ein Großteil der Stadt dunkel bleibt, traut sich die Reichenhallerin nicht mehr alleine heim. „Jetzt schaue ich immer, dass mich jemand fährt oder ich fahre selbst mit dem Auto“, erklärt sie. Und sie scheint nicht die einzige zu sein. Sie berichtet von Geschichten, die ihr andere Frauen erzählt haben. Diese seien von Männern im Dunkeln verfolgt worden.
Gründe gegen die Abschaltung der Straßenbeleuchtung
Neben der Gefahr, im Dunkeln allein unterwegs zu sein, nennt Anna Deißenbeck noch weitere Gründe, die gegen die Abschaltung der Beleuchtung sprechen:
- Die Kriminalität würde zunehmen. „Uns ist aufgefallen, dass es mit den Drogen mehr geworden ist.“ Zudem hätten Einbrüche zugenommen.
- Die Dunkelheit treibe Tiere in die Stadt. „Es gibt immer mehr tote Tiere auf der Straße. Mir ist es sogar schon passiert, dass eine Eule auf der Straße gesessen ist.“
- Es werde bei der Maßnahme zu wenig an junge Leute gedacht, die auch gerne mal nachts unterwegs sind. „Das Nachtleben stirbt eh schon aus. Man darf die junge Generation nicht vergessen.“
Die Kurstadt argumentiert mit erheblicher Energie- und Kosteneinsparung
„Aufgrund der angespannten Energieversorgungslage sind die Kommunen angehalten, Energie einzusparen“, hieß es in der Beschlussvorlage des Stadtrates im September 2022. Die Gründe, die Straßenbeleuchtung zu reduzieren, waren zu dieser Zeit neben der angespannten Energielage aufgrund des Krieges in der Ukraine vor allem aber auch finanzieller Natur.
Die Abschaltung sollte zu einer Kostenreduzierung im Stromverbrauch führen und zugleich die Lebensdauer der Leuchtmittel verlängern. Und nach bald zwei Jahren ist klar: „Der Stromverbrauch konnte um rund 28 Prozent gesenkt werden, in Summe ca. 70.000 Euro bzw. rund 250.000 kWh“, heißt es auf Anfrage der Redaktion von Seiten der Stadt. Daher auch die deutliche Aussage: „Angesichts der angespannten Haushaltslage ist derzeit nicht angedacht, die Beleuchtung wieder anzuschalten.“
Umstellung auf LED benötigt Zeit
Anna Deißenbecks Chefin, Ulrike Brodik, hat bereits mit Oberbürgermeister Christoph Lung über die Problematik gesprochen. Dabei soll es geheißen haben, dass mögliche Alternativen, wie nur jede zweite Lampe einzuschalten, technisch nicht möglich seien. Bewegungsmelder an den Laternen hingegen seien eventuell eine Option. Passiert sei allerdings seither nichts, so Ulrike Brodik. Sie kritisiert zudem, dass es nach ein Uhr keine Möglichkeit gebe, ein Taxi zu rufen. Auch Frauenparkplätze seien Mangelware in der Stadt.
„Der Oberbürgermeister hat in allen Gesprächen die Situation entsprechend erklärt. Eine Änderung konnte gerade NICHT in Aussicht gestellt werden“, erklärt hierzu die Pressestelle der Kurstadt. „Jegliche Umrüstung löst erhebliche Investitionskosten aus und ist daher nur nach und nach möglich.“ Die Umstellung auf LED-Lampen erfolge Zug um Zug, „um entsprechend der Lebensdauer der LED-Leuchten (rund zwölf Jahre) eine Vergleichmäßigung der Unterhaltskosten zu haben.“
Abschaltung reduziert Lichtverschmutzung
Anna Deißenbecks Bedenken, die Dunkelheit würde Tiere in den Ort treiben, deutet die Stadt hingegen positiv, da die öffentliche Straßenbeleuchtung zu den Hauptverursachern der Lichtverschmutzung gehöre.
„Denn Lichtquellen stellen eine erhebliche Gefahr für Insekten, Fledermäuse und Vögel dar. Aber zu viel Licht während der Nacht bringt nicht nur bei Tieren und Pflanzen den Rhythmus durcheinander, sondern kann sich auch auf den Menschen negativ auswirken.“ Aus natur- und umweltschutzorientierter Sicht sei eine Reduzierung der Lichtverschmutzung daher sehr zu begrüßen.
Ersparnis auf Kosten der Sicherheit?
Doch was ist mit dem Sicherheitsempfinden? „Für mich gehört es zu den Grundrechten, dass man sich sicher fühlt. Dafür zahlen wir auch Steuern“, findet Anna Deißenbeck. „Vom subjektiven Sicherheitsempfinden her kann ich natürlich sehr wohl nachvollziehen, dass alles, wo man nicht hinsehen kann, eine Unsicherheit darstellt“, sagt der Leiter der Polizeiinspektion Bad Reichenhall, Peter Huber, im Gespräch.
Doch die Zahlen aus der Kriminalstatistik sprechen eine andere Sprache. „Aus der Statistik ist im Vergleich zu der Zeit, als noch die volle Beleuchtung war, nicht herauszulesen, dass zu einer Steigerung der Kriminalität gekommen wäre“, so Huber weiter. Die Einbruchsserie fällt allerdings in den Zeitraum seit der Halbnachtabschaltung. Doch auch hier muss man differenzieren. Polizeichef Huber: „Die Serie hat Objekte betroffen, die nach wie vor im beleuchteten Bereich sind – aber eben auch Objekte, die schon immer etwas weniger beleuchtet waren. Rein an diesem Umstand kann man das nicht festhalten.“ Daher auch Hubers Fazit, dass die Nachtabschaltung nicht in den Zusammenhang mit einer Verschlechterung der Sicherheitslage gebracht werden könne. Zudem dürfe man natürlich die 110 wählen, wenn man sich verfolgt fühlt oder verdächtige Personen und Fahrzeuge wahrnimmt.
Das ungute Gefühl auf dem Nachhauseweg wird für Anna Deißenbeck und andere, die spät nachts unterwegs sind, bleiben. Ulrike Brodik will sich mit den Argumenten der Stadt nicht zufrieden geben und überlegt inzwischen, Unterschriften zu sammeln, um so wieder für eine Straßenbeleuchtung in der gesamten Stadt zu sorgen.
mf