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Zwischen Salzburg, Rosenheim und München unterwegs

„Beschimpft, weil ich sein Fahrrad beschädigt habe“: Lokführer aus Freilassing packt aus

Ein Zug der Bayerischen Regiobahn steht im Bahnhof Ainring. Mehrere Leute steigen ein und aus, eine Schaffnerin steht am Bahnsteig. Lokführer Markus Köfler steht am Bahnhübergang.
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Lokführer Markus Köfler erlebt immer wieder gefährliche Situationen an den Gleisen. Für das Personal sind das stets große Schock-Momente.

Was er und seine Kollegen im Berufsalltag erleben, ist manchmal nur mit psychologischer Hilfe zu verarbeiten: Seit 30 Jahren arbeitet Markus Köfler aus Freilassing als Lokführer. Für die Bayerische Regiobahn (BRB) ist er zwischen Salzburg, Rosenheim und München unterwegs sowie auf der Strecke von Freilassing über Bad Reichenhall nach Berchtesgaden. Immer wieder erlebt er gefährliche Situationen mit Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern. Erst kürzlich erlebte er einen dieser Momente, wie er im Interview schildert. Wie gehen er und seine Kollegen damit um? Was passiert bei einer Gefahrenbremsung und wie häufig kommt es dazu? Und wieso ist „Person im Gleisbett“ eben keine typische Ausrede, wenn es um Verspätungen geht?

Ainring - Es waren kurze Momente, in denen Markus Köfler deutlich anzumerken war, was er schon alles durchgemacht hat. Beim Aktionstag „Zug hat Vorfahrt“ mit Kindern der Realschule im Rupertiwinkel berichtete der fast 50-Jährige von seinen Erlebnissen in seinem Job. Im Interview erklärt der Lokführer der BRB, welche Situationen er erst kürzlich erleben musste, was ihm ein Radfahrer an den Kopf warf und wie er sowie seine Kollegen versuchen, nach tödlichen Unfällen weiterzumachen.

Herr Köfler, Sie haben beim Aktionstag erzählt, dass Sie erst kürzlich wieder gefährliche Situationen erlebt haben. Was war passiert?
Das war hier auf der Strecke bei Ainring vor zwei Tagen. Ein Fahrradfahrer sah mich kommen, stieg ab und lief einfach über den Bahnübergang. Der ist einfach weitergefahren - ungeachtet dessen, dass ich bremsen musste. An einem anderen Bahnübergang passierte Ähnliches. In beiden Fällen ging das noch gut aus, weil niemand verletzt wurde.

Gefährliche Situationen und Unfälle im Netz Berchtesgaden-Ruhpolding

Insgesamt 30 Beinahe-Unfälle und drei Unfälle mit Personenschaden verzeichnete die BRB im Netz Berchtesgaden-Ruhpolding im Zeitraum 5. Mai 2022 bis 6. Mai 2024.

Hier eine Auswahl der Vorfälle:

- Triebfahrzeugführer*in musste aufgrund einer im Gleis stehenden Person eine Schnellbremsung bis zum Stillstand einleiten. Person hat erst nach Stillstand des Zuges das Gleis verlassen. (Freilassing - Bad Reichenhall, Beinahe-Unfall, 30.4.24, 8.45 Uhr)

- Triebfahrzeugführer*in hat bei Bahnübergang bei Höpfling eine Schnellbremsung einleiten müssen aufgrund eines Lkw, der den Bahnübergang noch überquert hat. (Traunstein - Ruhpolding, Beinahe-Unfall, 20.2.24, 12.58 Uhr)

- Triebfahrzeugführer*in meldet am Bahnübergang, dass er einen Fahrradfahrer gestreift hat. Nachdem der Zug zum Stehen gekommen ist, ist der Fahrradfahrer weggefahren. (Bad Reichenhall - Berchtesgaden, Unfall mit Personenschaden, 25.10.23, 14.51 Uhr)

- Triebfahrzeugführer*in leitet am Bahnübergang in Bad Reichenhall eine Schnellbremsung ein, weil ein Kind über den unbeschrankten Reisendenübergang läuft. Zug kommt rechtzeitig zum Stehen. (Bad Reichenhall - Berchtesgaden, Beinahe-Unfall, 30.9.23, 14.10 Uhr)

- Fast Personenunfall: Fahrradfahrer überquert Bahnübergang. überhört und übersieht Zug, Triebfahrzeugführer*in leitet Schnellbremsung ein und kommt circa ein Meter vor dem Fahrradfahrer zum Stehen. (Traunstein - Ruhpolding, Beinahe-Unfall, 10.5.23, 22.58 Uhr)

- Pkw unerlaubt an Bahnübergang zwischen Bad Reichenhall Kirchberg und Bayrisch Gmain noch darübergefahren, Triebfahrzeugführer*in hat Schnellbremsung eingeleitet bis Stillstand; keine Kollision, Kennzeichen des Pkw wurde notiert. (Bad Reichenhall - Berchtesgaden, Beinahe-Unfall, 14.3.23, 14.07 Uhr)

- Beinahe Unfall mit Bus an Bahnübergang, Zug musste Schnellbremsung einleiten und bis zum Stillstand bremsen. Busunternehmen ist bekannt. (Freilassing - Bad Reichenhall, Beinahe-Unfall, 17.12.22, 16.20 Uhr)

- Bahnübergangsunfall mit Pkw. (Bad Reichenhall - Berchtesgaden, Unfall mit Personenschaden, 11.11.22, 17.20 Uhr)

- Personenunfall circa 500 Meter vom Bahnhof Piding entfernt. (Freilassing - Bad Reichenhall, Unfall mit Personenschaden, 16.9.22, 18.42 Uhr)

- Triebfahrzeugführer*in leitete am Bahnübergang eine Schnellbremsung bis zum Stillstand ein, da ein frei laufender Hund auf dem Bahnübergang lief. Sein Besitzer lief dem Hund ebenfalls auf dem Bahnübergang hinterher. Es kam zu keinem Aufprall beziehungsweise keinen Verletzten. (Bad Reichenhall - Berchtesgaden, Beinahe-Unfall, 11.7.22, 16.25 Uhr)

Aber es gab noch einen anderen Vorfall...
Ja, das war ganz in der Nähe. Ein Fahrradfahrer konnte nicht warten, bis ich mit dem Zug vorbeifahre. Aus meiner Sicht war er durch Bäume und Gestrüpp verdeckt. Unsere Züge sind mittlerweile relativ leise, was die Fahrgeräusche angeht, und ich bin mit 90 Kilometer pro Stunde durch die Kurve gefahren. Auf einmal war der Fahrradfahrer auf den Gleisen. Ich habe eine Schnellbremsung eingeleitet und die Pfeife betätigt, doch ich habe sein Hinterrad getroffen, das durch die Wucht des Aufpralls weggeschleudert wurde.
Wie ging es dann weiter?
Nachdem der Zug zum Stillstand kam, bin ich ausgestiegen und zur Unfallstelle zurückgelaufen. Dem Mann ging es gut, aber er hat mich zuallererst beschimpft, weil ich sein Fahrrad beschädigt habe. Natürlich stand er auch unter Schock, genauso wie ich als Lokführer, aber dann kriegt man nach einer solchen Situation so etwas an den Kopf geworfen, das ärgert einen. Wir haben hier auf den Nebenstrecken viele kleine Bahnübergänge, an denen häufig Radfahrer und auch Fußgänger meinen, noch schnell die Seite wechseln zu müssen. Die realisieren nicht, dass das Pfeifen ein Warnsignal ist.
Anhand dieses Beispiels: Wie sieht das weitere Prozedere im Falle einer Gefahrenbremsung aus?
Nach dem Pfeifen und der Schnellbremsung setzen wir einen Nothaltauftrag ab. Ich wusste zum Beispiel in diesem konkreten Fall anfangs nicht, ob sich die Person verletzt hat oder nicht. Wir haben in unserem Führerstand ein spezielles Telefon, mit dem wir unseren Fahrdienstleister kontaktieren. Dieser alarmiert die Notfallleitstelle DB Netz sowie die Rettungskräfte, darunter auch die Bundespolizei. Unter Umständen muss vor Ort erst nach der betroffenen Personen gesucht und gefahndet werden. Es kann auch vorkommen, dass die Person unter Schock weitergelaufen oder gefahren ist und erst kurz darauf Verletzungen bemerkt hat. Meistens haben solche Vorfälle eine Streckensperrung oder zumindest ein Fahren auf Sicht zur Folge. Das alles sorgt dann dafür, dass sich die Verzögerungen im Fahrplan immer weiter erhöhen.
Das wiederum ärgert die Fahrgäste, die zu spät kommen, warten müssen oder ihren Anschlusszug verpassen. Wie geht ihr damit um?
Früher war es noch etwas Besonderes, wenn man gehört hat, dass sich Personen im Gleis aufhalten. Heutzutage wird das von vielen als typische Ausrede von uns empfunden und uns vorgeworfen, dass wir damit nur andere Probleme verheimlichen wollen. Vor allem unsere Zugbegleiter müssen sich das immer wieder anhören. Deshalb habe ich mal in einer Situation, in der es durch Personen im Gleis zu einer Schnellbremsung kam, eine Durchsage im Zug gemacht und gesagt, dass jetzt auf der Seite diejenigen entlanglaufen, die für die Verzögerung gesorgt haben. Wir erleben das so oft, dass Leute meinen, sie könnten irgendwo schnell abkürzen.
Sie erwähnten beim Aktionstag auch, dass es auch bei manchen Bahnsteigen Gefahrensituationen mit Kindern gibt.
Genau, da sprechen wir vom klassischen Schülerverkehr, wenn sich vor allem Kinder an den Bahnsteigen tummeln. Die spielen dann Fangen und passen einfach nicht auf. Wir haben auch schon im Winter erlebt, wie Kinder ins Gleisbett gestiegen sind, um sich Schnee für Schneeballschlachten zu holen. Das ist grundsätzlich sehr gefährlich und verboten, aber im Winter kommt noch dazu, dass der Schnee die Geräusche der Züge noch mehr dämmt. Der Zug ist dann kaum hörbar - bis er da ist.
Vermutlich erlebt beinahe jeder Lokführer während seiner beruflichen Laufbahn einen tödlichen Unfall. Sie mussten das auch schon erleben. Wie gehen Sie und Ihre Kollegen damit um?
Als Angestellter wirst du dann für mehrere Wochen krankgeschrieben, was auch sehr wichtig ist, um etwas Abstand zu bekommen. Auf Wunsch erhält man dann auch psychologische Hilfe, um das Erlebte zu verarbeiten. Und wenn man dann zu einem selbst gewählten Zeitpunkt wieder anfängt zu arbeiten, wird man bei den ersten Fahrten immer von einem Kollegen begleitet. Denn es kann durchaus vorkommen, dass man merkt, dass es doch noch zu früh dafür ist oder dass bestimmte Situationen und Orte – etwa Bahnübergänge – den tödlichen Unfall und die Gefühle darüber wieder hochkommen lassen. Dann kann der Kollege die weitere Zugfahrt übernehmen.

Unfallprävention

Warum gibt es die weißen Linien an Bahnsteigkanten? Warum ist es so wichtig, Durchsagen am Bahnhof mitzubekommen? Wie muss man sich an Bahnübergängen verhalten? Die Deutsche Bahn weist auf ihrer Homepage unter Unfallprävention auf mehrere Themenschwerpunkte und Gefahren hin.

Was würden Sie sich von allen Verkehrsteilnehmer wünschen, wie lautet Ihr Appell?
Denkt bitte immer daran, dass den Zug ein Mensch steuert und ihr uns Lokführern mit unüberlegten Aktionen oftmals einen riesigen Schreck einjagt. Bleibt immer am Bahnsteig hinter der weißen Linie und möglichst weit entfernt von der Bahnsteigkante. Immer auf das Andreaskreuz achten und nur an den Bahnübergängen die Gleise überqueren. Und lieber einen Umweg dafür gehen und bei geschlossenen Schranken warten, statt wegen ein paar Sekunden eine Abkürzung zu nehmen. Und nichts aus dem Gleisbett fischen, auch kein noch so teures Handy. Lieber Bahnpersonal verständigen, das kann weiterhelfen. Das Handy ist ersetzbar, ein Menschenleben nicht!

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