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Berliner Designerin in Bayerisch Gmain

Wenn Häkeln auf High Fashion trifft: „Es spielt keine Rolle, ob du ein Kopftuch trägst oder nicht“

Ann-Kathrin Carstensen im Klosterhof in Bayerisch Gmain
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Ann-Kathrin Carstensen im Klosterhof in Bayerisch Gmain

Die Berliner Designerin Ann-Kathrin Carstensen hat zur Zeit einen Pop-Up-Store im Klosterhof in Bayerisch Gmain. Das Besondere daran: Ihre hochwertigen Accessoires werden alle von muslimischen Migrantinnen in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Wie ihr integratives Projekt zustande kam, erklärt sie im Gespräch mit BGLand24.de.

Bayerisch Gmain - „Viele Deutsche spüren vor einer Kopftuch tragenden Frau eine gewisse Distanz und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Aber es sind viele ganz so wie wir, auch mit demselben Humor“, erklärt Ann-Kathrin Carstensen. Die Unternehmerin produziert mit ihrem Label RITA IN PALMA High-Fashion-Häkelspitzen. Ihre Mitarbeiterinnen sind alle muslimische Migrantinnen aus der Türkei, Syrien, Pakistan, dem Libanon und dem Kosovo. Derzeit gibt es im Klosterhof einen Pop-up-Store, in dem man die Accessoires bewundern und natürlich auch erstehen kann.

Vom Medizinstudium zum Modedesign

Die gebürtige Hamburgerin wächst in einem Stadtteil auf, in der eine große muslimische Community lebt. „Diese Menschen haben mich schon immer fasziniert. Ich war mit vielen Türkinnen befreundet und konnte ihre Mütter dabei beobachten, wie sie beim Chai gehäkelt haben.“ Sie schreibt sich nach dem Abitur zunächst für ein Medizinstudium ein. Bei einem Wochenendtrip verliebt sie sich in die Stadt Berlin und zieht innerhalb von nur drei Wochen dorthin um. Bald bemerkt sie, dass Medizin doch nicht das richtige ist und wechselt schließlich zum Modedesign. Zusammen mit ihrer griechischen Ziehmutter erarbeitet sie zu der Zeit schon die ersten Häkelmuster.

Nach dem Studium versucht sie, muslimische Frauen kennenzulernen, sei es über Flugblätter oder muslimische Einrichtungen. Doch dieses Vorhaben erweist sich alles andere als einfach. „Die Skepsis mir gegenüber war sehr groß.“ Mehrmals besucht sie Vereine, in denen es auch Frauentreffs gibt. „Beim siebten Mal habe ich meinen Sohn mitgenommen und gesagt: ‚Ich bin auch Mama, und ich bin nett‘“, erinnert sie sich. Als schließlich die erste anbeißt und Vertrauen fasst, kommen schnell weitere Frauen hinzu.

Der Verein unterstützt Frauen bei ihrer Selbständigkeit

Die ersten Teile entstehen von den Frauen noch in Heimarbeit. Carstensen hat dadurch auch Gelegenheit, bei ihren Besuchen einen tiefen Einblick in die Familien zu bekommen. „Wenn ich drei Familien an einem Tag besucht habe, musste ich auch dreimal essen“, lacht sie. Dabei stellt sie aber auch fest, dass sich klassische Vorurteile bestätigen. „Diese Frauen werden geboren, um Kinder zu kriegen, die Männer zu versorgen, den Haushalt zu machen und frisch zu kochen. Das sind Bedingungen, wo man als westliche Frau sofort kehrt machen würde.“ Mangelnde Bildung spielt dabei eine ganz zentrale Rolle. Viele dieser Frauen sind Analphabetinnen oder haben nur wenige Jahre eine Schule besucht. Sie sprechen auch nach vielen Jahren noch kein Deutsch. Die Unternehmerin bemängelt, dass Deutschland sich nicht um die ersten Einwanderer gekümmert habe. Diese befänden sich nun in einer Gesellschaft, in der sie nicht gewollt seien. „In dem Moment, wo die Wohnungstüre zu geht, leben sie in ihren Heimatländern.“

Carstensen gründet schließlich den gemeinnützigen Verein „von Meisterhand“, der sich der Integration von Frauen mit Migrationshintergrund widmet. Zum einen bietet er Deutschkurse durch eine ehemalige Deutschlehrerin an, die das im Ehrenamt macht. Zum anderen unterstützt er Frauen auf ihrem Weg zur persönlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit. So werden diese etwa bei Behördengängen, der Erstellung von Rechnungen und der Steuererklärung beraten. Gefördert wird das Projekt zum Teil vom Jobcenter, mit dem Ziel, diese Frauen auf den Arbeitsmarkt zu bekommen. „Viele Frauen sind traumatisiert durch Krieg und Flucht, haben psychische Erkrankungen sowie einen Mangel an Bildung und viele Kinder. Klassische Unternehmen sagen da: ‚Bleib mir weg.‘“ Der Erfolg gibt ihr Recht: „Die Frauen bewegen sich nun sehr viel selbstbewusster in unserer Gesellschaft.“

Von der Aussteuer zu High Fashion

Zusätzlich arbeiten Migrantinnen für die Manufaktur RITA IN PALMA, die auch Häkelspitzen für andere Designer produziert. Als das erste Label, das High-Fashion-Designs mit integrativer Arbeit kombiniert, hat es die Aufmerksamkeit von bekannten Persönlichkeiten wie Michelle Obama, Ruth Bader Ginsburg, Nazan Eckes und anderen erregt. Über den kulturellen und materiellen Wert ihrer Arbeit sind sich die „Häkelköniginnen“ jedoch oft nicht bewusst. Sie fangen schon als kleine Mädchen an, das Handwerk zu erlernen und ihre Aussteuer vorzubereiten. Leider stirbt das Handwerk aus, da sich die Töchter inzwischen nicht mehr dafür interessieren. Oft quellen die Schränke von umhäkelten Handtüchern, Servietten und Bettwäsche über. Diese Schätze sind eine Inspirationsquelle für die Designerin, Häkelstücke für den Körper zu entwickeln, seien es Kragen, Hals- und Armbänder oder Ohrringe. Die Zusammenarbeit läuft über flache Hierarchien. „Es ist nicht so, dass ich einen Kragen an die Wand zeichne und das so umgesetzt wird“, erklärt die Designerin. Die Frauen bringen sich je nach Begabung ein.

Investoren scheuen sich, solche Projekte zu unterstützen

Natürlich benötigt so ein Projekt Geld. Eigentlich bräuchte Carstensen noch zwei Mitarbeiter im administrativen Bereich. Sie ist daher auch auf der Suche nach Investoren und Sponsoren. Das Problem: Man muss in menschliches Kulturgut investieren. „Die Bänker sagen zu mir: ‚Sie haben nicht BWL studiert und jetzt wollen Sie mit Kopftuchfrauen Handarbeiten herstellen?‘“ Selbst lebt die Designerin sehr bescheiden. „Ich empfinde das aber gar nicht so, weil ich meine Frauen als großen Reichtum wahrnehme. Das sind meine Ferraris. Ohne sie könnte ich das nicht machen und umgekehrt auch. Das ist nicht nur Sozialromantik, sondern wir stellen ein echtes Produkt her.“

Designerstücke aus dem Pop-Up-Store. Auf dem Bild ist die Mitarbeiterin Ghada zu sehen. Sie stammt aus dem Libanon. Ihre Mutter kam bei einem Bombengefecht ums Leben. „Eine unglaublich kluge Frau. Inzwischen ist sie schon fast die Atelierchefin“, meint Carstensen.

Toleranz wird im Unternehmen gelebt

Mit den Ehemännern ihrer Mitarbeiterinnen hatte sie übrigens bisher nie Probleme. Die Gründe sind für sie klar: „Zum einen kennen sie mich über die, die schon bei mir sind und das weiter transportieren. Dann machen wir Handarbeiten. Das ist ein von den Männern nicht wertgeschätztes Hobby. Und wenn es noch Geld dafür gibt, ist das super. Und wir sind nur Frauen. Die Männer wissen auch, dass ich das Unternehmen sehr kulturbewusst führe.“ Den Frauen wird Zeit zum Beten und für Waschungen eingeräumt und auch auf die muslimischen Feiertage und Feste wird Rücksicht genommen.

Trotz mancher bestätigter Vorurteile räumt Carstensen im Gespräch mit einigen Klischees auf. „Eine Frau, die Kopftuch trägt, ist per se nicht unterdrückt. Das ist totaler Quatsch. Meine Frauen lehnen die Burka zum Beispiel total ab. Ihnen ist es wichtig, dass man seinem Gegenüber das Gesicht zeigt.“ Und auch die Tatsache, dass die Designerstücke auf nackter Haut getragen werden, ist für ihre Mitarbeiterinnen kein Problem. „Wir haben sogar eine Fetischkollektion für das KaDeWe gemacht. Da gab es Nipple Pasties, Stringtangas, BHs, Masken und Strumpfhalter. Wir hatten dabei super viel Spaß. Die Frauen mögen ja auch schöne Wäsche.“

Mit ihrer integrativen Arbeit sieht sich die Designerin auch bei den Frauen voll akzeptiert. „Ich bin ungläubig, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern von zwei verschiedenen Vätern, ich lebe als sehr freie, unabhängige Frau. Man könnte meinen, dass sie denken, dass ich eine Schlampe bin. Das ist aber nicht so. Sie sehen, dass ich jeden Tag nach ihren Werten lebe. Es spielt keine Rolle, welchen Glauben du hast und ob du ein Kopftuch trägst oder nicht.“

Der Pop-Up-Store mit den Couture-Assessoires und zusätzlich mit Trachtenmode von Gössl wird am heutigen Freitag (1. Dezember) um 20 Uhr feierlich eröffnet. Es wird um rechtzeitige Anmeldung gebeten.

mf

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